
Lorenz Puff
Der Zoggler-Stausee als Modell für ökologischen Rückbau und regionale Erneuerung

Vom Energiepuffer zur infrastrukturellen Altlast
Die Ereignisse vom 13. Mai 2025 sind symptomatisch für die Alterung vieler europäischer Talsperren. Am Fuße des Zoggler-Stausees traten plötzlich bis zu 15 m³ Wasser pro Sekunde aus einem Inspektionsstollen aus. Der Ursprung: unbekannt. Selbst spezialisierte Unterwasser-Drohnen und Tauchtrupps konnten die Leckstelle bislang nicht eindeutig lokalisieren. Eine Beschädigung einer internen Verbindungsmauer gilt als wahrscheinlich.
Klar ist: Die Anlage ist akut instabil, ein geordneter Betrieb derzeit unmöglich. In Reaktion darauf plant der Damm-Betreiber Alperia, den Falschauer-Zufluss direkt in den Druckstollen nach St. Pankraz umzuleiten – eine Maßnahme, die de facto zur vollständigen Trockenlegung des Stauraums führen würde. Technisch gesehen bedeutet dies eine temporäre Stilllegung des Stausees – die Voraussetzung für eine grundlegende Neubewertung seiner Zukunft.
Rückbau statt Sanierung: Eine wirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Alternative
Statt einer potenziell kostenintensiven Sanierung eines überalterten und schwer zugänglichen Bauwerks, rückt ein vollständiger Rückbau ins Blickfeld. Der technische Aufwand dafür ist erheblich, aber machbar:
- Schrittweiser Wasserablass unter kontrollierten Bedingungen zur Stabilisierung der Böschungen.
- Geotechnische Sicherung der Talflanken gegen Hangrutschungen.
- Abbau der Beton- und Staubauwerke, teils durch Sprengung, teils mechanisch.
- Sedimentmanagement zur Wiederherstellung der Flussmorphologie (Ablagerungen müssen teils abgetragen, teils naturnah umgelagert werden).
- Renaturierung: Rekonstruktion eines dynamischen Flussbetts, Wiederansiedlung autochthoner Auenvegetation und Schaffung neuer Lebensräume für Amphibien, Insekten und Fische.
Dabei kann auf umfangreiche Erfahrungswerte aus internationalen Rückbauprojekten zurückgegriffen werden – darunter spektakuläre Beispiele wie der Rückbau des Elwha-Damms in den USA oder der Sélune-Staustufen in Frankreich. In Europa wurden allein imJahr 2023 über 325 Barrieren rückgebaut – eine Bewegung, die durch wissenschaftliche Studien untermauert wird: Natürliche Fließgewässer reagieren oft binnen weniger Jahre mit einer drastischen ökologischen Erholung.
Chancen für das Ultental: Fläche, Klima, Identität
Ein Rückbau bietet jedoch weit mehr als nur ökologische Vorteile:
- Flächengewinn: Die vormals überflutete Talfläche würde frei – ideal für extensive Landwirtschaft, Naherholung oder innovativen Naturtourismus. Je nach Beschaffenheit könnten viele Hektar nutzbare Fläche zurückgewonnen werden.
- Talklima: Die Wiederherstellung natürlicher Verdunstungs- und Beschattungszonen entlang der Falschauer würde das Mikroklima verbessern. Besonders in den Sommermonaten könnten sich kühlere, feuchtere Kaltluftzonen ausbilden – ein Vorteil für Bevölkerung, Landwirtschaft und Biodiversität.
- Hochwasserschutz: Ein renaturiertes Flussbett mit Rückhalteräumen kann bei Starkregenereignissen Wasser puffern – eine klimawandelangepasste Infrastruktur.
- Sozialer Mehrwert: Der Prozess des Rückbaus, wenn transparent und partizipativ durchgeführt, kann Vertrauen zurückgewinnen und das Bewusstsein für regionale Selbstbestimmung stärken.
Der Blick nach Norden: Parallele zum Reschensee?
Die Diskussion um den Zoggler-Stausee wirft auch ein neues Licht auf ein anderes symbolträchtiges Projekt in Südtirol – den Reschensee im Vinschgau. Auch hier steht ein historisches Unrecht im Raum: die Überflutung von Graun 1950 im Zuge eines Energieprojekts. Der Kirchturm im Wasser ist bis heute Mahnmal und Touristenattraktion zugleich.
Ein Rückbau dort scheint derzeit unrealistisch – zu groß die Energiemengen, zu weit verzweigt die Infrastruktur. Doch die Diskussion ist legitim: Der Reschensee produziert saisonal Strom, unterliegt aber ebenfalls Alterung, Sedimentierungsproblemen und einer gestörten Talhydrologie.
Der Zoggler-Stausee hingegen wäre technisch und gesellschaftlich deutlich einfacher rückbaubar – und könnte damit als Modellprojekt dienen, wie man Rückbau, Renaturierung und Regionalentwicklung intelligent kombiniert.
Fazit: Die Zukunft beginnt jetzt – wenn man sie will
Der Rückbau des Zoggler-Stausees ist keine Utopie mehr, sondern eine realistische Option mit großer Hebelwirkung. Das Ultental könnte sich als Pilotregion für nachhaltige Flusslandschaften positionieren – im Schulterschluss von Bevölkerung, Politik und Wirtschaft.Die Frage ist nicht mehr, ob es möglich ist. Sondern: Wollen wir den Mut aufbringen, diese Chance zu nutzen?
Über den Autor
Lorenz Puff aus Gries bei Bozen ist Gründer von Alchewat, einem innovativen Unternehmen mit Sitz in Bozen, das biophysikalische Systeme zur strukturellen Optimierung von Wasser auf Basis transmaterialer Katalyse entwickelt. Alchewat steht für einen technologisch fundierten, aber ganzheitlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen.

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