Redaktion UT24

30.09.2014

Etymologie der Heimat

Erbaut im 12. Jahrhundert: Schloss Tirol Foto: flickr.com/southtyrolean/cc

von Cristian Kollmann

Die Herkunft und Bedeutung von Orts- und Flurnamen liegt, besonders im Tiroler Raum, sehr oft im Dunkeln. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Tirol blickt auf eine abwechslungsreiche, doch weitgehend kontinuierliche Siedlungs- und Sprachgeschichte zurück. In einer Zeit, in der es noch keine Schriftsprachen gab, war die Benennung des Raumes, in dem sich der Mensch bewegte, bereits voll im Gange. Schon immer standen Orts- und Flurnamen für Einzigartigkeit. Sie markieren ein geografisches Objekt unmissverständlich und dienen der Orientierung.

Sie wurden vielfach in Sprachen vergeben, die hierzulande mittlerweile nicht mehr gesprochen werden und auch anderswo ausgestorben sind. Zu diesen Sprachen gehören u.a. eine vorindogermanische Sprache mit Affinitäten zum mediterranen Raum, ferner jeweils eine Art alpin geprägtes Venetisch und Illyrisch (Ostalpenindogermanisch A und B), das indogermanische Keltische, das nicht indogermanische Rätische sowie, je nach Gebiet, das Alpenromanische, aus dem das spätere Ladinische hervorgegangen ist.

Über Jahrhunderte, manchmal auch über Jahrtausende, wurden die in einem Ort oder einer Region gebräuchlichen Orts- und Flurnamen von einer Generation an die nächste mündlich weitergereicht und konnten den Sprachwechsel der Siedler überdauern. Die jeweils neuen Siedler übernahmen die Orts- und Flurnamen der Vorbevölkerung, passten sie ihrer Sprache an und prägten daneben, meist im Zuge des Siedlungsausbaus und der fortschreitenden Umwandlung von Natur- in Kulturlandschaft, neue Namen.

Ortsnamen stehen für Einzigartigkeit

Die Orts- und Flurnamen in Tirol sind also ganz unterschiedlichen Alters und stammen aus ganz unterschiedlichen Sprachschichten – in der Sprachwissenschaft spricht man von so genannten „Strata“ (Plural von lateinisch strātum ‘Schicht’). Je älter ein Name, um so schwieriger wird es, dessen Etymologie, d.h. dessen genaue Herkunft und Bedeutung, herauszufinden. Die Etymologisierung stützt sich auf das Studium der Sprachgeschichte inklusive der Geschichte der bereits ausgestorbenen Sprachen, auf den Sprachvergleich, ferner auf das Beiziehen von Nachbardisziplinen, besonders der Archäologie und Siedlungsgeschichte.

Der Name Tirol ist ein Paradebeispiel für die Schwierigkeiten, die die Deutung eines Namens mit sich bringen kann. Bekanntermaßen wurde mit Tirol ursprünglich nicht das Land, sondern ein Ort bezeichnet. Von diesem ging der Name auf das Schloss, und im Zuge der Gebietszuwächse der Grafen von Tirol vom Schloss auf das Land über. Unerlässlich für Namendeutungen sind die historischen Belege. Im Idealfall werden diese im Original konsultiert, was jedoch recht umständlich sein kann. Als alternative, weitaus häufiger genutzte Möglichkeit bieten sich vertrauenswürdige Sekundärquellen an.

Von Tyrâl …

So auch im Fall des Ortsnamens Tirol. Egon Kühebacher zitiert folgende Belege: 1158 vicus Tyrâl, 1182 de Tirale, 1190 de Tiral. Diese Belege erlauben offenbar einen Ansatz *Tirále (das Zeichen * bedeutet erschlossene Form) sowie einen Vergleich mit Namen, die ebenfalls auf –ale ausgehen: Senale (italienischer Name für Unsere liebe Frau im Walde, italienisch-mundartlich Senàl, Snal), Tonale (italienisch-mundartlich Tonàl, deutsch-mundartlich Tunōl) und Romallo (italienisch-mundartlich Romàl, deutsch-mundartlich Ramāl) am Nonsberg.

Da –ale in Ortsnamen mehrfach in Erscheinung tritt, lässt sich dieser Ausgang als Suffix (Nachsilbe) interpretieren. Ein Vergleich mit dem lateinischen Suffix -ālis (wie locālis ‘örtlich’, novālis ‘Neubruch’) ist naheliegend. Allerdings können die genannten Ortsnamen nicht lateinischer oder romanischer Herkunft sein, da sich deren jeweilige Basis (Tir-, Sen-, Ton-, Rom-) im Lateinischen / Romanischen nur schwer anknüpfen lässt. Das Erscheinungsbild insgesamt dieser Namen spricht vielmehr für vorrömische Herkunft. Als namengebende Sprache ist am ehesten das Rätische in Betracht zu ziehen. Die Räter waren die Träger der so genannten Fritzens-Sanzeno-Kultur und lebten, neben anderen Volksstämmen, im Tiroler Raum im 1. Jahrtausend vor Christus.

… zu Tirol

Als erste Sprache Tirols ist das Rätische auch schriftlich überliefert. Die Ãœberlieferung ist jedoch recht bescheiden: Es handelt sich um ca. 100, sehr kurze Inschriften in Runenalphabet, von denen die meisten in Sanzeno (deutsch Sankt Sinnen) am Nonsberg gefunden wurden. Ãœber eine Verwandtschaft zwischen dem Rätischen und dem ebenfalls nicht indogermanischen Etruskischen, das weiter südlich im späteren Italien beheimatet war, wurde in der Sprachgeschichte sehr oft spekuliert. Erst dem Etruskologen Helmut Rix  ist es 1998 gelungen, die Verwandtschaft zwischen den beiden Sprachen endgültig zu beweisen. Eine Gemeinsamkeit zwischen dem Rätischen und Etruskischen ist beispielsweise der vorgenannte Ausgang –ale. Helmut Rix interpretiert ihn als Kasus (Fall) und bezeichnet diesen als Pertinentiv, nach seiner Definition ein Lokativ (Fall des Ortes) zum Genitiv (Fall der Zugehörigkeit).

Der Pertinentiv hat somit die Funktion, ein Objekt oder ein Individuum örtlich und personell zuzuordnen. *Tirále könnte daher am ehesten ‘im Bereich einer Person namens *Tir-’ bedeutet haben. Zwar ist ein Personenname *Tir- weder im Rätischen noch im Etruskischen bezeugt, doch auf Grund der dürftigen schriftlichen Ãœberlieferung besonders des Rätischen wäre ein tatsächlicher Beleg dieses Personennamens mehr als ein glücklicher Zufall. Im Lateinischen trifft man jedoch in der Tat auf den Personennamen Tīro (Genitiv Tīrōnis). Dieser dürfte, was auch bei einer Reihe von weiteren Personennamen recht häufig der Fall ist, aus dem Etruskischen entlehnt sein.

Rätische Struktur

Die Zahl der überlieferten Inschriften des Etruskischen ist, im Vergleich zu jener des Rätischen, mit 10.000 durchaus respektabel, doch auch im Etruskischen lässt sich ein entsprechender Personenname nicht finden. Dessen genaue Bedeutung bleibt somit bis auf Weiteres unklar. In Bezug auf den Namen Tirol bedeutet das Dargelegte: Einstweilen lässt sich festhalten, dass dieser der Struktur nach rätisch anmutet, und das Motiv für die Benennung des Ortes ein herausragender Bewohner, z.B. der Vorsteher der Siedlungsgemeinschaft, war. Rätisch *Tirále wurde von den Romanen praktisch unverändert übernommen und erfuhr keine speziellen Anpassungen.

Im Hochmittelalter, frühestens etwa um 1100 herum, wurde der Name eingedeutscht. Im Deutschen blieb er zunächst ebenfalls unverändert. Zu einem späteren Zeitpunkt, um 1200 herum, wurde das a von Tirale über Ã¥ zu o verdumpft: Tirále > *TirÃ¥le > TirÃ¥l > Tirol. Das o, das im Grunde typisch mundartlich ist (vgl. mundartlich Tōl ‘Tal’, Wōl ‘Waal’) konnte sich ausnahmsweise auch in der Schreibung durchsetzen. Vielleicht war man in adeligen Kreisen darauf bedacht, dem Wandel von a zu o als lautliche Neuerung Rechnung zu tragen und ihn im repräsentativen Namen Tirol durchblicken zu lassen.

In den meisten Tiroler Mundarten ist dieses Tirol zu Tiroul, örtlich Troul geworden. Diese Aussprache hört sich so an, als ob altes o vorausläge (vgl. mundartlich toul ‘toll’, woul ‘wohl’). Hierfür gibt es folgenden Grund: Mit der Zeit wurde die Form Tirol als rein schriftsprachlich aufgefasst und daher begann man, sie in der Mundart hyperkorrekt Tiroul > Troul auszusprechen. Für das Eisacktal dagegen notiert Josef Schatz  1955 noch die „korrekte“ Formen mit å: Tirål. Diese zeigt die ältere Entwicklungsstufe, auf der, wohl schon im Hochmittelalter, schließlich auch der italienische Name Tirolo gebildet wurde.

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