Ein Blog von

Georg Dekas

05.01.2019

Der Geist der 68er

Wenn Österreichs Staatsoberhaupt zum Jahresbeginn einen „flammenden Appell“ für Europa ausrichtet, eine Bozner Zeitung ihren Leitartikel  mit „Auf nach Europa“ titelt oder Bozens Bischof Einsatz für das große „Wir“ Europas fordert, dann steckt dahinter der alte Geist der 68er. Wie aus den „Revoluzzern“ von 1968 die Herrschenden von heute wurden und was jetzt kommt. 

68iger Faust, Bild: Openvectors/Pixabay

Es hat im soeben abgelaufenen Jahr 2018 zaghafte Bestrebungen gegeben, die „68er“ zu ihrem runden 50. Geburtstag hochleben zu lassen. Im Jahr 1968 lieferten sich Studenten in Paris und Berlin wilde Straßenkämpfe mit der Polizei. Es gab wüste Tiraden gegen die alte Garde von Professoren an den Universitäten und überhaupt gegen die „Alten“ aus der Kriegsgeneration, die an den Schalthebeln der Gesellschaft saßen.

Medien und Marxismus als Aufputschmittel

Aufgeputscht wurden die Hochschüler durch bestimmte Lehren und deren Lehrer, aber auch durch die Hebelwirkung der neuen Massenmedien. Mit den  Boulevardzeitungen, dem handlichen Transistorradio und dem neu hinzugekommenen Fernsehen war eine noch nie da gewesene Verbreitungsmacht von Meinungen entstanden. Sie gab den Umtrieben der sich als “Revolutionäre” bezeichnenden Protestierer Raum, Stimme, Ton, Farbe und Geltung.

Feindbild “Nazi”

Weil sich die bürgerlich eingestellte Mehrheit der Erwachsenen den frechen Ton und die militante marxistische Gesinnung der Studentenführer nicht gefallen ließ, schossen die meist konservativen Medien, in Deutschland war es die „Springer-Presse“, aus vollem Rohr zurück. Die „Bild“ wurde zum Gottseibeiuns der „Revoluzzer“. Bei uns in Südtirol bekam die Rolle des Teufels das Tagblatt „Dolomiten“ und dessen Schriftleiter Josef Rampold. Wagte der es doch, die Ehre der einfachen Wehrmachtssoldaten zu verteidigen, von denen er als junger Mann einer gewesen war. Damit war er als „Nazi“ gebrandmarkt – so wie andere hunderte von Lehrern, Richtern und Zeitungsleuten im ganzen deutschen Raum.

Rote Wortführer

Im romanischen Raum, also im führenden Frankreich und im nachziehenden Italien, bekam die Studentenbewegung der 68er sehr schnell eine tiefrote Farbe. Die Führer der kommunistischen Parteien und Gewerkschaften, die in diesen beiden Ländern sehr viel stärker waren als in deutschen, skandinavischen oder angelsächsischen Ländern, leiteten das jugendlich wallende Wasser geschickt auf ihre Mühlen. Studenten und Arbeiter sollten sich verbünden und die Revolution gegen den Kapitalismus und die herrschende Bourgeoisie vollenden. Einer dieser roten Apostel in Südtirol war Alexander Langer. Überall wurden Straßenumzüge organisiert mit roten Fahnen und Konterfeis von Marx, Engels, Lenin und Mao, Hammer und Sichel.

Idealismus à la Che

Dazwischen gab es, bunt gemischt, das „Peace“-Kreuz der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung aus den Vereinigten Staaten und das Bild von Kubas Che Guevara. Gerade diese beiden Symbole zeigen auf, wie es den treibenden Kräften hinter der 68er Bewegung gelang, den Gerechtigkeitssinn der Jugend anzusprechen – die sich immer und zu allen Zeiten so gerne hinter David und gegen Goliath stellt. So wurde aus „Che“ nicht nur das Symbol des gerechten Kampfes der kleinen, ausgebeuteten Latinos gegen den blutsaugenden Moloch USA, sondern eine Ikone für jugendliches Aufbegehren überhaupt.

Peace and Rock’n Roll

Bild: Pixabay

Das „Peace“-Zeichen hingegen kam aus Amerika und war das Symbol der Hippies. Eigentlich war es das Protestzeichen der amerikanischen Jugend gegen den Einzug zur Kriegführung in Übersee, wurde aber bald zum Sinnbild einer gewaltigen Kulturrevolution, die den ganzen Westen ergriffen hatte. Ein Kennzeichen, das verrät, dass bei der ganzen 68er-Aufregung in Wahrheit um viel mehr und etwas ganz anderes ging als um rote Revolten (Das zu begründen einen eigenen Beitrag wert ist). Hammer und Sichel waren also in den Köpfen der Intellektuellen, aber das Peace-Zeichen, die langen Haare und die Rockmusik, die gewannen die Herzen der Jugend.

“Spießer”

So wurden die „68er“ zur Massenbewegung und zur Weltanschauung. Links sein mit Hippie-Note wurde im Europa der früheren Diktaturen „in“. Alles, was diesem Tross nicht folgte oder sich in den Weg stellte, war ein “Spießer”, in der Steigerungsform ein „Nazi“ (deutsch) „Faschist“ (italienisch) und „Reaktionär“ (französisch).

Das politische Ende

Die rote Massenbewegung ebbte gegen Mitte der 1970er Jahre ab. Die von den Politbüros gewünschte Verschmelzung von Jugendbewegung und Arbeiterbewegung zu einer wuchtigen Macht, die das kapitalistische System aus den Angeln heben sollte, hatte nicht funktioniert. Doch deren Spitzen wollten nicht klein beigeben. Es entstanden die geheimen Terrororganisationen  „Rote-Armee-Fraktion“ RAF und „Brigate Rosse“ in Italien. Diese vom großen Tohuwabohu der 68er verführten und übrig gebliebenen Seelen glaubten allen Ernstes, durch die gezielte Ermordung von einzelnen Politikern, Bankiers und Industriellen die rote Revolution auslösen zu können. In einer Art Heilsgewissheit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, verübten die meist aus bürgerlichen und intellektuellen Kreisen stammenden Täter unverzeihliche Verbrechen.

Karriere statt “langer Marsch durch die Institutionen”

Die Masse der Jungen hingegen zog Profit aus den Zugeständnissen der Alten und machte große Karriere im kapitalstischen Stil. Heute besetzen die “68er” fast sämtliche leitenden Positionen in der Gesellschaft (auch wenn sie vorzu in Rente gehen) – zum Teil als ehemalige rote Revolutionäre, die “den langen Marsch durch die Institutionen” angetreten sind, um die Gesellschaft von innen heraus zu ändern – mehrheitlich aber als genußfreudige Kinder der amerikanischen Kulturrevolution, die später das Etikett “Salon-Linke” bekamen. Die Weltanschauung der 68er hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ganz massiv in den Institutionen niedergeschlagen, vor allem aber in der Meinungsbildung (Schauspiel, Literatur, Journalismus), in Rechtsprechung und Politik.

Der politische Fußabdruck der 68er

Für die 68er Generation, die, wie gesagt, immer noch leitende Positionen in der Gesellschaft einnimmt,  ist die freie Vermischung des Menschengeschlechts ein Segen. Rassen gibt es nicht. Der Mensch ist für sie nur das Ergebnis von Umständen und Erziehung – daher auch „belehrbar“. Verbrecher – sofern sie nicht Männer sind, die Frauen töten – werden zuerst als Opfer gesehen und mit so viel Milde und Umerziehung bedacht, dass ebendieses zum Unrecht wird. Kriege werden verabscheut, in Wahrheit aber den Berufsheeren und Guerillakämpfern in fremden Ländern überlassen. Abtreibung ist ein Recht, Menschenrechte soll es für alle geben, auch die Ehe. Die Superbesteuerung der Reichen ist politisches Programm ebenso wie die unbegrenzte Sozialhilfe. Selbstverständlich isst man „Bio“ und macht den Menschen verantwortlich für den Klimawandel. Die Einwanderung von kulturfremden Menschen hält man für notwendig, um die Pensionskassen aufzufüllen die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Die große Gegenbewegung

Während die 68er in Rente gehen, baut sich im öffentlichen Leben eine Gegenbewegung auf, die von den Scheidenden ziemlich hilflos als „Populismus“ bezeichnet wird. In ihrem typisch pädagogisch-soziologischen Denkmuster erklären die Alt-68er den Populismus mit der Verlust-Angst der „bildungsfernen Schichten“, sprich Arbeiter, vor den Folgen des freien Wandels und Handels, sprich Globalisierung. Die Alt-Linken fürchten den neuen “Rechts”-Ruck. Ausgerechnet sie, die „Baby-Boomer“, die den Egoismus zu ihrem Lebensleitmotiv gemacht und nichts ausgelassen haben, was Genuss und Vorteil bot, meinen heute, dass die Nachkommenden sich jetzt bitte nicht abzuschotten hätten. Politische Solidarität sei gefragt, tönt es ganz im 68er Stil von der Bischofskanzel in Bozen herab. Die Aufmüpfigen von heute kritisieren das Unstimmige in den Sirenengesängen der Alten. Für sie sind es „Gutmenschen“, die sie als „Mainstream“ und „Eliten“ verachten. So ereilt die heutigen 68er das Schicksal der Herrschenden. Herrschende, wie sie sie selbst einst gnadenlos niedermachten. Allen „flammenden Appellen“ der Alt-68er zum Trotz wird sich das ungeliebte Neue Bahn brechen nach den Notwendigkeiten der Zeit.

 

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