Ein Blog von

Georg Dekas

18.11.2019

Die Flutwandler

Die Aktionen der STF und ihrer „Kameraden von den Schützen“ miesmachen heißt auf den Pegel starren ohne die Flut zu sehen.

APA (AFP)

Die Kleinpartei „Süd-Tiroler Freiheit” ist mit zwei Abgeordneten (auf 35) im Bozner Landtag vertreten. Im Herbst 2019 hat sie (wieder einmal) breite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zuerst mit dem (zunächst angenommenen) Antrag, die nicht offizielle Landesbezeichnung „Alto Adige“ aus einem Gesetzentwurf zu entfernen, in den sie fälschlicherweise als offizielle Landesbezeichnung Europa gegenüber hineingeschmuggelt worden war. (Dazu ein anderer Blog). Es folgten zwei mediale Auftritte. Ein Leuchtplakat vor dem Bozner Krankenhaus mahnte: „Hier stirbt das Recht auf den Gebrauch der Muttersprache“. Tage später wurde zum Gedenken an den 11. November 1919 der alte Grenzstein am Brenner mit einem blauen Tuch verhüllt, darauf die Schrift „Sondermüll – Weg mit den Unrechtsgrenzen im vereinten Europa“.

Mit diesen beiden, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn grenzwertigen Botschaften erntete die „Bewegung“ viel Gegenwind. „Das geht gar nicht“, äußerte sich der Tiroler Bundesland-Hauptmann Günther Platter zum Mini-Christo-Akt am Brenner. (Vielleicht hat er sich den Spruch gar nur von den bayerischen und italienischen Gegnern seines Transitstopps ausgeliehen).

Die Südtiroler Presse und Volkspartei ging mit den Aktionen der Kleinpartei STF weit weniger redlich um. „Eine billige Art, an Wählerstimmen zu kommen“ brach die „Dolomiten“ den Stab über die Rotweißroten (nebenbei, die teure Art kennt man gut von Regierungsparteien und deren Aktionen mit Steuergeld). Die Lehrer- und Beamtenpostille FF sieht Sven Knoll und Freunde als meisterhafte Provokateure „ewig im Gestern“. Ihren eigenen Titel „Unsere tägliche Provokation gib uns heute“ findet die Wochenzeitung hingegen ganz normal und keineswegs grenzwertig gegenüber christlichen Konfessionen.

Beide Blätter unterstellen, die STF würde betrügerisch und hinterlistig handeln, weil sie die aufgezeigten Probleme mit den verwendeten Mitteln gar nicht lösen, sondern nur den „ethnischen Unfrieden“ heraufbeschwören und politisch „zündeln“ wolle. Es sei noch kein Patient des öffentlichen Krankheitsbetriebes an fehlenden Sprachkenntnissen gestorben, antworten die STF-Kritiker völlig unbewiesen und treuherzig naiv auf die unverstandene Hyperbel des STF-Plakats.

Das umstrittene Plakat fordert aber nichts anderes als gleiche Qualität. In diesem Fall, dass Ärzte, die in Südtirol Patienten GUT behandeln wollen, eben (auch) Deutsch können müssen. Was wahr ist. „Gut“ steht da, nicht knapp am Tod oder Invalidität vorbei. Man kann über das gewählte Stilmittel streiten, aber die Forderung an sich ist nicht von der Hand zu weisen, ebenso wenig ihre Aktualität. Der Partei hier unlautere Absichten zu unterstellen ist das gleiche, als ob jemand sagen würde, ein Kaufmann verkaufe seine Ware nur um des schnöden Geldes wegen.

Mag sein, dass die aufgeworfenen Fragen vielen Landsleuten fern liegen. So, wie sich vor dem 14. November niemand vorstellen wollte, wie das Leben im Pustertal so ganz ohne Strom, Auto und Bahn sein würde. In politischer Hinsicht ist es doch auch so, dass die Mehrheit der Leute heute satt und matt ist. Die Südtiroler scheinen nicht mehr an eine noch besser funktionierende, dafür aber weniger fette Zukunft zu glauben.

Aus reiner Bequemlichkeit überspielen sie die Lebenspfeiler Gerechtigkeit, Zusammengehörigkeit, Kultur und gute Ordnung, nur um niemanden auf den Zeh treten zu müssen. Das geht an bei Hans und Gretel, bei Moni und Toni. Politische und journalistische Spitzen hingegen dürfen und müssen einen Gang mehr drauf haben. Wer von ihnen am Hebel sitzt, muss handeln. Ihren Beifahrern muss es erlaubt sein, auf unbequeme Dinge, Hindernisse und Abgründe hinzuweisen.

Zum Beispiel, dass das, was einst die Nazis aus dem Süden nicht schafften, die Südtiroler jetzt spielend selber und buchstäblich „mit links“ erledigen in Sprache, Ortsnamen, Bauweise, Lebensart und politischem Denken. Und dass, wenn das so weitergeht, das Verfallsdatum für die Rechte einer Minderheit ganz nahe rückt.

Friede und Zusammenleben sind hohe Güter und allzeit erstrebenswert. Beide müssen, wie Venedig in diesen Tagen wieder einmal zeigt, auf vielen tausenden von festen Eichenpfählen und Karststeinen ruhen, um eine ehrwürdige und wunderschöne Stadt nicht ganz dem eindringenden Hochwasser zu überlassen (und dennoch ist des Menschen Werk nie vor dem Untergang gefeit). Die Aktionen der STF und ihrer „Kameraden von den Schützen“ (ff) miesmachen heißt auf den Pegel starren ohne die Flut zu sehen.

 

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