Florian Stumfall

29.04.2021

Wider den Zentralismus

Wann immer im öffentlichen Forum ein neuartiges, vielleicht schwer erklärbares oder gar gefährlich erscheinendes Ereignis eintritt, antwortet die politische Klasse darauf mit einem neuen Gesetz. Wem aber die übergroße Bürokratie von Regierungswesen und Verwaltung ein Ärgernis darstellt, der mag in der Fülle der Gesetze einen Grund suchen. Denn sie alle bestehen nicht nur aus ihrem meist ohnehin viel zu langen Text, sondern auch noch aus einem Vielfachen an Ausführungsbestimmungen. Diese im Alltag Wirklichkeit werden zu lassen, ist Aufgabe der Bürokratie. Wenn dann wieder einmal ein paar hundert unkündbare Planstellen eingerichtet sind, erheben sich aufs Neue die Klage über die Bürokratie sowie die Forderung, Abhilfe zu schaffen. So geht es weiter, bis zu einem Tod durch Wachstum.

Unter Rechtfertigungsdruck: In politischen Notlagen gilt die Einbeziehung der Länder und ihrer Kammer – des Bundesrats – oft als Hindernis für unbürokratische Lösungen. Dabei sind sie eine unverzichtbare Stütze der Gewaltenteilung.

So weit ist die Sache nur misslich. Doch sie geht weiter. Zu bedenken ist nämlich nicht nur die Zahl von Vorschriften, sondern auch ihre Art und Wirksamkeit. Aus beidem zusammen ergibt sich, was man den Gesetzesdruck nennt. Das jüngste Beispiel einer Gesetzgebung solcher Art, das danach ruft, genannt zu werden, sind das sogenannte Infektionsschutzgesetz und – als Beleg schlechter Regierungsarbeit – seine Novellierung zu einem Zeitpunkt, als die Druckerschwärze des ursprünglichen Textes noch nicht trocken war. Was aber die Art dieses Pakets angeht, so hört es auf, ein Ärgernis zu sein und wird zur Gefahr.

Ein unstillbarer Drang

Im Zusammenhang damit hat sich ein seltenes Beispiel von misstrauischem politischen Instinkt Gehör verschafft, das mit dem Wort vom „Ermächtigungsgesetz“ laut geworden ist. Der historische Bezug ist zwar kühn, was aber nicht gegen die Kürze und Schlüssigkeit der Gedankenverbindung spricht. Zurückgeführt auf seine wesentliche Wirksamkeit bedeutet dieses Gesetz nichts anderes als eine teilweise Entmündigung der Länder in einer Sache, die deren Zuständigkeit wäre, zugunsten der Zentralgewalt des Bundes.
Ein kurzer Rückblick zeigt, dass das Grundgesetz seit seinem über 70 Jahre währenden Bestehen rund 60 Mal geändert worden ist, so gut wie immer in dem Sinne, dass der Bund Zuständigkeiten an sich gezogen hat, die vormals den Ländern zugestanden hatten, die doch die konstitutiven Elemente des Bundes darstellen und ihm in diesem Sinne vorgeordnet sind.
Selbstverständlich gibt es für diese fortschreitende Zentralisierung wohlfeile Erklärungen. Die aktuelle lautet, das Virus richte sich nicht nach Landesgrenzen und mache nicht vor ihnen Halt. Von der Sachlichkeit her ist dieser Aussage nicht zu widersprechen. Aber dasselbe gilt auch für Großwetterereignisse, die Eichenspinnerprozessionsraupe, Zyklen im Welthandel und für bösartige Ideologien. Deshalb tut es not, die Absicht zu erkennen, die sich hinter einer solchen Banalität verbirgt. Denn die Absicht ist es hier, die das Argument positioniert, mit dem weniger der Kampf gegen ein medizinisches Ereignis als die Mehrung der Zuständigkeiten einer Zentralgewalt vorangetrieben werden soll. Mit dem grenzüberschreitenden Vorwand wird ja auch die Aufblähung des Brüsseler Molochs gerechtfertigt. In der Folge dieser Argumentation führte auf lange Sicht nichts an einer Weltregierung vorbei. Denn unabhängig von der Ebene, auf der es sich abspielt, ist es immer der Zentralismus, der Macht von unten wegnimmt und oben anhäuft.

Gefahr für die Freiheit

Die Meinungen über die Sinnhaftigkeit einer derartigen Entwicklung sind geteilt. Doch eines ist sicher: Sie führt weg von einer freiheitlichen Ordnung. Die Demokratie ist seit den Tagen Solons im siebten Jahrhundert vor Christus in Athen unveräußerlich gekennzeichnet durch die Teilung der Gewalten. Mit jedem Schritt einer Zentralisierung von Zuständigkeiten aber verringert sich die Zahl der Entscheidungsträger. Gewalten werden nicht mehr geteilt, sondern zusammengefasst. Die Kontrolle wird immer weniger, bis sie ganz entfällt. Argumente und Anliegen untergeordneter Einheiten finden keine Berücksichtigung mehr.
Am Ende dieses Weges steht folgerichtig und unausweichlich die Diktatur. Denn es gibt keinen Punkt, an dem es hieße: Bislang war es richtig, die Macht zu bündeln, aber jetzt ist es nicht mehr richtig. Abgesehen davon, dass die Macht die handelnden Personen allzu sehr lockt, diese zu vermehren, wie man heute schon sieht, fehlt das Argument, das jenen Punkt der Umkehr darstellen könnte – im Gegenteil: Dadurch würde die ganze Ideologie in ihrem Widerspruch scheitern.
Hierher gehört auch der Umstand, dass die beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Deutschland, der Nationalsozialismus ebenso wie der Sozialismus, den Föderalismus abgeschafft haben. Im Dritten Reich wurden die Länder gleichgeschaltet; formal weiterbestehend, hatten sie keinerlei Macht mehr. In der DDR wurden sie völlig getilgt.

Das Ende jeden Wettbewerbs

Die Gefahr wird dadurch noch erhöht, dass der Zentralismus nicht nur eine Form staatlicher Organisation, sondern ein Gedanke von umfassendem Anspruch ist. Er lehnt wie im Staatsaufbau so auch in der Gesellschaft den Wettbewerb unterschiedlicher Gedanken und Meinungen grundsätzlich ab. Dem Wettstreit von Ländern und Regionen entspricht hier das Für und Wider einer akademischen Debatte oder auch nur eines politischen Gedankenaustauschs im kleinen Kreis.
Doch auch darum ist es immer schlechter bestellt. Von der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das unsägliche Netzwerkdurchsetzungsgesetz über das Ausschließen missliebiger Professoren aus den Medien bis zum Einsatz der Ordnungsbehörden gegen empörte Demonstranten, die ihre Grundrechte einfordern, geht die Entwicklung hin zur Zentralisierung der Welterklärung im Sinne der Regierung. Sachverhalte, auch solche naturwissenschaftlicher Art, werden mit einem ideologischen Vorbehalt versehen. Was von der Zentralmeinung abweicht, wird moralisch geächtet.
Die Wirklichkeit hat sich am politischen Ziel zu orientieren. Die überbordende Gesetzgebung aber und der damit verbundene Gesetzesdruck auf den Bürger, eingangs beklagt, ist Mittel und Kennzeichen eines solchen Staates.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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