Rupert Gietl
TTIP & Tirol – Teil 1
TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und ist den meisten EU-Bürgern als Schlagwort bekannt. Verhärtet scheinen die Fronten zwischen Befürwortern, die vor allem in den Reihen der Wirtschaft und der Regierungen zu suchen sind und den Gegnern, die sich in der Zivilgesellschaft formieren.
Für Tirol sitzen derzeit zwei Abgeordnete im europäischen Parlament: Zum einen die Sozialdemokratin Karoline Graswander-Hainz, u.a. Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel, zum anderen der Christdemokrat Herbert Dorfmann, u.a. Mitglied des Ausschusses für ländliche Entwicklung.
Im UT24-Interwiev legen beide ihre Sicht der Dinge dar.
UT24: Rund um das Freihandelsabkommen TTIP brodelt mittlerweile die Gerüchteküche. Es ist von Geheimverhandlungen die Rede, die Ratifizierung könnte ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten erfolgen. Haben Sie, als Mitglied des EU-Parlaments, Informationen zum aktuellen Stand der Verhandlungen?
Karoline Graswander-Hainz
Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob es sich bei TTIP um ein so genanntes “gemischtes” oder “reines” Abkommen handeln wird. Gemischtes Abkommen bedeutet, dass neben Rat und Europäischem Parlament auch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten zustimmen müssen.
Beim reinen Abkommen spricht man von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union.
Gemischt oder rein?
Die Schwierigkeit ist hierbei die Zuständigkeitsaufteilung zwischen Rat und Kommission. Es ist daher ein wichtiger und richtiger Schritt, dass der EuGH nun im Fall EU-Singapur-Freihandelsabkommen darüber entscheidet, ob es sich um ein “reines” oder um ein “gemischtes” Abkommen handelt.
Nur somit können Kompetenzstreitigkeiten bei Handelsabkommen in Zukunft aus dem Weg geräumt und Verzögerungen vermieden werden.
Stand der Verhandlungen
Im Oktober fand die 11te Verhandlungsrunde in Amerika statt. Die nächste wird voraussichtlich Ende Jänner/Anfang Februar 2016 stattfinden. Ein Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2016 scheint aus heutiger Sicht, meiner Meinung nach, unrealistisch.
Herbert Dorfmann:
Verhandlungen über bilaterale Abkommen können grundsätzlich natürlich nicht öffentlich stattfinden. Wenn Verhandlungspositionen im Detail öffentlich bekannt wären, bräuchte man sie ja nicht mehr verhandeln. Wenn jemand sein Auto verkaufen will und den Preis verhandlen will, veröffentlicht jemand ja auch nicht in der Zeitung sein letztes Angebot.
Transparenzoffensive
Trotzdem ist es wichtig, dass die Entscheidungsträger und auch die Öffentlichkeit über den Verlauf der Verhandlungen, welche sich sicher noch über Jahre hinziehen werden, informiert werden.
Die zuständige Kommissarin Cecilia Malmström hat diesbezüglich eine wichtige Transparenzoffensive gestartet. Alle Verhandlungsdokumente sind für uns Parlamentarier einsehbar und auch alle nationalen Parlamente können diese einsehbar machen, sofern sie die Regeln der Vertraulichkeit garantieren.
Vertraulichkeit
Wir werden im Europäischen Parlament vor und nach jeder Verhandlungsrunde über den Verlauf der Verhandlungen informiert. Ausserdem treffen wir uns laufend mit unseren Kollegen im US Kongress, um über unsere Positionen zu sprechen.
Die Handelspolitik ist mit dem Lissabon Vertrag von den Mitgliedsstaaten an die EU delgiert worden. Daher liegt die Zuständigkeit dafür nun bei der Europäischen Kommission und wir im Europäischen Parlament sind zuständig, den Vertrag zu ratifizieren oder auch nicht.Handelspolitik
Sollte der Vertrag Inhalte haben, die über die reine Handelspoltiik hinausgehen und somit Kompetenzen der Mitgliedsstaaten betroffen sind, müssen natürlich die Mitgliedsstaaten zustimmen. Die EU kann aber nur funktionieren, wenn die Kompetenzen geklärt sind.
Es wäre ja auch ein bisschen eigenartig, wenn sich beispielsweise die Europäische Union auf tiefere Zolltarife für eine Flasche Wein einigen würde und beispielsweise Italien den Vertrag ratifiziert und Deutschland nicht.
Eine Flasche Wein
Dann könnte diese Flasche zu ermäßigtem Zolltarif in Italien ankommen und im freien Binnenmarkt nach Deutschland weiterverkauft werden, wo eigentlich ein höherer Tarif gelten würde.
Die Idee des Binnenmarktes an und für sich macht es notwendig, dass die Handelsregelungen in Europa einheitlich sind.
UT24: Besonders umstritten ist der Investorenschutz. Könnten amerikanische Konzerne in Zukunft vielleicht vor einem privaten Schiedsgericht gegen unsere Umweltschutzstandards klagen und Recht bekommen?
Karoline Graswander-Hainz
Ich lehne private Schiedsgerichte vehement ab, da ausländischen Investoren Sonderrechte eingeräumt werden und somit eine „Zweiklassengerichtsbarkeit“ geschaffen wird.
Sowohl inländische Investoren als auch die Bürgerinnen und Bürger müssen sich im Fall an nationale Gerichte wenden, deshalb hat dies auch für ausländische Investoren zu gelten.
Zweiklassengerichtsbarkeit
Weiters bin ich der Ansicht, dass die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika über die höchst entwickelten Rechtssysteme der Welt verfügen und deshalb keine privaten internationalen Schiedsgerichte notwendig sind.
Einem TTIP mit ISDS werde ich deshalb nicht zustimmen.
Dennoch gibt es vereinzelt Fälle, bei denen ausländischen Investoren der Zugang zu nationalen Gerichten verwehrt bleibt, da international vereinbartes Recht nicht in nationales Recht transferiert worden ist und folglich auch nicht angewendet werden kann.
Permanenter internationaler Handelsgerichtshof
Auch in diesen Fällen ist ISDS für mich ganz klar und deutlich keine Möglichkeit der Streitschlichtung.
Eine Alternative könnte die Etablierung eines permanenten internationalen Handelsgerichtshof mit professionellen unabhängigen RichterInnen darstellen. Dieser Gerichtshof soll jedoch nur angerufen werden können, wenn es tatsächlich zu einer Verwehrung in Hinblick auf die Anrufung eines nationalen Gerichtes kommt.
Die Europäische Kommission hat diesbezüglich nun einen neuen Vorschlag vorgelegt, der zwar in die richtige Richtung geht, für uns jedoch noch lange nicht zufriedenstellend ist.
Kritik
Folgende Punkte gibt es hier zu kritisieren:
– Investorenrechte werden Großteils beibehalten; Pflichten für Investoren kommen gar nicht vor (Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards, etc.)
– Begriffsdefinitionen noch immer zu weitläufig; viel Raum für Interpretationen;
– noch unklar ob die 9 bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen (=BIT) bestehen bleiben oder durch dieses neue System ersetzt werden; (9 EU-Staaten haben bereits BITS mit den USA)
– Unabhängigkeit der RichterInnen nicht zur Gänze sichergestellt; was genau ist ein “conflict of interests”? Auch die Auflagen im “code of conduct” (Verhaltenscode für RicherInnen) sind sehr beschränkt.
– generell muss man sich die Frage stellen, ob man überhaupt eine “Paralleljustiz” schaffen möchte, denn nur Investoren können diesen Gerichtshof anrufen. Warum nicht auch andere Stakeholer, NGOs, Gewerkschaften etc.
– auch CETA müsste nun ebenfalls nachverhandelt werden, aber die Kommission schließt dies bisher aus
Eine andere Möglichkeit zu ISDS wäre die Staat-zu-Staat-Streitbeilegung (im Rahmen dieses Verfahrens wird der Investor durch seinen Heimatstaat vertreten).
Herbert Dorfmann:
Wir haben im Europäischen Parlament einen klassischen Investorenschutz im TTIP abgelehnt und der Vertrag würde wohl im EP nicht ratifiziert werden, wenn dort ein klassischer Investorenschutz vorgesehen wird, wie er übrigens heute in vielen Bereichen gilt
Internationaler Handelsgerichtshof
Wir wollen eine Verbesserung des Status quo und stellen uns eine Art internationalen Handelsgerichtshof vor.
Es ist leider so, dass trotz der drastischen Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte die Handelsgerichtsbarkein international noch immer fast ausschließlich mit Schiedsgerichtsklauseln funktioniert, von denen es weltweit über 2000 gibt.
TTIP wäre eine Chance, hier einen vollkommen neuen Standard zu setzen.
UT24: Welches Bild gibt die EU bei ihren Bürgern ab wenn nicht einmal Parlamentarier der EU-Mitgliedsstaaten, geschweige denn die Bürger selbst, die Papiere zu den Verhandlungen einsehen dürfen?
Herbert Dorfmann:
Alle nationalen Regierungen können ihren nationalen Parlamenten den Zugang zu allen Dokumenten garantieren, wenn sie die Regeln der Vertraulichkeit einhalten. Der Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert beklagt sich meiner Meinung nach vollkommen zu Recht, dass es diesen Zugang im Bundestag nicht gibt.
Er muss sich aber bei seiner eigenen Bundesregierung beklagen, welche einen solchen Zugang ermöglichen könnte und nicht bei der EU Kommission.
Ich glaube, es ist das Recht jedes gewählten nationalen Abgeordenten in der EU, sich aus erster Quelle über den Fortgang der Verhandlungen zu informieren.
Karoline Graswander-Hainz
Transparenz ist mir ein ganz besonderes Anliegen. Transparenz ist wichtig, aber sie ist kein Freifahrtschein.
Der Zugang zu den Dokumenten ist die Basis für eine gründliche Bewertung.
Im EU-Parlament soll jetzt die Arbeit mit vertraulichen TTIP-Dokumenten stark verbessert werden. So soll bereits in den nächsten Wochen auf der Internetseite des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments für alle 751 Europaabgeordnete ein elektronischer Zugang zu bisher limitierten Dokumenten möglich sein.
Einsicht
Besonders sensible Unterlagen sollen in einem verbessert zugänglichen Leseraum ebenfalls für alle Abgeordnete einsehbar sein – bisher dürfen das nur wir Mitglieder im Handelsausschuss. Die Einsichtnahme ist deshalb so wichtig, weil wir Sozialdemokraten unter allen Umständen Verschlechterungen verhindern wollen.
Durch den Druck des Europäischen Parlaments und der Öffentlichkeit hat die Kommission nachgegeben und mehr Verhandlungsdokumente veröffentlicht.
Einbinden der Betroffenen
Generell ist zu beobachten, dass die Arbeit der Kommission ein Stück weit transparenter geworden ist. Das ist auch gut so. Entsprechende Inhalte bereits im Frühstadium von Verhandlungen zu veröffentlichen und die Betroffenen miteinzubeziehen ist der richtige Ansatz, denn schließlich und endlich geht es doch um die KonsumentInnen, welche von den Abkommen am Ende am meisten betroffen wären.
Auch ich selbst versuche im Rahmen von Gesprächen und Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern Informationen weiterzugeben und aufzuklären. Die Ängste und Sorgen der BürgerInnen müssen ernst genommen werden und in unsere politische Arbeit einfließen.
Lesen Sie in Kürze im 2. Teil unserer Serie, was unsere EU-Parlamentarier über mögliche positive oder negative Auswirkungen von TTIP denken und ob sie dem Abkommen bei heutigem Stande zustimmen würden.