Florian Stumfall

11.06.2021

Alternativen zum Suezkanal

Als im März dieses Jahres im Suezkanal der 400 Meter lange Container-Riese „Ever Given“ havarierte und dadurch einen zeitlich wie räumlich einmalig langen Stau verursachte, verdeutlichte dieses Politikern, Reedern, Logistikunternehmern und Militärstrategen die Abhängigkeit von der Wasserstraße. Das Nadelöhr passieren rund 19.000 Schiffe pro Jahr. Das sind 13 Prozent des Welthandels. Die Route verbindet mit Europa und Ostasien zwei Brennpunkten der Weltwirtschaft. Gerade in einer Zeit, die dem System des „just in time“ anhängt, also nicht mehr auf Lagerung und Vorratshaltung, sondern auf stetes Anliefern setzt, ist der ungehemmte Warenstrom von größter Bedeutung.

Veranschaulichte die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Suezkanal: Der havarierte Container-Riese „Ever Given“

Der Gedanke, neben dem Suezkanal eine weitere Trasse zu erschließen, wurde allerdings schon vor dem Unglück der „Ever Given“ aufgegriffen, und zwar von den Chinesen. Heute wird dieser Plan in Form der Neuen Seidenstraße mehr und mehr Wirklichkeit. Dabei wird die Infrastruktur wie Straßen, Zugverbindungen und Flughäfen entlang verschiedener Landverbindungen zwischen China und Europa von Grund auf neu gestaltet und ausgebaut. Seehäfen gehören zwar auch zu dem Konzept, doch der Schwerpunkt liegt auf der Landverbindung.
Da aber Idee und Ausführung bei den Chinesen liegen und sowohl eine gemeinsame Interessenlage als auch die geographischen Gegebenheiten die Einbindung Russlands nahelegten, fand das Jahrhundertwerk im Westen bereits heftige Ablehnung, ehe es überhaupt in Angriff genommen worden war. Diese Ablehnung wurde und wird von jenen Politikern, Reedern, Logistikunternehmern und vor allem Militärs geäußert, denen die Havarie im Suezkanal so bitter aufgestoßen war.

Landverbindung Asien–Europa

Die Militärs beunruhigt vor allem, dass Russland dem chinesischen Konzept eine weitere Komponente hinzufügt: die Passage über das Nordmeer an der Küste Sibiriens entlang. Durch den Kanal dauert die Seereise von China nach Europa sechs bis sieben Wochen. Über die Nordroute werden fast drei Wochen eingespart. Das ist der Aspekt der Wirtschaft. Doch die Sichtweise vor allem der US-Militärs ist eine ganz andere.
Seit den Tagen in den 90er Jahren, als die russischen Bodenschätze von den USA ausgebeutet wurden und das Land darbte, schien der früher wichtigste russische Militärhafen Murmansk einem Schiffsfriedhof zu gleichen. Das übte auf die Planer im Pentagon eine beruhigende Wirkung aus, sodass man sich um die Arktis weiter nicht kümmerte. Die US-Flugbasis Thule im nördlichen Grönland schien den Strategen genug. Das änderte sich mit dem Widererstarken Russlands zu Beginn des Jahrhunderts. Nun widmete man in Moskau der Arktis verstärkte Aufmerksamkeit.
Zunächst wurde die geographische Einteilung Russlands, die durch Abgrenzungen von Nord nach Süd erfolgt war, insofern geändert, als man die Arktis von West bis Ost zu einem eigenen, neuen Bezirk erhob, der sich nun quer über die bisherigen Bezirke legt. Dann machte man sich daran, die offengelassenen Einrichtungen aus der Sowjetzeit wieder instand zu setzen, und zwar von Murmansk über die Doppelinsel Nowaja Semljia bis zur Halbinsel Tschuktschen. Denn auch die russischen Militärs haben Weltkarten, und auf diesen ist zu sehen, dass sich vom Westen über den ganzen Süden bis zum Südosten ein Kranz von US-Basen um Russlands Grenze zieht, denen russische Abwehrsysteme gegenüberstehen. Mit der neuen Strategie ist das nun auch im Norden der Fall.
Anlässlich des jüngsten Treffens des Arktischen Rates, einer Einrichtung der Arktisanrainer, im Mai beklagte US-Außenminister Antony Blinken, Russland baue Militärbasen an seiner Grenze zur Arktis auf. Er unterschlägt dabei aber, dass diese Arktis Nordsibirien ist und mithin russisches Territorium. Im Übrigen sind die rechtlichen Verhältnisse auf und um den Seeweg durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 geregelt. Danach haben Küstenländer einen Anspruch auf die Bodenschätze im Festlandsockel bis 200 Seemeilen vor der Küste, das sind rund 370 Kilometer. Bis zwölf Seemeilen vor der Küste erstrecken sich die Hoheitsgewässer eines Küstenstaates, in denen der jeweilige Anrainer Souveränitätsrechte besitzt. Was sich nördlich der 200-Seemeilen-Grenze befindet, sind bis zum Pol internationale Gewässer. So weit wäre eigentlich alles klar, wenn es nicht einen Schönheitsfehler gäbe. Dem UN-Seerechtsübereinkommen sind 165 Länder der Welt beigetreten, die USA aber, die andere gerne darauf festlegen, sind nicht dabei.

Passage über das Nordmeer

Eine zusätzliche Bewegung erfährt die Diskussion um die Bordroute dadurch, dass man ein Klimawandel-bedingtes Schmelzen des arktischen Eises voraussagt, was die Passage von militärischen wie zivilen Schiffen erleichtern und somit die Bedeutung der Passage erhöhen würde. Doch zumindest die Russen scheinen sich nicht auf den Klimawandel verlassen zu wollen. Sie unterhalten 26 Eisbrecher, darunter die größten überhaupt, davon sieben atomgetrieben. Dazu kommen weitere drei in der Phase der Erprobung, wiederum drei, die sich im Bau befinden und einer in Planung. Demgegenüber besitzen die USA nur sieben Eisbrecher, was eine gewisse Unruhe der Strategen erklären mag.
Solche Bedenken waren es auch, die am 16. April zu einem Abkommen über militärische Zusammenarbeit der beiden NATO-Partner USA und Norwegen geführt haben. Dieses Abkommen räumt den USA das Recht ein, auf drei norwegischen Flugplätzen Militäreinrichtungen sowie zusätzlich einen eigenen Stützpunkt zu bauen. Das alles soll der Wartung von militärischem Gerät, Manövern und dem Einsatz von US-Streitkräften dienen. Bedenken, die daraufhin vom russischen Außenministerium erhoben wurden, wies man in Norwegen zurück. Diese Aktivitäten dürften keine Reaktionen in Russland hervorrufen, weil sie offen und vorhersehbar seien, heißt es in Oslo.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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