Rupert Gietl

19.01.2016

TTIP – Nein danke! Transatlantische Partnerschaft geht anders.

Seit Juli 2013 verhandelt die EU mit den USA über die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP). Es geht um die Regelung von Marktzugängen, die Abschaffung von Handelsbarrieren und den Investorenschutz in der mit 800 Millionen Verbrauchern weltweit größten Freihandelszone. Was hinter verschlossenen Türen im Beisein finanzstarker Lobbygruppen begann, hat sich aufgrund massiver öffentlicher Proteste zu einer lautstarken Debatte entwickelt. Ein aktueller Überblick.

TTIP ist europaweit umstritten. Graphik: UT24

Ein Gastbeitrag von Dagmar Gnieser*

Es war ein klares Zeichen an die EU-Politiker, als die Europäische Bürgerinitia­tive „Stop TTIP“ Anfang Oktober 2015 in Brüssel eine Liste mit 3,26 Millionen Unterschriften gegen das geplante Freihandelsabkommen übergab. Das Unterschriftenquorum wurde in 23 von 28 EU-Staaten erreicht. Die kurz darauf folgende Großdemonstration in Berlin am 10. Oktober 2015 war die bisher größte deutsche Protestveranstaltung der vergangenen 20 Jahre, weitere Aktionen sind in Planung.

Zu den TTIP-Kritikern zählen nicht nur, wie erwartet, Naturschutzorganisatio­nen wie Greenpeace und NABU, globalisierungskritische Organisationen wie Attac und Campact, Verbraucherorganisatio­nen wie Foodwatch und der evangelische Entwicklungsdienst Brot für die Welt, sondern mittlerweile auch Gewerkschaften und Vertreter der klein- und mittelständischen Unternehmen.

Forderungen zu TTIP

Sie alle fordern das, was TTIP bestenfalls sein könnte: ein transparentes, demokratisch ablaufendes Freihandelsabkommen, das an hohen und strengen Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzstandards festhält sowie Maßnahmen zum Schutz regionaler Wirtschaftsstrukturen setzt, etwa durch regionale Herkunftsnachweise.

Stattdessen droht TTIP zu dem zu werden, was es schlimmstenfalls sein könnte: ein Wunschkonzert der Konzerne, mit dem Ziel immer mehr Lebensbereiche dem Primat der Wirtschaft und des Handels zu unterwerfen.

Die wichtigsten Verhandlungsstreitpunkte

Abschaffung der Zölle sowie Angleichung von Standards, Schutznormen und Zulassungsverfahren:

Die EU-Kommission wirbt mit Handelserleichterungen aufgrund von Zeit- und Kostenersparnis, Bürokratieabbau sowie einheitlichen Wettbewerbsbedingungen und prognostiziert mehr Wirtschaftswachstum, neue Arbeitsplätze und eine größere Produktvielfalt zu günstigeren Preisen. Für TTIP-Kritiker sind das unhaltbare Versprechen.

Sie verweisen auf die Unvereinbarkeit des europäischen Vorsorgeprinzips mit dem amerikanischen Nachsorgeprinzip: Während europäische Länder nämlich Produkte für den Markt erst dann frei geben, wenn deren Unschädlichkeit durch intensive Prüfverfahren bewiesen und die Kennzeichnungspflichten erfüllt sind, setzen die USA auf weniger Vorschriften und die Klagemöglichkeit, falls etwas schief geht.

Das mag praktisch sein für die Konzerne, weil ihre Produktion dadurch schneller und billiger wird, aber es ist schlecht für Umwelt, Verbraucher/innen und nicht zuletzt auch für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Letztere haben sich oft auf hochwertige Produkte für den regionalen Markt spezia­lisiert und könnten mit der Massenware und den Dumping-Preisen der Konzerne niemals konkurrieren.

Regulatorische Zusammenarbeit

Dieser Passus ermöglicht, dass neue Gesetze von einem Gremium von Beamten und Lobbyvertretern aus der EU und den USA diskutiert werden können, bevor sie irgendein Parlament in Europa zu Gesicht bekommt. Damit werden wichtige Entscheidungen in den vordemokratischen Raum verlagert.

TTIP-Kritiker gehen davon aus, dass es dabei vor allem um Folgeabschätzungen für den transatlantischen Handel gehen wird, nicht um den Schutz von Gesundheit und Umwelt oder die Stabilität der Finanzmärkte. Gewerkschaften warnen, dass dadurch Europas Gesetzgebung noch anfälliger für Manipulation werde.

Öffentliche Dienstlesitungen

Die EU-Kommission ist stark an der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen interessiert und will bei TTIP nur wenige Dienste wie Justiz, Polizei, Strafvollzug u. ä. ausgeklammert sehen. Bei Bildung, Kultur und Wasserversorgung erhofft sie sich den Zugang zum amerikanischen Markt, der allerdings auf seiner „Buy-American“-Klausel beharrt.

Da die liberalisierte öffentliche Auftragsvergabe nur noch nach wirtschaftlichen Kriterien und ohne Berücksichtigung von sozialen, lokalen, kulturellen oder ökologischen Aspekten erfolgen darf, befürchten Kritiker und europäische Kommunen einen zunehmenden Ausschreibungszwang und Privatisierungsdruck. Auch regionale Wirtschaftsförderungen wären dann in Zukunft nicht mehr zulässig.

Investorenschutz

Diese Klausel ermöglicht ausländischen Investoren Staaten vor privaten, unanfechtbaren Schiedsgerichten auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen, wenn ihre Gewinnpläne von politischen Entscheidungen durchkreuzt werden.

Das ist kritisch zu betrachten, denn zwischen Rechtsstaaten ist dies nicht nur unnötig, sondern auch demokratisch zweifelhaft. Damit könnten Investoren im Extremfall bestimmen, ob sich ein Staat leisten kann, aus der Kernkraft auszusteigen oder Gentechnik-Produkte zu verbieten.

Nach massiven Protesten legte am 16. September 2015 die EU-Kommission ihren Reformvorschlag zum Investorenschutz vor, der aber trotz einiger positiver Ansätze weiterhin ausländische Investoren gegenüber dem Gemeinwohl und inländischen Wettbewerbern klar privilegiert.

Hoffnunsträger “Zivilgesellschaftliche Allianz”

Ja, Europa hat die Chance mit TTIP die Regeln für die Globalisierung mitzugestalten. Aber bitte nicht SO! Die Wirtschaft sollte eigentlich dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. In den bisherigen TTIP-Verhandlungen – das haben die TTIP-Kritiker sehr deutlich gemacht – wird dieser Grundsatz grob missachtet. Für eine grundlegende Korrektur ist es aber längst zu spät.

Es bräuchte vielmehr einen Neustart, bei dem Arbeitnehmer-, Daten-, Umwelt- und Verbraucherschutz­ interessen von Anfang an mit berücksichtigt werden.

SO ginge TTIP!

*Dieser Beitrag erschien erstmals im Naturschutzblatt 3/2015. Mit freundlicher Genehmigung des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz.


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