„Es gibt ein einziges Gesetz und das heißt Italien!“

„Am „Bozner Blutsonntag“ (24. April 1921) wurden bei einem von Faschisten verübten bewaffneten Anschlag auf einen friedlichen Trachtenfestzug mindestens 53 Südtiroler schwer verletzt und zwei Männer getötet: Der Marlinger Lehrer und Musikant Franz Innerhofer wurde mutmaßlich vom Obsthändler und Fascio-Mitbegründer Lino Mariotti (1900–1936) aus Varmo (Udine) erschossen und der in der Sill bei Bozen tätige Welschtiroler Sägemeister Giovanni Daprá (1843–1921) aus Ziano im Fleimstal wurde so schwer verletzt, dass er in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1921 im Bozner Krankenhaus verstarb.
Am 23. April 1921, also einen Tag vor dem „Bozner Blutsonntag“, hatte Mussolini im Popolo d’Italia folgendes geschrieben: „In Italien gibt es mehrere hunderttausend Faschisten, die bereit sind, Südtirol eher zu zerstören und zu verwüsten, als die Trikolore, die auf der Vetta d’Italia (Klockerkarkopf) weht, einziehen zu lassen.“
Mehr und mehr griffen die Faschisten in die Staatsgewalt ein. Überall dort, wo ihnen die Wirksamkeit der Politik nicht passte, traten sie mit ihren bewaffneten Schlägerbanden auf den Plan. So war es auch am 1. und 2. Oktober 1922 beim „Sturm“ auf Bozen, bei dem rund 900 Schwarzhemden beteiligt waren. Der Marsch auf Bozen wirkte wie die Explosion einer Bombe in einer bereits erschütterten Welt. Seit längerem waren nämlich den Faschisten und den in Bozen tonangebenden italienischen Nationalisten der Associazione Nazionalista Italiana (ANI) die deutsche Sprache und Kultur sowie der deutsche Gemeinderat ein Dorn im Auge. Ihr Ziel war es, die Hauptstadt der neuerworbenen deutschen Gebiete unter ihre Herrschaft zu bringen.
Und tatsächlich sollte dies in nur wenigen Stunden gelingen. Am Sonntag, den 1. Oktober gegen 8 Uhr morgens wurde das deutsche Kaiserin-Elisabeth-Hauptschulgebäude in der Sparkassenstraße von hunderten mit Schlagstöcken und Revolvern ausgerüsteten Faschisten gestürmt, besetzt und in eine italienische Schule (Scuola Regina Elena, heute Dante-Alighieri-Schule) umgewandelt. Am Montag früh, 2. Oktober, fanden die deutschen Schüler und ihre Lehrpersonen den Zugang zu den Klassenzimmern von den Schwarzhemden versperrt. Sie wurden mit antideutschen Beschimpfungen und Gewaltgebärden davongejagt. Um halb 10 Uhr kam von der Dominikanerkirche her – wo der italienische Pfarrer eine Dankesmesse zelebriert hatte – eine von Schwarzhemden begleitete Gruppe von kaum 35 italienischen Kindern mit ihren Eltern und Lehrern mit Trikolore-Fahnen. In der Sparkassenstraße wurden sie von einer großen Masse an Ultranationalisten mit rauschendem Applaus, „Eja, Eja alalá“-Geschrei und der italienischen Nationalhymne Marcia Reale sowie der Triumphhymne der Faschisten Giovinezza empfangen. Nach der Begrüßung durch die Fascio-Abgeordneten Francesco Giunta und Alberto De Stefani wurden die Kinder in ein Klassenzimmer begleitet.
Am selben Tag gegen 4 Uhr nachmittags, ließen die Faschistenführer ihre Abteilungen antreten und nun ging es im Laufschritt zum Rathaus. Dort wurde nach dem Sturmbefehl das Gemeindehaus besetzt, die Beamten fortgejagt und der Gemeinderat zum Rücktritt gezwungen. „Es gibt ein einziges Gesetz und das heißt Italien!“ So wurde der faschistische Gewaltakt vom aus Verona stammenden Abgeordneten Alberto De‘ Stefani vom Balkon des besetzten Bozner Rathauses aus verkündet.
All diese und unzählige andere antideutsche Gewaltmaßnahmen und Gesetzesverletzungen der Nationalisten und Faschisten wurden nachträglich von den staatlichen Organen genehmigt und bekräftigt. Diesbezüglich hatte der Generalsekretär der Faschisten Michele Bianchi in einer für Samstag, den 7. Oktober 1922 bei einer längeren Aussprache mit dem Triester Irredentisten, Mussolini-Anhänger und Chef des Zentralamtes für die neuen Provinzen Francesco Salata (1976–1944) vorgesorgt. Dieser beherrschte einwandfrei die deutsche Sprache. Zum Beispiel wurde das deutsch-österreichische Abkommen vom 11. Juli 1936 von ihm für Mussolini am 13. Juli 1936 übersetzt.
Die Besetzung des Bozner Rathauses und der deutschen Schule war gut vorbereitet worden. Das Gewaltpotential der Faschisten war der Okkupation ganzer Städte wie Ferrara, Bologna, Cremona und Ravenna so groß und eingeübt, dass es dazu gar keine großen Anstrengungen mehr brauchte.“
Der obige Auszug stammt aus dem 1. Teil, Kapitel 10 „Der Marsch auf Rom – ein großer Bluff“ des Buches „Der Marsch auf Bozen“ des Bozner Publizisten Günther Rauch, der sich seit Jahren mit der Erforschung der vergessenen oder vertuschten faschistischen Verbrechen in Südtirol beschäftigt.
Rauch, Günther: Der Marsch auf Bozen. Wie der Fall Südtirol Mussolini und Hitler Lust auf mehr machte. Neumarkt, Südtirol: Effekt! Verlag. 2022.
ISBN: 978-8-89-705398-9
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