Florian Stumfall

30.09.2021

Feinde des Geistes

Dass es nach der 16-jährigen unseligen Ära Merkel auch um die Meinungsfreiheit in Deutschland schlecht bestellt ist, das pfeifen manche Spatzen von den Dächern. Seit 1949 durfte es im Westen des Landes und seit 1989 auch im Osten keine Regierung wagen, derart in das von der Verfassung verbriefte Grundrecht einzugreifen, wie es die scheidende Kanzlerin getan hat. Doch auch der Blick in die Zukunft ist verdüstert. Denn die Gleichung: „Merkel fort – Meinungs- und Redefreiheit wieder hergestellt“ geht nicht auf. Das System der Zensur hat sich verfestigt, nicht zuletzt in gesetzlichen Vorgaben, die zwar verfassungswidrig, aber dennoch wirksam sind.

Aus DDR-Zeiten prangt sie noch immer im Hauptgebäude der Humboldt-Universität: Karl Marx’ elfte Feuerbach-These (Quelle: Berlinuno, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons).

Das gilt für alle Lebensbereiche, für einen aber in hervorgehobenem Maße, nämlich für die universitäre Welt der Wissenschaft. Denn die Hochschulen gelten seit dem Beginn der Neuzeit in Europa als der Hort des freien Forschens und Lehrens, als Feld der Debatten-Kultur, auf dem einander widersprechende Ansichten und Lehren zusammentreffen und gegeneinander aufgewogen werden, als Geburtsort des geistigen Fortschritts, der diesem Wettkampf entspringt, und als heiliges Forum, wo all dies ohne sachfremden Einfluss von außen ablaufen kann. Man hat das ehedem die akademische Freiheit genannt.

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit

Doch damit scheint es vorüber zu sein. Die akademische Freiheit droht einem Kulturbruch von historischem Ausmaß zum Opfer zu fallen. Immer öfter werden im Hochschulbetrieb deutschlandweit missliebige Themen abgesetzt, Beweisführungen unterbunden und Professoren daran gehindert, ihren Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Es kommt zu Bedrohungen und tätlichen Angriffen. Meistens sehen sich die Hochschulen außerstande, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, wenn ihm nicht sogar die Verantwortlichen resignierend oder mit offenkundiger Sympathie Vorschub leisten.
Das Für und Wider in einer Debatte gehört zu den Grundbestandteilen einer akademischen Auseinandersetzung. Doch eine randalierende Linke unterbindet an den Hochschulen mehr und mehr den Wettstreit der Gedanken, indem sie auf sachliche Argumente mit moralischer Diskriminierung antwortet. So sind die Vorwürfe, die von dieser Seite erhoben werden, keine fachbezogenen Einwände, sondern Totschlag- Begriffe wie „Rassist“, „Islamfeind“, „Menschenfeind“ und natürlich „Rechtsextremist“, wobei auch alle einbezogen sind, die mit einem solcherart verfemten Wissenschaftler zusammenarbeiten oder ihm auch nur ein Forum bieten. Diese Anwürfe und manche ähnliche werden ständig eingesetzt, völlig unabhängig von dem Thema, das in Rede steht.
Das hat dazu geführt, dass sich zutiefst beunruhigte Hochschullehrer im Dienst an der Freiheit der Wissenschaft zusammengefunden haben, um nach Möglichkeit Abhilfe zu schaffen Am 3. Februar dieses Jahres traten sie erstmals an die Öffentlichkeit und gaben die Gründung des „Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit“ bekannt. In ihrer Presseerklärung heißt es: „Im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit haben sich 70 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem deutschsprachigen Raum und unterschiedlichen akademischen Disziplinen zusammengeschlossen.“

Die akademische Freiheit droht einem Kulturbruch von historischem Ausmaß zum Opfer zu fallen

Es handelt sich also dabei um akademisches Spitzenpersonal, das sich gezwungen sieht, in der Gesellschaft um Verständnis und Hilfe für ein Anliegen zu werben, das im Grundgesetz in eben demselben Artikel 5, Absatz 3 verbrieft ist, der eigentlich auch die Meinungsfreiheit garantieren sollte. Kein Wunder, dass die Gründer des Netzwerkes auch die Freiheit der Wissenschaft gefährdet sehen.
Ihre Sorge gelte „einer zunehmenden Verengung von Fragestellungen, Themen und Argumenten in der akademischen Forschung. Vielerorts ist an den Universitäten ein Klima entstanden, in dem abweichende Positionen und Meinungen an den Rand gedrängt und moralisch sanktioniert werden. Diese Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit folgen häufig einer ideologischen oder politischen Agenda. Sie behindern eine rationale und ergebnisoffene Suche nach Erkenntnis, die den Kern der Freiheit der Wissenschaft und der Tradition der Aufklärung ausmacht.“
Darin ist ein System zu erkennen. Die Ideologen betrachten die Welt nicht in der Art und Weise, wie sich diese darstellt, sondern aus der Perspektive der Position, die sie nach ihrer Meinung einnehmen sollte, also nicht nach dem Hier und Heute, sondern nach ihrer Utopie. In dieser Sichtweise spiegelt sich das Wort von Karl Marx wider, der in seiner elften Feuerbach- These gesagt hat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt darauf an, sie zu verändern.“

Konflikt mit Realitäten

Da also die Ideologen nicht von den Gegebenheiten, sondern von ihrer Zielvorstellung aus argumentieren, sind sie gezwungen, alles auszumerzen, was dem widersteht. Das Messen ihrer Vorstellung an der Wirklichkeit wäre das Ende der Träume, daher der immerwährende und auch im Bereich der Wissenschaft auftretende Konflikt mit den Realitäten, der auch in den Diktaturen der National-Sozialisten wie der Komintern-Sozialisten manifest geworden ist. Baerbocks Speichern von Strom im Netz ist nur eine Fußnote zu dieser grundlegenden Erscheinung.
So kann es nicht erstaunen, dass eine Gegenbewegung wie das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ nicht die erste Bemühung zu diesem Gegenstand ist. Denn im Jahr 1970 wurde deutschlandweit der „Bund Freiheit der Wissenschaft“ gegründet, eine Vereinigung von Hochschullehrern aller Disziplinen und ebenso überparteilich wie das „Netzwerk“. Der Bund aber war eine unmittelbare Antwort auf den Angriff gegen die Freiheit der Wissenschaft durch die 68er Revolte.
Im Jahr 2015 wurde der „Bund Freiheit der Wissenschaft“ aufgelöst. Zu früh, wie man heute weiß. Denn die heutigen Bilder gleichen den gestrigen: Unliebsame Themen werden gestrichen, nicht fügsame Professoren niedergeschrien und tätlich bedroht. Wer die Freiheit von Forschung und Lehre einfordert, wird diffamiert als Faschist oder Nazi, jedenfalls rechtsextrem und im akademischen Betrieb nicht nur entbehrlich, sondern störend. Denn die Ideologen haben einen unumstößlichen Glaubenssatz, über alle Wissenschaft hinweg: Ihre Utopie zählt mehr als die Wirklichkeit.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Möchtest du die neuesten Meldungen auch auf Facebook erhalten?

Hier
klicken

Neueste Meldungen

Welschtirol

Premio Innovazione Euregio

0 Kommentare · 25.04.2024
Südtirol

Chemieolympiade: Junge Südtiroler zeigen ihr Können im Landeswettbewerb

0 Kommentare · 25.04.2024
Welschtirol

Nuovo ispettore dei VVF

0 Kommentare · 25.04.2024
Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite