Florian Stumfall

14.10.2021

Dekadenz im Westen

Dass wir uns im Westen in einer dekadenten Zeit befinden, daran kann es keinen Zweifel geben. Die vier Erscheinungsformen der Dekadenz sind Wehleidigkeit, Hysterie, Verweigerung der Wirklichkeit und Verlust des Schamgefühls. Was – drittens – die Verweigerung der Wirklichkeit angeht, so haben die Grünen unzweifelhaft Anspruch darauf, als erste genannt zu werden.

Der kurze Traum vom Kanzleramt der Grünen-Chefin Annalena Baerbock: Noch im Frühjahr lag sie vorn in den Umfragen, dann folgte ein Wahlkampf voller Pannen. - Bild: APA

Beginnen wir mit einem Fall, der als harmlos durchgehen könnte, wenn der Verlust des Denkvermögens je harmlos wäre. Ende August meldet das „Handelsblatt“: „Der Bund soll nach Ansicht der Ökopartei in der nächsten Legislaturperiode eine Milliarde Euro zur Förderung von Lastenfahrrädern ausgeben. Auch die private Nutzung soll gefördert werden.“ Was soll man da sagen? Lastenfahrräder also! Warum nicht gleich Leiterwagen mit Ochsen davor? Das bisschen Transportgut, das so ein 40-Tonner Lkw befördert, packen wir da auch drauf. Und sonst muss man halt ein paarmal fahren.

Zwar sind weder Ochse noch Fahrradfahrer gänzlich kohlendioxidneutral, aber immer noch besser als der Lkw. Und was die Milliarde betrifft, so ist sie in der Ära Merkel ohnehin zur kleinsten Rechnungseinheit geschrumpft. Da fallen die „mehreren Millionen“ gar nicht auf, die, um einen Rückgriff ins Außenpolitische zu nehmen, im Haushaltstitel für Afghanistan ausgewiesen sind. Sie sollen ausgegeben werden für „Gender Mainstreaming“ am Hindukusch. Gender mit Turban, Vollbart und Kalaschnikow! Da werden sich die Taliban freuen. Nicht über den GenderQuatsch, sondern über die Millionen. Es wird eine reizvolle Aufgabe für die deutsche Entwicklungshilfe sein, die GenderSternchen und Unter-Striche und Binnen-I ins Paschtu und ins Dari einzuführen. Die Leute dort haben auf nichts anderes gewartet.

Verweigerung der Wirklichkeit

Ein wenig zwischen Verweigerung der Wirklichkeit und dem Verlust des Schamgefühls liegt die Kandidatur für das Amt des Bundeskanzlers durch die GrünenChefin Annalena Baerbock. Vom dem Ergebnis der Wahl einmal ganz abgesehen: Aus den Wahlchancen, und seien sie noch so groß, wird man niemals die persönliche Berechtigung zur Kandidatur ableiten dürfen. Diese nämlich liegt in der fachlichen wie charakterlichen Eignung.
Im Falle Baerbock sind die Grenzen der fachlichen Fähigkeit schon daran erkennbar, dass für sie jeder zusammengesetzte Satz ein Problem darstellt, selbst wenn sie ihn abliest. Ihr Unwissen füllt dicke Bücher. Ihre Fähigkeit, Zusammenhänge zu sehen, oder gar herzustellen, ist unterentwickelt, eine Einsicht in ihre Defizite nicht vorhanden. Positiv ausgedrückt: Es liegt eine Selbstüberschätzung von pathologischem Ausmaß vor. In einem solchen Fall kandidiert man nicht für ein Staatsamt.
Was die charakterliche Eignung angeht, so wecken ihre geschönte Biographie wie auch die Plagiate, derer sie sich schuldig gemacht hat, ernste Zweifel. Soviel, was die Person betrifft. Das reicht aber noch nicht als prominenter Beleg dafür, dass wir es hier mit einer Lage von ausdrücklich dekadenter Art zu tun haben. Denn ein einziger Versager ist noch keine Kultur-Krise. Das Problem liegt vielmehr darin, dass eine ganze Partei diese Konstellation billigt. Die Personalentscheidung Baerbock zeigt einen erschreckenden Mangel an Ernsthaftigkeit. Sie ist es, welche den Beleg dafür liefert, dass der ganze grüne Haufen dekadent ist.

Verlust des Schamgefühls

Jetzt aber kommen wir endgültig zum Schamgefühl, und dazu, wie es verloren gegangen ist. Wenn wir die Sache mit dem Verlust der Wirklichkeit prominent beendet haben, so wollen wir auch beim fehlenden Schamgefühl ebenso prominent beginnen. Man erinnert sich daran, dass am 5. Februar 2020 der Landtag des Freistaates Thüringen den unbescholtenen und ehrbaren FDP-Politiker Thomas Kemmrich zum Ministerpräsidenten gewählt hat. Diese Wahl erfolgte, wie es das Gesetz vorschreibt, „gleich und geheim“ und entsprach in allen Dingen den rechtlichen Vorschriften. Dennoch führte sie zu einem Skandal, und zwar deswegen, weil dem Kandidaten Kemmrich auch Stimmen der AfD zugefallen waren. Dass zuvor und danach ein Ministerpräsident Ramelow regiert hatte, welcher der Partei „Die Linke“ angehört, der Erbin der DDRStaatspartei SED, die sich hauptsächlich durch Todesschüsse und Stasi-Methoden ins Gedächtnis geprägt hat, ist hingegen nicht von Belang.
Am Tag darauf verlangte Bundeskanzlerin Angela Merkel im fernen Südafrika: „Die Wahl muss rückgängig gemacht werden.“ Eine Wahl rückgängig machen? In einem Rechtsstaat ist so etwas unmöglich. Lediglich bei der EU ist es vorgekommen, dass man ein missliebiges Ergebnis kassierte und solange wählen ließ, bis es stimmte. Aber die EU ist ja auch nicht die Referenz-Adresse für Rechtsstaatlichkeit.

Dissertations-Betrüger

Oder aber die Sache mit den akademischen Plagiaten. Als Baron Karl-Theodor zu Guttenberg mit seiner Dissertation den Reigen eröffnete, ging alles noch streng nach der Ordnung. Er musste abdanken und seine politische Karriere war beendet. Das entsprach auch den Absichten der Kanzlerin, daher die strenge Auslegung. Später dann hat man lesen müssen, die weiland Ministerin Franziska Giffey von der SPD habe auch betrogen. Zugegeben – auch sie wurde ihr Ministeramt los, aber sie schämte sich nicht, in Berlin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters zu kandidieren. Mit Aussicht auf Erfolg, wie man gesehen hat.
Zu den Dissertations-Betrügern noch ein weiterer Name. Es geht um Annette Schavan, persönliche Freundin von Angela Merkel und einst ihre Ministerin ausgerechnet für Bildung und Forschung. Als sie aufflog, war es um ihr Ministeramt zwar geschehen, aber was tut Merkels Kumpanei? Schavan wird in den Vatikan als Botschafterin geschickt! Als Minister war sie nicht mehr tragbar, als Vertreterin bei der Katholischen Kirche aber immer noch gut genug. Hier liegt eine dreifache Verletzung des Schamgefühls vor: erstens bei Schawan vor dem akademischen Ethos, zweitens bei Merkel, dem Vatikan gegenüber, und drittens bei der Kurie, die so ehrlos war, einer Betrügerin das Agrément zu erteilen.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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