von fe 21.08.2017 10:48 Uhr

Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

Rudolf Moser (links im Bild) begrüßt den italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi 1952 vor seinem Haus in Kärnten

Handreichung für Folterer

Zu Mario Scelba, der später traurige Berühmtheit erlangte, weil unter seiner Billigung 1961 in Carabinieri-Kasernen politische Häftlinge aus den Reihen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gefoltert worden waren und er als damaliger Innenminister den Folterknechten dazu „freie Hand“ („mani libere“) gelassen hatten, waren sie ebenso intensiv wie zu Fernando Tambroni, Antonio Segni, Amintore Fanfani und Aldo Moro. Zwischen Moro und Josef Klaus initiierte er im Sommer 1966 ein geheimes Treffen in Predazzo, wohin Klaus im Anschluss an seinen üblichen Urlaub (in Bonassola an der Ligurischen Küste) reiste. 1962 hatte Moser ein geheimes Treffen zwischen dem stellvertretenden DC-Generalsekretär Giovanni Battista Scaglia sowie der DC-Fraktionsvizechefin Elisabetta Conci und ÖVP-Generalsekretär Hermann Withalm sowie Außenamtsstaatssekretär Ludwig Steiner eingefädelt, das in seinem Beisein am 12. Mai in der am Comer See gelegenen „Villa Bellini“ der mit ihm befreundeten Papierfabrikantin Anna Erker-Hocevar aus Ovara bei Udine stattfand. Um das Treffen mit den DC-Vertretern zu akkordieren, war Moser eigens zu ihnen nach Rom gereist. Einmütiger Tenor des Treffens: Südtiroler „Friedensstörer“ seien „gemeinsame Feinde“ und als solche „unschädlich zu machen“.

Moser bekundete stets, man müsse, wie er selbst, beseelt sein vom Willen „engster vertraulicher Zusammenarbeit …mit den aufrechten Europäern und jenen Christen, welche den Mut haben, solche der Tat zu sein“ sowie beitragen zur „gemeinsamen Verurteilung jeder Äußerung von unzeitgemäßem Nationalismus und unchristlichen Gewalttaten“ und mithelfen, jene Kräfte zu isolieren und auszuschalten, „die unbedingt Gegner einer Einigung, einer Versöhnung sind“. An Scelba schrieb er am 16. September 1961, er möge „im Alto Adige jene wahnsinnigen Radikalen isolieren, welche mit verbrecherischen Taten sich als Handlanger des Bolschewismus erweisen“.

Geheimdiplomatie hinter Kreiskys Rücken

Mosers Engagement ging so weit, dass er sich nicht scheute, daran mitzuwirken, hinter dem Rücken des damaligen Außenminister Kreisky (SPÖ) sozusagen „christdemokratische Geheimdiplomatie“ zu betreiben und dessen mit Giuseppe Saragat ausgehandeltes „Autonomie-Maßnahmenpaket“ zu desavouieren, welches die Südtiroler Volkspartei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965 für „zu mager“ befand und infolgedessen verlangte, es müsse nachverhandelt werden. Drei Jahre zuvor schon hatte er in einer von ihm am „hohen Fest der Erscheinung des HERRN 1962“ (Dreikönigstag 6. Januar) verfassten und an zahlreiche ÖVP-Politiker und -Funktionäre verschickten „Südtirol-Denkschrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilettantisch geführte Außenpolitik.“ Das bezog sich auf den seit den verheerenden Auswirkungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens ersten zielführenden und erfolgreichen Schritt der Wiener Südtirol-Politik, nämlich der Gang Kreiskys 1960 vor die Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwang mittels zweier Resolutionen Italien zu „substantiellen Verhandlungen zur Lösung des Streitfalls“ mit Österreich, womit der Konflikt zudem internationalisiert und der römischen Behauptung, es handele sich um eine „rein inneritalienische Angelegenheit“ die Grundlage entzogen worden war.

In den Rom-freundlichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen registriert worden. Zunächst hatte man versucht, Kreisky vom Gang nach New York wieder abzubringen. Einen Vorstoß machte ÖVP-Staatssekretär Ludwig Steiner mit der Kreisky gegenüber ausgesprochenen Empfehlung – die dieser in seinen Akten festhielt -, die „österreichische UNO Initiative zurückzunehmen“, denn „seiner Meinung nach habe Italien in einer UNO Debatte d[er]z[ei]t. eine bessere Stellung und im übrigen solle man nicht die westlichen Freunde Österreichs strapazieren.“ Kreisky vermerkte über Steiner in dieser Aktennotiz: „Seit seinem Eintritt als Staatssekretär haben die Intrigen gegen die gemeinsame Außenpolitik in hohem Maße zugenommen.“ Ebenso vergeblich wie Steiner hatten auch der spätere ÖVP-Außenminister Kurt Waldheim und der damalige Leiter der Politischen Abteilung des Außenministeriums, Heinrich Haymerle, versucht, Kreisky, wie dieser festhielt, „in stundenlangem Gespräch zu überreden, dass wir uns jetzt aus der Affäre ziehen sollten … Andernfalls würde Österreich als ein Störenfried betrachtet werden, und dies wäre uns keineswegs zuträglich“.

Moser Waldheim
Rudolf Moser (links im Bild) zusammen mit dem damaligen österreichischen Außenminister Kurt Waldheim. Foto: Archiv Golowitsch

Italophiler Verbindungsmann

Mosers vielfältiges und nicht eben einflusslos gebliebenes Wirken beschränkte sich indes nicht auf die eines Kontaktknüpfers oder Verbindungsmannes zwischen ÖVP und DC. Er betätigte sich auch auf internationalem Parkett und vertrat die ÖVP auf den seit 1947 stattfindenden jährlichen Parteikongressen der DC sowie auf den Jahrestagungen der „Nouvelles Équipes Internationales“ (NEI), die sich 1965 in „Union Européenne des Démocrates-Chrétiens“ (EUDC) / „Europäische Union Christlicher Demokraten“ (EUCD) umbenannte. Die von Gegnern als „Schwarze Internationale“ verunglimpfte EUCD ging 1998 in der Europäischen Volkspartei (EVP) auf.

Der italophile Moser ist nicht selten als politischer Stichwortgeber auszumachen, wenn es um den Versuch der in Wien Regierenden – insbesondere der von der ÖVP gestellten Bundeskanzler der ersten 25 Nachkriegsjahre – ging, sich des mehr und mehr als lästig empfunden Südtirol-Problems zu entledigen. Dies trifft in Sonderheit auf die „Ära Klaus“ zu. Rudolf Moser fungierte just in der Südtirol-Causa als dessen enger Berater. In derselben Eigenschaft empfahl Moser auch dem mit ihm befreundeten italienischen Innenminister Taviani, in Südtirol „die bekannten Unnachgiebigen zu isolieren“, woraus „eine aufrichtige Freundschaft Italien-Österreich resultieren“ werde, „deren stärkste Parteien der gleichen Ideologie sind“. Unter Tavianis wie unter Scelbas (Amts-)Augen wurde in Südtirol schrecklich gefoltert.

Josef Klaus fügt sich römischem Druck

Wien ließ sich in der Folge – von Rom in der Angelegenheit EWG-Assoziierung massiv unter Druck gesetzt – auf (verfassungs)rechtlich äußerst fragwürdige (bis unerlaubte) Händel ein, so beispielsweise auf die auf sicherheitsdienstlicher Ebene mit italienischen Diensten insgeheim verabredete Weitergabe polizeilicher Informationen über Südtiroler, obwohl dies für politische Fälle unzulässig war. Das Wiener Justizministerium und die für Rechtshilfe zuständigen Institutionen wurden dabei kurzerhand übergangen. Für all dies und einiges mehr gab Klaus, der hinsichtlich der Südtirol-Frage ähnlich dachte wie sein deklarierter Freund Rudolf Moser, allen Forderungen der italienischen Seite bereitwillig nach. Moser hatte alles getan, um das (bereits erwähnte) Geheimtreffen zwischen dem österreichischen Kanzler und dem italienischen Regierungschef Aldo Moro auf italienischem Boden zustande zu bringen.

Aus dem Dunkel ans Licht

Mosers konspiratives Wirken endete 1969/70. Als Pensionär zog er sich aufs Altenteil in seine Geburtsstadt Wien zurück, wo er einige Jahre später hochbetagt verstarb. Seine gesamten Aufzeichnungen, Dokumente und Photographien hatte er einem befreundeten Kärntner Nachbarn hinterlassen. Begünstigt von einem glücklichen Zufall war es Helmut Golowitsch nach langwierigen Recherchen gelungen, an den zeitgeschichtlich wertvollen Fundus zu gelangen, in den zuvor noch nie ein Historiker ein Auge geworfen hatte. Ergänzt durch Material aus dem im niederösterreichischen Landesarchiv verwahrten Nachlass Figls sowie durch einige Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Tiroler Landesarchiv hat er ihn umsichtig aufbereitet, ausgewertet und nunmehr in dieser voluminösen Dokumentation publiziert, worin er die für die Geschehenserhellung brisantesten Notizen Mosers erfreulicherweise faksimiliert wiedergibt. Alle Moser’schen Dokumente hat Golowitsch zudem zu jedermanns Einblick und Nutzung dem Österreichischen Staatsarchiv übergeben. Seiner Publikation, die ein bisher im Dunkel verborgenes wichtiges Kapitel der mitteleuropäischen Nachkriegsgeschichte ins Licht hebt und, wie der Salzburger Historiker Reinhard Rudolf Heinisch zurecht in seinem Vorwort schreibt, „durch dessen Ergebnisse die tragische Geschichte Südtirols nach 1945 in vielen Bereichen umgeschrieben werden muss“, ist weite Verbreitung zu wünschen.

„Was wäre wenn …“

Historiker schrecken für gewöhnlich von „Was-wäre-wenn-Fragen“ zurück. Es sei aber dem Betrachter abschließend ausnahmsweise einmal erlaubt, für einen Augenblick die Scheu davor hintanzustellen und an die eingangs aufgeworfene Brenner-Problematik anzuknüpfen. Unwillkürlich mag einem angesichts des zuvor Erörterten dabei in den Sinn kommen: Wäre es 1945/46 zur Selbstbestimmung(slösung und damit zur Landeseinheit Tirols) gekommen, so verliefe die italienisch-österreichische Grenze heute wohl entlang der Sprachgrenze am südlichen Zipfel des sogenannten Unterlandes. In der Enge des Etschtals an der „Salurner Klause“ könnten in Zeiten vermehrter illegaler Grenzübertritte Kontrollen ebenso effektiv gestaltet werden wie 115 Autostrada- und 136 Bahn-Kilometer weiter nördlich am Brennerpass. Und Tirol wäre – entgegen der Formel „Ein Land in zwei Staaten“, die Moser im Gespräch mit De Gasperi fand und an die sich die in Wien, Innsbruck, Bozen und Rom Regierenden jedweder Couleur bis zur Stunde klammer(te)n – „lei oans“.

Helmut Golowitsch: Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte; Graz (Stocker) 2017, Hardcover, 607 Seiten, ISBN 978-3-7020-1708-8, Preis 34,80 €

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