Ein Blog von

Hannes Innerhofer

04.02.2019

Wie ich 13 Stunden von Innsbruck bis Bozen brauchte

Als Südtiroler, der mittlerweile in Innsbruck lebt, gehört es sich fast zum guten Ton, alle paar Wochen der eigenen Familie einmal einen persönlichen Besuch abzustatten. Schließlich sind auch die einen oder anderen wichtigen Termine südlich des Brenners zu erledigen und das Treffen von Freunden und Bekannten klappt quasi im Vorbeigehen. Dass ich mir mit einem solchen Plan am vergangenen Wochenende allerdings keinen guten Gefallen getan habe, sollte ich sehr rasch am eigenen Leibe erfahren. Denn anstatt einer kurzen Busfahrt nach Südtirol fühlte sich meine „Reise“ eher an wie ein mehrstündiger Transatlantikflug nach Südamerika – dem Brenner(o) sei dank.

Foto: UT24/ih

Samstagmorgens, 07.30 Uhr. Der Wecker in meiner Wohnung in Innsbruck-Pradl ertönt und ich recke mich noch leicht verschlafen aus dem Bett, als ich auf meinem Handy die erste SMS des Tages erspähe. „Flixbus“, so der Name des Absenders, wusste mir bereits frühmorgens gekonnt mitzuteilen, dass mein für 09.00 Uhr gebuchter Bus in Richtung Südtirol mal eben eine Verspätung von 1 ½ Stunden hat. Bei dem medial berichteten Schneechaos kein Wunder und irgendwie hatte man ja schon damit gerechnet, dass es heute nicht gerade pünktlich zur Sache gehen dürfte. Also gehe ich den Morgen etwas gemütlicher an, mache mir noch ein ausgewogenes Frühstück und bewege mich dann mit meinem mehr als bescheidenen Rucksack in Richtung der Bushaltestelle. Dort traf jener grüne Bus, den ich für 10.30 Uhr erwartete doch tatsächlich knapp zehn Minuten früher ein, als in der SMS mitgeteilt – immerhin eine kleine Überraschung des Tages.

Da ich auf dem zehnminütigen Weg zum Einstieg bereits sämtliche Medienberichte über das zurzeit vorherrschende Chaos am Brenner verfolgte, nehme ich mir gleich ein sinnvolles Buch mit in den Bus, das mir vor wenigen Tagen ein guter Bekannter ans Herz gelegt hatte. Schließlich könnte die Fahrt heute doch etwas länger dauern und diese Zeit sinnvoll dafür zu nutzen, um den eigenen Wissenshunger zu befriedigen, scheint mir ganz praktisch.

Der Bus setzt sich pünktlich um 10.30 Uhr in Bewegung und ich widme mich konzentriert meinem Buch. Vollkommen vertieft und konzentriert in den Inhalt bemerke ich noch nicht einmal, dass wir kurz nach der Mautstelle Schönberg bereits in die erste Staukolonne geraten. Es war gerade erst einmal kurz nach 11.00 Uhr und der Bus schaltete, aufgrund der Tatsache, dass sich vorne nichts mehr zu bewegen schien, erst einmal den Motor aus. Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster widmete ich mich aber wieder voll und ganz meiner mitgebrachten Literatur.

Erst als es nach einer Stunde Stillstand so langsam Mittag wurde und sich im Bus der Hunger ausbreitete, lege ich mein Schriftwerk zur Seite und philosophiere mit meinem Sitznachbarn darüber, wie lange das hier heute wohl noch dauern würde. Nur wenige Augenblicke später erhebt sich der sichtlich verzweifelte Busfahrer erstmals von seinem Platz, dreht sich um und ruft in Richtung der Insassen, dass man aussteigen könne, da sich 800 Meter vor uns eine Raststätte befinden würde. Ein junges Pärchen, das ebenfalls in Innsbruck in den Bus gestiegen war, stand sofort auf, da sie scheinbar schon auf eine derartige Hiobsbotschaft gewartet hatten und setzten sich umgehend in Bewegung. Ich bot mich kurzerhand als Begleiter an, schließlich hatte ich auch nur ein kleines Wasser dabei – war ja schließlich nur eine Strecke, die normalerweise in maximal zwei Stunden zu bewältigen wäre – nicht aber dieses Mal.

Bei dem gemütlichen Spaziergang über die Brennerautobahn bot sich uns ein Bild, das ich so schnell nicht vergessen werde. Hundebesitzer gingen zwischen den stehenden Autos mal eben mit ihrem Vierbeiner Gassi, Kinder bauten Schneemänner und für kurze Augenblicke gab es sogar eine Schneeballschlacht. Endlich an der Raststätte angekommen, konnten wir drei Autobahnspaziergänger zunächst einmal unseren eigenen Augen nicht so recht trauen. Hätte mir jemand gesagt, dass an dieser Tankstelle gerade der Vorverkauf für die allerletzte Tournee von Robbie Williams startet – kein Zweifel, ich hätte es geglaubt. So etwas hatte dieser kleine Viva-Snack-Laden an der BP-Tankstelle kurz nach Schönberg vermutlich auch lange nicht erlebt. Entsprechend gestresst waren auch die dort arbeitenden Mitarbeiter, die sich ihren Arbeitstag vermutlich auch etwas anders vorgestellt haben. Und so kämpften wir uns minutenlang durch eine Schlange von mehrheitlich deutschen Skitouristen, um nach mehr als einer Stunde unseren heißersehnten Kaffee samt trockener Leberkäsesemmel zu ergattern – für eben mal schlappe 10 Euro – Schnäppchen eben!

Mittlerweile war es bereits 14.00 Uhr geworden und der kilometerlange Tross hatte sich in dieser Zeit um nur wenige Zentimeter weiterbewegt. So konnten wir trotz des langen Wartens an der Raststätte weiterhin gemütlich zu unserem Bus zurückspazieren. Dieser dürfte sich dann so gegen 14.30 Uhr wieder leicht in Bewegung gesetzt haben. Bemerkt habe ich davon allerdings recht wenig, da ich mich wieder voll und ganz meinem mitgenommenen Buch gewidmet habe.

Weitere Stunden vergingen und die Geschwindigkeit, mit der sich unser Bus in Richtung des Brenners schlich, wäre wohl zu Fuß in nur der Hälfte der Zeit locker zu bewältigen gewesen. Gerade in dem Moment, als ich in den letzten Seiten meiner Lektüre blättere, bemerke ich, dass es langsam dunkel wird. Es war bereits 16.45 Uhr geworden, als mir ein Redaktionskollege gerade ein SMS schickte, um sich zu erkundigen, wie ich denn so am Brenner durchkomme. Ich erzähle in knappen Worten, was hier für ein Chaos herrscht und er, der eigentlich ebenfalls über den Brenner fahren wollte, entschließt sich dann doch, die Nacht in Innsbruck zu verbringen. Eine mehr als kluge Entscheidung.

Denn auch als wir den Brenner gegen 17.30 Uhr so langsam passieren und ich nach langer Zeit wieder mal in Südtirol bin, tut sich rein gar nichts. Ich habe das Gefühl, dass auf Südtiroler Seite alles noch langsamer läuft – und ich sollte recht behalten. Denn auch bis wir endlich in Sterzing ankommen sind, vergehen weitere 2 ½ Stunden. Warum man die Mautstation in einer solchen Ausnahmesituation nicht einfach öffnet, um den Verkehr flüssiger vorangehen zu lassen, erschließt sich mir in diesem Moment einfach nicht. Lieber scheint man das Chaos freiwillig in Kauf zu nehmen, als auf die ach so wichtigen Einnahmen für die A22-Autobahngesellschaft zu verzichten.

Und je später die Stunde, desto größer mein Ärger darüber, was hier eigentlich vor sich geht. Ich erinnere mich plötzlich an Aussagen unserer hochrangigen Landespolitiker, die bei jeder sich noch so bietenden Gelegenheit davon schwärmen, wie wichtig und einflussreich dieser Brennerpass doch sei. „Der wichtigste Pass Europas“ oder so ähnlich hörte man unsere Landesspitzen immer wieder auf sämtlichen Eröffnungen und Pressekonferenzen sagen. Doch wie schnell eben genau dieser vermeintlich wichtigste Verbindungspass regelrecht außer Kraft gesetzt werden kann, wenn einmal das Wetter nicht mitspielt, habe ich nun mit eigenen Augen gesehen. Ich frage mich, warum man sich auf solche Szenarien nicht ausreichender vorbereitet. Nun sind die Wetterbedingungen am Brenner ja kein Phänomen, das alle paar Jahre einmal auftritt, sondern durchaus vorhersehbar. Warum also war es unseren Landesfürsten bislang nicht möglich, hier eine optimale Lösung bereits im Vorab zu finden? Leid tun mir da in erster Linie die Mitarbeiter des Zivildienstes, sowie sämtlicher Rettungs- und Blaulichtdienste, die die Fehlentscheidungen unserer politischen Verantwortungsträger am eigenen Leibe spüren und deshalb stundenlang im Einsatz stehen müssen. Ihrer wertvollen Arbeit gebührt hier zweifelsohne eine große Anerkennung.

Ich schlucke den Ärger auf unsere Landespolitik aber wenige Augenblicke später wieder runter und versuche jetzt einmal zu schlafen – was mir nur sehr mäßig gelingt. Das 311 Seiten starke Buch habe ich gerade zu Ende gelesen und ich kann es selbst noch gar nicht richtig glauben. Der wohl einzig positive Aspekt an diesem Samstag.

In der Zwischenzeit hatte sich an Bord des Busses eine regelrechte Tauschbörse mit Getränken, belegten Broten und Ähnlichem gebildet. Schließlich hatten sich nur wenige zuvor an der Raststätte mit Snacks und Getränken eingedeckt und so fühlte man sich kurz in einer echten Notlage. Denn ausgerechnet jener Bus des italienischen Ablegers von Flixbus, in dem wir saßen, verfügte über keinerlei Angebot an Speisen und Getränken – wenn’s schon dumm läuft, dann richtig!

Als wir um kurz nach 22.00 Uhr dann endlich auch die Mautstelle in Sterzing passieren, erwartet uns doch tatsächlich noch ein bis Brixen andauernder Lkw-Stau, der aber in Anbetracht des Stillstands in den vergangenen Stunden eher noch als hinnehmbar abgetan werden kann. Und so schleichen wir weiter der Stadt Bozen entgegen, die wir dann tatsächlich um 23.30 Uhr erreichen. Für jene Passagiere an Bord unseres Busses, die jedoch weiter nach Mailand oder Verona müssen, folgt hier eine sehr negative Nachricht – der Bus muss in Bozen halten. Die Betroffenen müssen sich also um eine Unterkunft bemühen und die Service-Hotline von Flixbus anrufen, um dort ihren entstandenen Schaden einzufordern. Da wirkt das eigene Jammern über die soeben zu Ende gegangenen 13 Stunden ja noch ziemlich harmlos.

Eine kleine Randnotiz und Fazit des Ganzen: Hätte ich diese 13 Stunden pausenlos zu Fuß zurückgelegt, so wäre ich laut einer Einschätzung von Google-Maps zumindest bis Sterzing gekommen und hätte damit wahrscheinlich noch mehr Eindrücke gesammelt. Aber das wäre mir dann doch etwas zu verrückt gewesen.

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