Max Kurz

15.01.2022

Sturm auf das US-Kapitol

Die Rede des US-Präsidenten Joe Biden zum Jahrestag des Sturms auf das Kapitol hat ausreichend Potenzial ein historisches Beispiel amerikanischer Rhetorik zu werden. Kaum eine andere Ansprache gegen Spaltung innerhalb der Gesellschaft wurde derart vielseitig in Foren diskutiert. Kurz & Wilhelm Kommunikation, eine Münchner Agentur für Kommunikation in Wirtschaft und Politik, hat den Redebeitrag analysiert.

Trump-Anhänger hatten Anfang Jänner 2021 den Sitz des US-Kapitol erstürmt. - Bild: APA/AFP/GETTY

Am Jahrestag der Kapitol-Erstürmung wendeten sich Joe Biden und seine Vize-Präsidentin Kamala Harris, von einem geschichtsträchtigen Ort aus, an die US-amerikanische Nation: Der Statuary Hall in Washington. Dieser Saal im Kapitol, auch besser bekannt als „Old Hall of the House“, gleicht baustilistisch einem antiken Amphitheater und prunkt durch Statuen und Marmorsäulen. Kein anderer Raum in den Vereinigten Staaten hätte ein stimmigerer Veranstaltungsort für diesen Gedenktag sein können.

Von einer schlicht gehaltenen Rundbühne aus, mit zwei Flaggen und dem präsidentiellen Rednerpult ausgestattet, richteten sie ungewohnt scharfe Töne an das amerikanische Volk. Bevor der Präsident die Bühne betrat, ergriff seine Stellvertreterin das Wort. Biden stand mit etwas Abstand, jedoch gut erkennbar mit FFP2-Maske, im Hintergrund. Der Mund-Nasen-Schutz lässt sich als eindeutiges politisches Detail in Bezug auf die aktuell schwierige Covid-Lage in den Vereinigten Staaten und den umstrittenen Umgang seines Vorgängers während der Pandemie deuten.

Am Ende ihrer Rede kündigte Harris den US-Präsidenten an, berührte seinen Arm am Rednerpult, symbolisch vergleichbar einer Auswechslung im Fußballsport. Diese kleine Geste signalisiert die Geschlossenheit innerhalb des politischen Lagers, besonders zur Haltung über den Sturm auf das Kapitol.

Vom Moment der Begrüßung an, suchte Biden den direkten Blick in die Kamera und zu den Zusehern. Der US-Präsident bemüht sich ruhig zu sprechen, ein Gegenpol zu den einst so lauten Reden der letzten Jahre. Doch verging keine Minute, bis dass die – aus dem Wahlkampf noch bekannte – „Bedrohungs-Rhetorik“ zu Tage kam. Die Bedrohung der Institutionen, der Freiheit und auch der Einheit des Volkes sind das Hauptthema der Rede, was zu erwarten war, da diese Themen in beinahe jeder westlichen Demokratie zum gegenwertigen Zeitpunkt als Redeinhalt genutzt werden könnten und große Emotionen beim Hörer auslösen.

Ungewohnt war aber der beinahe strenge Ton von Joe Biden, die direkten Andeutungen und Ansprachen auf seinen Amtsvorgänger, ohne den Namen zu erwähnen. Wenn sich der US-Präsident auch in der Vergangenheit bemühte, Alt-Präsidenten außen vor zu lassen, so ist der Tenor seines Beitrages klar und deutlich. Biden brachte seine bekannte „Hell-Dunkel-Symbolik“ zum Schein, ein rhetorisches Stilmittel, welches er in den TV-Duellen des Wahlkampfes bereits gegen Trump richtete und mit der Zeit immer verfeinerte.

Aufbau und Inhalt der Rede ähneln einer christlichen Predigt in einer Südstaaten-Kapelle: „Werden wir eine Nation sein, die politische Gewalt als Norm akzeptiert? Werden wir eine Nation sein, die nicht im Licht der Wahrheit, sondern im Schatten der Lüge lebt? Wir können es uns nicht erlauben, eine solche Nation zu sein. Der Weg nach vorn besteht darin, die Wahrheit zu erkennen und nach ihr zu leben.“

Die einseitigen Appelle des Präsidenten könnten rhetorisch problematisch aufgenommen werden. Nur gegen Spaltung zu argumentieren, den republikanischen Teil des Volkes in der Rede aber nicht mit in das Boot zu holen, wurde besonders in den politischen Foren als populistisch und kontraproduktiv gesehen. Auf der anderen Seite finden sich auch viele Biden-Kritiker in den Kommentaren wieder, welche seine Rede als mutig und außergewöhnlich betrachten.

Zusammengefasst war die Rede eine stimmige, ineinander schlüssige Leistung, eine der besten Reden, die man vom neuen US-Präsidenten hören konnte. Vielleicht sogar die Beste. Biden erfand sich für diesen Anlass neu, blieb sich in seiner grundsätzlichen Kommunikationsart aber dennoch treu. Wie sehr die Rede aber zur Einheit des Volkes beigetragen hat, lässt sich schwer beurteilen.

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