von fe 21.08.2017 10:36 Uhr

Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

Verkaufte „Herzensangelegenheit“

Das erste für das Nachkriegsschicksal der Südtiroler bedeutende und in seiner Wirkung fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die österreichische Bundesregierung offiziell – besonders Kanzler Figl, der in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945 vor dem Nationalrat gesagt hatte: „Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, das ist Südtirol. Die Rückkehr Südtirols nach Österreich ist ein Gebet jedes Österreichers“ – die Selbstbestimmungslösung mittels Volksabstimmung verlangte, die Außenminister Gruber gegenüber den Siegermächten und dem Vertreter Italiens in Paris bis dahin einigermaßen aufrecht erhalten hatte, wurde Rom auf der Ebene parteipolitischer Beziehungen vertraulich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Wien gegebenenfalls auch mit einer Autonomielösung anstelle eines Plebiszits einverstanden erklären könne. Das Signal dazu gab Figl über Moser, der – behufs Vermittlung eines Priesters aus dem Trentino – den einstigen Trientiner Autonomisten (und als solcher Reichsratsabgeordnete zu Wien bis 1918) De Gasperi am 3. April 1946 im Palazzo del Viminale, dem Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten, zu einer ausgiebigen geheimen Unterredung traf.

Ost und West – und Schwarz und Rot

Dass das Duo Figl/Moser damit Grubers Aktivitäten konterkarierte, dürfte auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass der Niederösterreicher Figl und der Tiroler Gruber einander sozusagen „in herzlicher Abneigung“ zugetan waren. Dass es dem Kanzler – wie einst Schuschnigg in der Phase, bevor Mussolini und Hitler Verbündete wurden – primär um gutnachbarschaftliche politische (und wirtschaftliche) Beziehungen Wiens zu Rom sowie nach dem verheerenden Krieg, aus dem Österreich als „Verlierer“, der Seitenwechsler von 1943 Italien indessen quasi als „Sieger“ hervorging, und dem einsetzenden Kalten Krieg mit den äußeren Gegensätzen zwischen Ost und West sowie den inneren zwischen „Schwarz und Rot“ mehr noch um freundschaftliche Verbindungen zwischen seiner ÖVP mit De Gasperis DC zu tun war und dass er damit der alldem entgegenstehenden Sache Südtirols – wider alle öffentlichen Bekundungen und Verlautbarungen – schadete, spricht Bände.

Capo und Beschwichtiger

Dieses widersprüchliche politische Gebaren sollte sich, wie die von dem oberösterreichischen Forscher Helmut Golowitsch erstellte Dokumentation zeigt, unter allen auf Figl folgenden ÖVP-Kanzlern bis in die für das österreichisch-italienische Verhältnis äußerst schwierigen 1960er Jahre fortsetzen, unter der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ihren Kulminationspunkt erreichen und darüber hinaus – wie man als Beobachter späterer Phasen hinzufügen muss – gleichsam eine politische Konstante bilden, der in aller Regel die beanspruchte Schutz(macht)funktion Österreichs für Südtirol untergeordnet worden ist. Und allen damals führenden ÖVP-Granden stand Rudolf Moser als emsig bemühtes, lautlos werkendes und wirkendes Faktotum zur Seite: Sei es als Organisator konspirativ eingefädelter Spitzentreffen inkognito – mehrmals in seinem Haus in Sachsenburg – , sei es als Emissär, mal als besänftigender Schlichter, mal operierte er als anspornender Impulsgeber. Mitunter war er verdeckt als Capo einer geheimen ÖVP-Sondierungsgruppe unterwegs oder auch gänzlich unverdeckt als Mitglied einer offiziellen ÖVP-Delegation auf DC-Parteitagen zugegen. Und nicht selten nahm er auch einmal die Rolle eines Beschwichtigers von ÖVP-Politikern und -Funktionären wahr.

Figl und De Gasperi am Karerpass

So regte er die erste geheime Begegnung Figls mit De Gasperi an, wie aus einem mit Briefkopf des Kanzlers versehenen Schreiben vom 16. Juli 1951 an den „Sehr geehrten Herrn Kommerzialrat und lieben Freund“ Moser hervorgeht und in dem er es diesem ausdrücklich „überlassen“ hatte, „das Nähere zu arrangieren.“ Das „inoffizielle Zusammentreffen“, mit dem Figl „sehr einverstanden“ war, fand im August 1951 – der genaue Tag ließ sich nicht rekonstruieren, aber Figl war, wie Moser De Gasperi mitteilte, „nur bis spätestens 29. August hier verfügbar“ – im Hinterzimmer eines Gasthauses am Karerpass in Südtirol statt, wohin der in Matrei (Osttirol) sommerfrischende österreichische und der in Borgo (Valsugana) urlaubende italienische Regierungschef reisten, um sich „auf halbem Wege“ und „nach außen hin zufällig“ zu treffen, wie Moser in seinem Brief vom 13. August an den des Deutschen mächtigen „Hochwohlgeboren Herrn Ministerpräsident“ schrieb. Ãœber die mehrstündige Unterredung, die auch in einer mehrfach aufgelegten Figl-Biographie (Ernst Trost: Figl von Österreich“, Wien 1972 u.ö) vermerkt ist, gibt es keine Aufzeichnung. Man darf indes wohl annehmen, dass De Gasperi mit Begründungen aufwartete, warum er aus innenpolitischen Zwängen die Südtirolpolitik so und nicht anders gestalten könne und dass sich in Hinkunft schon alles bestens regeln werde.

Figl De Gasperi Geheimtreffen
Aufbruch zum stundenlangen Spaziergang während des geheimen Treffens Geheimtreffen des österreichischen Bundeskanzlers Leopold Figl mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide Degasperi 1952 auf dem Ansitz Mosers in Sachsenburg in Kärnten. Foto: Archiv Golowtisch

Die Tiroler ÖVP hintergangen

Ãœber Inhalt und Ergebnis dieses ersten Geheimtreffens (und weiterer konspirativer Begegnungen mit anderen Persönlichkeiten) wurden weder Süd- noch Nordtiroler Politiker informiert – wie im Ãœbrigen während des gesamten Zeitraums, für die Golowitschs Dokumentation steht, ÖVP-Kanzler und ÖVP-Parteiführung stets unter weitestgehendem Hintanstellen von Belangen oder gänzlichem Umgehen der dem südlichen Landesteil naturgemäß zugetanen Tiroler ÖVP-Landespartei agierten. Das ging sogar so weit, dass der legendäre langjährige und in der Bevölkerung äußerst beliebte Landeshauptmann Eduard Wallnöfer wegen „wachsender Unstimmigkeiten mit der Wiener Parteizentrale“ (Gehler) – insbesondere während der Kanzlerschaft des Josef Klaus, zu dem er ein „unterkühltes Verhältnis“ gehabt habe (Gehler) – eine „Unabhängige Tiroler Volkspartei“ (nach Muster der bayerischen CSU) ernsthaft in Erwägung zog. Indes war der aus dem Vinschgau stammende Wallnöfer – nicht allein wegen der Südtirol-Frage, aber vor allem in dieser Angelegenheit – dem Außenminister und nachmaligen Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ) ausgesprochen freundschaftlich verbunden.

„Haus der Begegnungen“

Das zweite Geheimtreffen Figls mit De Gasperi am 18. und 19. August 1952 hatte Moser nicht nur arrangiert, sondern der „Geehrte Herr Kommerzialrat“ sorgte auch eigens dafür, den Ministerpräsidenten inkognito über den Grenzübergang Winnebach nach Osttirol zu schleusen und von dort aus auf das Moser’sche Anwesen in Sachsenburg (Bezirk Spittal/Drau) zu geleiten. Der italienische Regierungschef hatte zustimmend auf Mosers Vorschlag reagiert und ihm am 5. August von seinem Urlaubsort aus brieflich mitgeteilt, es müsse „die Sache ganz privat und diskret behandelt werden“, weshalb er „unter dem Namen ,Romani‘ telegraphieren“ werde. Während zweier Tage unterhielten sich De Gasperi und Figl bei ausgedehnten Spaziergängen unter vier Augen, niemand sonst war zugegen. Aufzeichnungen über den Inhalt der Gespräche existieren nicht, weder Süd- noch Nordtiroler Politiker wurden darüber unterrichtet. In einem späteren Rückblick, angefertigt zu Weihnachten 1973, vermerkte Moser: „Seit 1949 gab es in meinem Kärntner Landhaus gar viele Zusammenkünfte, Besprechungen, Beratungen und Konferenzen, aber nicht selten wurden auch in fröhlichem Zusammensein weitreichende Beschlüsse gefaßt. Im Gästebuch dieses ,Hauses der Begegnung‘, wie es vielfach genannt wurde, gibt es von den delikaten Besuchen fast keinerlei Eintragungen, weil ja jedwede Dokumentation vermieden werden sollte“
Auf Figl folgte Julius Raab. Auch er war in Sachsenburg zu Gast, bediente sich Mosers Diensten aber kaum. Das war auch gar nicht erforderlich, denn die politischen Prioritäten Wiens waren während Raabs Ägide vornehmlich auf das Ausverhandeln des Staatsvertrags (1955) und damit das Wiedererlangen der Souveränität gerichtet. Was dazu führte, dass es – worüber in Bozen und Innsbruck Unmut herrschte – in der Südtirol-Politik zu keinen nennenswerten Aktivitäten oder Initiativen mehr kam. Nach De Gasperi, mit dem sich Moser auch weiterhin freund(schaft)lich austauschte, wechselten in Italien die Regierungschefs beinahe jährlich; bis 1981 war das Amt des „Presidente del Consiglio dei Ministri“ stets sozusagen ein „Erbhof“ der DC. Bis zum Abschluss des Südtirol-Pakets 1969 unter Mario Rumor, der zwischen 1968 und 1970 drei wechselnden, DC-geführten und dominierten (Koalitions-)Regierungen vorstand, hatten sieben DC-Regierungschefs 14 Kabinetten vorgestanden. Mit allen pflegte(n) Moser (und die ÖVP) mehr oder weniger enge Kontakte.


Mehr über Mosers Wirken und die Antwort auf die Frage „Was wäre wenn?“, lesen Sie hier.


 

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