Florian Stumfall

14.07.2022

Knebelung des Geistes

Vor Kurzem war an der Metropolitan Opera in New York der Beschluss ergangen, sich an einer Parade der sogenannten LGBTQ-Bewegung zu beteiligen. Das störrische Kürzel umfasst Menschen, die ein von der Norm abweichendes sexuelles Selbstverständnis sowie das davon abgeleitete Verhalten eint. Zudem trägt man diese höchst persönliche Gegebenheit in einer lockeren Form der Organisation ohne erkennbare Hemmungen nach außen und leitet davon spezifische Rechte ab. Die Met also würdigt diese Bemühungen durch ihre Teilnahme an der Parade.

Die Leitung der Humboldt-Universität in Berlin sagte kurzerhand einen Vortrag einer anerkannten Biologie-Doktorandin ab und steht nun in der Mitte eines Kulturkampfes um Trans-Rechte (Symbolbild: Ischias08 / wikipedia).

In einer freien Gesellschaft muss jeder das Recht haben, sich zu solchen wie zu anderen Erscheinungen seine Meinung zu bilden und diese auch auszudrücken. Möchte man meinen.
Dass es sich bei dieser Annahme aber um einen schweren Irrtum handelt, musste jüngst ein Weltstar, der bedeutende deutsche Bassist René Pape, erfahren. Er, der regelmäßiger Gast auf der Bühne der Met ist, hatte sich die Freiheit genommen, seine Ansicht zu der Beteiligung von Met- Solisten an jener „Pride-Parade“ kundzutun. Er sagte: „Menschen, die nicht wissen, wer sie sind, benutzen dieses fantastische Haus, um anderen zu erklären, wer sie sein sollen! Und wenn dies als Erklärung nicht passt, dann ist die Welt schlecht.“ Und kündigte an, er werde an der Met nicht mehr singen.

Angriff auf die Meinungsfreiheit

Sollte aber Pape geglaubt haben, damit sei die Sache für ihn erledigt, so befand er sich im Irrtum. Es stürzte über ihn herein, wofür man im Deutschen den hässlichen Ausdruck „Shitstorm“ eingeführt hat, und zwar mit einer derartigen Heftigkeit, dass sich der Sänger diesem Druck beugte und eine Entschuldigung vorbrachte. Mehr noch: Er gestand, auch er gehöre einer verfemten Minderheit an, weil er ein Alkoholproblem habe, und außerdem sei er in der DDR aufgewachsen. Auf diese Weise suchte er sich der wütenden Meute anzudienen. Ob eine solche Selbstentäußerung ausreicht, um den Zorn zu besänftigen, wird sich zeigen. Ansonsten könnte Papes Wort, er werde nicht mehr an der Met singen, wahr werden, wenn auch gegen seinen Willen.
In Ruhe betrachtet, handelt es sich bei dem Vorgang um die Beschneidung des Rechts der freien Meinungsäußerung. Was aber im Dunkeln bleibt, ist die Antwort auf die Frage, gegen welches Recht Pape verstoßen habe, und vor allem, wer oder welche Gruppierung es ist, die sich anmaßen darf, ohne Auftrag, Zuständigkeit und Legitimation ein Grundrecht außer Kraft zu setzen. Denn es kann nicht angehen, dass einige tausend organisierte Klicks im Internet schwerer wiegen als die kodifizierte Rechtsordnung. Doch tatsächlich scheint es so, als würde die politische Entscheidungsgewalt von den verfassungsmäßigen Gremien zu den sozialen Medien abwandern.

Abgesagter Vortrag

Handelt es sich im Falle Pape noch um die Verweigerung des Rechts auf Meinungsäußerung, so bezeichnet ein anderes Exempel aus der Welt der Wissenschaft einen anderen Höhepunkt der Knebelung des Geistes. An der Humboldt- Universität in Berlin war vor Kurzem ein Vortrag der Doktorandin im Fach Biologie Marie-Luise Vollbrecht angekündigt worden, der den Titel tragen sollte: „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt.“ Dies Letztere hat im Vorfeld Studentenvertreter derart aufgebracht, dass sie einen wütenden Widerstand gegen die Veranstaltung organisierten. Die Leitung der Universität, biegsam wie ein Rohr in Sturm und Streit, sagte daraufhin den Vortrag ab.
Kein Zweifel: Auch hier ein massiver Eingriff in das Rederecht, wenn auch von anderer Qualität. Denn beim Fall Pape handelte es sich um eine reine Meinungsäußerung, die mit erheblichem Druck unterbunden wurde. Bei der Doktorandin Vollbrecht aber wird eine wissenschaftliche Tatsache geleugnet, die in ihrem objektiven Charakter keiner Mehrheit und umso weniger dem Votum einiger Fanatiker unterworfen ist. Doch es beugen sich ihm widerspruchslos Wissenschaft, Politik, Großindustrie, der Kulturbetrieb und die Medien. Wer’s nicht tut, wird als Extremist verfemt.

Leugnung der Wirklichkeit

Das Beispiel, auch dieses eines von vielen, zeigt indes, dass die Ideologie die Wirklichkeit zu ihrem Spielball gemacht hat. Was aber die Aussage der Biologin angeht, nur ein kurzer Gedanke: Die Paläoanthropologen können aus den Resten menschlicher Gebeine, die fünf-, acht- oder zehntausend Jahre alt sind, zweifelsfrei feststellen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat. Die Propheten des Genderismus können das nicht einmal am lebenden Objekt.
Auch hier aber stellt sich wieder die Frage: Wer ist dazu legitimiert, den Augenschein zu leugnen, die Wirklichkeit zu missachten und die europäische Geistesgeschichte aufzulösen? Welchem Rechtsgut soll hier gedient, welche Erkenntnis gefördert werden? Wer maßt sich in wessen Auftrag an, Natur und Naturwissenschaft zu ändern, anstatt ihre Verästelungen zu erforschen?
In ihrem Buch „Die neue Schweigespirale“ schreibt die Politik-Professorin Ulrike Ackermann: „Es häufen sich Auftrittsverbote gegenüber Gästen, die von außerhalb eingeladen werden. Freies, unbändiges und kontroverses Denken in offenen Arenen scheint der Vergangenheit anzugehören. Stattdessen sind sogenannte Safe Spaces ausgerufen worden, die das freie Denken und Sprechen einhegen und reglementieren.“
Wie sehr diese ebenso abartige wie angriffige Gedankenwelt gegen die Wirklichkeit steht, zeigt die Konfrontation mit dieser. Deutschland und Europa stehen in einem Netzwerk von Krisen: Der Euro muss seit Jahren subventioniert werden, die Inflation nimmt Fahrt auf, die Energie wird knapp, und die Wirtschaft kommt dadurch ins Wanken, Lebensmittelknappheit droht, und die Welt erlebt gleichzeitig zehn oder zwölf Kriege, einen davon sogar in Europa, zum ersten Mal seit den Jugoslawienkriegen. Die Politiker in Berlin aber beschließen ein Gesetz, gemäß dem jeder sein Geschlecht aussuchen und einmal pro Jahr wechseln kann.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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