von hm 04.08.2021 16:21 Uhr

Austritt eines Urgesteines: Eine Abrechnung mit der CSU

Am 12. Juli 2021 hat Dr. Florian Stumfall (78) in einem längeren Schreiben an CSU-Chef Markus Söder seinen Austritt aus der CSU erklärt. Florian Stumfall ist nicht irgendwer: Der promovierte Politikwissenschaftler war unter anderem Referent der CSU-Landesleitung und der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung sowie 25 Jahre lang Redakteur der CSU-Parteizeitung „Bayernkurier“. Auch als Buchautor hat er sich einen Namen gemacht. Bekannt ist er den UT24-Lesern vor allem als Blog-Autor.

„Das ist nicht mehr die Partei, der ich vor 52 Jahren beigetreten bin und für die ich mein Leben lang gearbeitet habe“, sagt der zutiefst enttäuschte Dr. Florian Stumfall.

Mittlerweile schreibt Dr. Stumfall für verschiedenen Zeitungen und seit geraumer Zeit auch regelmäßig für UT24. Josef Kraus hat für Tichys Einblick mit Dr. Florian Stumfall über seinen Parteiaustritt gesprochen. UT24 hat das Interview zur Verfügung gestellt bekommen und gibt im Folgenden einige interessante Auszüge daraus wieder.

Der Brief

Herr Dr. Stumfall, ein solcher Brief und ein solcher Entschluss nach 52 Jahren CSU-Mitgliedschaft entsteht nicht aus einer Laune über Nacht heraus. Wie lange, seit wann haben Sie mit sich gerungen? Wann begann für Sie die Distanzierung zur CSU? Gab es jetzt einen aktuellen Auslöser oder auslösende Personen?

Stumfall: Die innere Loslösung war mühsam, das heißt langwierig, so dass ich keinen zeitlichen Anfang nennen kann. Doch begonnen hat es mit dem Verlust ordnungspolitischer Klarheit, von Merkel verschuldet, der aber die CSU zu wenig entgegengesetzt hat. Der letzte Anstoß war die Gender-Politik, vor allem mit Blick auf Kleinkinder, die man schon zu Opfern macht.

Lange Liste des Versagens

Sie lassen in Ihrem Brief nichts aus. Ihre Analyse geht von der enormen Staatsverschuldung und der De-Industrialisierung Deutschlands über die Gefährdung der inneren und der äußeren Sicherheit Deutschlands bis hin zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit und zur Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien durch Merkel und damit auch durch CDU und CSU. Um eine Gewichtung vorzunehmen: Was ist das Ur-Desaster? Hat es auch damit zu tun, dass die CSU ihren berühmten und gefürchteten „Bayernkurier“ einstelle? Oder ist das nur ein Symptom dafür, dass sich die CSU aufgegeben hat?

Stumfall: Der „Bayernkurier“ hat zwei große Zäsuren erlebt: den Tod von Strauß und den Abgang von Scharnagl. Irgendwann war er angesichts der Entwicklung auch anderer Print-Medien nicht mehr zu halten. Das Ur-Desaster ist, dass die CSU eine Politik mitgemacht hat, die Rechts-Prinzipien missachtet. Dass das auch auf der Ebene der EU gang und gäbe ist, scheint mir kein Trost zu sein.

Ich wollte kein Buch schreiben, sondern einen Brief.

Dr. Florian Stumfall

Gab es bislang schon öffentliche Reaktionen auf Ihren Brief? Hat die Öffentlichkeit Ihren Brief, der ja eine chirurgisch messerscharfe Analyse der CSU-Politik in der Merkel-Ära ist, verstanden? Wie kommt es bei Ihnen an, wenn ein niederbayerischer Journalist den Brief als „Schimpfkanonade“ eines „Rechtsintellektuellen“ abtut?

Stumfall: Öffentliche Reaktionen gibt es erstaunlich viele. Der Brief scheint eine allgemeine Gefühlslage getroffen zu haben. Dass sich daran auch parteipolitische Bosheiten hängen, ist nicht verwunderlich.

Sie halten der CSU eine „lustvoll-schmerzliche Proskynese“, also einen Kniefall vor dem Zeitgeist vor. Was meinen Sie mit „Zeitgeist“? Oder meinen sie Kniefall vor Merkel?

Stumfall: Damit war der Zeitgeist gemeint. Früher hat die CSU ihn mitgeprägt, sehr erfolgreich sogar. Jetzt schwimmt sie unter Merkels Banner hinter ihm her.

Die CDU hat immer die Eigenständigkeit der CSU als historischen Missgriff verstanden.

Dr. Florian Stumfall

Ihr Brief ist auch im persönlichen Duktus sehr scharf. Am Ende verwahren Sie sich dagegen, von Söder eine Art 08/15-Entwurf eines Referenten als Antwort zu bekommen. Das hielten sie für entwürdigend. Zugleich verzichten Sie auf jede Würdeform, indem Sie Ihren Brief nicht einmal mit einer der üblichen Grußformeln beenden. Sitzt Ihre Verärgerung so tief?

Stumfall: Ja, offenbar. Ich habe zwar überwiegend Tatsachen aufgezählt, aber angekündigt, dass das schonungslos sein müsse. Auf die Grußformel zum Ende habe ich verzichtet, weil sie mir nicht ehrlich erschienen wäre.

Austritt aus der CSU nach 52 Jahren

Werden wir grundsätzlicher: Ihr Brief hat viel mit Söder, wohl aber auch mit dessen Vorgänger Seehofer zu tun. Vor allem aber kreiden Sie der CSU implizit an, dass sie ihre Eigenständigkeit preisgegeben und sich Merkel unterworfen hat. Die CSU-Wahlergebnisse sind entsprechend, sie liegen nicht mehr weit über den CDU-Prozenten. Mit einem Ministerpräsidenten Söder stürzte die CSU bei der Landtagswahl 2018 von zuvor 47,7 auf 37,2 Prozent ab. Nach aktuellen Umfragen rangiert die CDU bei der Bundestagswahl 2021 ebenfalls deutlich unter 40 Prozent. Was ist aus dem „bayerischen Löwen“ geworden? Ist die CSU zu einem Landesverband der CDU geworden? Wo ist ihr eigenständiges Profil?

Stumfall: Die CDU hat immer die Eigenständigkeit der CSU als historischen Missgriff verstanden. Das allzu große Entgegenkommen war bereits im Tandem Kohl/Waigel erkennbar. Waigel schon hat weitgehend auf eigene Akzente verzichtet. Danach ist es nicht mehr besser geworden.

Der Begriff „Gewaltenteilung“ bzw. deren Gefährdung kommt in Ihrem Brief nicht vor? Fehlt da nicht aufgrund des Zutuns der CSU etwas? Dass die horizontale Gewaltenteilung aufgelöst wird, indem die Parlamente nur noch nachvollziehen, was das Kanzleramt oder eine Staatskanzlei vorgibt? Dass die vertikale Gewaltenteilung verloren geht durch Ermächtigungen des Bundes gegenüber den Ländern und Abtretung von Souveränitätsrechten des Bundes an Brüssel?

Stumfall: Sie sagten eingangs, ich hätte nichts ausgelassen. Doch das stimmt nicht. Ich habe geschwiegen über Personalpolitik, Außenpolitik und, wie Sie richtig sagen, zu den Grundprinzipien. Ich wollte kein Buch schreiben, sondern einen Brief. Er ist ohnehin ziemlich lang geworden.

Warum hat die CSU es ohne Murren hingenommen, dass ihr Partei-Vize und Spitzenkandidat Manfred Weber bei der Besetzung der EU-Kommissionsspitze abgeräumt und durch eine gescheiterte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ersetzt wurde?

Stumfall: Man hat es hingenommen wie so viel. Dahinter steckt die Konstruktion der beiden Parteien zueinander, die auf gutem Willen basiert, und das will niemand in Frage stellen.

Gnadenlose Abrechnung

Ist Söder überhaupt noch ein Föderalist? Steht er noch zum Prinzip Subsidiarität?

Stumfall: Ich habe nicht zwingend den Eindruck.

  • Frontalangriff auf den Ministerpräsidenten von Bayern und CSU-Vorsitzender Markus Söder. (APA/AFP)

Über Seehofer wurde und wird gelästert, dass er eigentlich „Drehhofer“ heißen müsste. Trifft diese Etikettierung nicht auch auf Söder zu? Wenn man sich etwa die Ergrünung Söders anschaut?

Stumfall: Einzelnen Politikern werden oft Etiketten umgehängt. Wesentlich ist aber, wie die Politik aussieht, die sie machen, denn die zeigt die Wahrheit.

Ordnungen degenerieren, auch Parteien tun das.

Dr. Florian Stumfall

Seehofer und Söder waren sich – jetzt unpolitisch gemeint – nie so recht grün. Seehofer soll 2012 bei einer Weihnachtsfeier über Söder gesagt haben: Er habe „charakterliche Schwächen“, sei „von Ehrgeiz zerfressen“ und pflege einen Hang zu „Schmutzeleien“. War das eine zutreffende Charakteristik?

Stumfall: Dazu möchte ich nichts sagen.

Hätte Söder statt Laschet „Kandidat‘“ werden sollen?

Stumfall: Warum? Dass die CDU die CSU und ihren Kandidaten im Wahlkampf boykottiert, wie sie es 1980 mit Strauß gemacht hat?

Söders Vorvorvorgänger Edmund Stoiber wurde 2007 gestürzt. Inmitten einer Legislaturperiode, die er 2003 mit einer Zweidrittelmehrheit für die CSU im Bayerischen Landtag begonnen hatte. Kann Söder so etwas auch passieren, wenn die Prozente nicht mehr stimmen?

Stumfall: Stoiber hatte zwar die zwei Drittel, aber in absoluten Zahlen 300.000 Stimmen weniger als bei der vorherigen Wahl. Es gab das Gefühl, er habe sich überlebt, obwohl er ohne Zweifel richtungsweisende Entscheidungen für Bayern und darüber hinaus getroffen hat. So etwa die Abkehr von der Schulden-Politik, die eine Zeit lang internationaler Standard gewesen ist, oder auch beispielhafte Initiativen für die bayerische Strukturpolitik.

Gibt es in der CSU überhaupt Leute, denen man eine Nachfolge oder gar einen Sturz Söders zutrauen kann? Gibt es Leute mit rebellischer Grundierung?

Stumfall: Ordnungen degenerieren, auch Parteien tun das. Wieweit das für die CSU zutrifft, kann ich nicht sagen, ich bin zu lange aus dem aktiven Geschäft.

Werden Sie am 26. September 2021 CSU wählen?

Stumfall: Nein.

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  1. Franzjosef
    17.08.2021

    Ich werde auch nicht die CSU wählen.

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