von aw 10.03.2024 09:48 Uhr

Schuldebatte: Balanceakt zwischen Unterrichtsqualität und Integration

In Bozen, unterstützt durch die Initiative der Stadträtin Johanna Ramoser und des Landtagsabgeordneten Harald Stauder, rückt ein zunehmendes Problem des Schulsystems in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. In den Klassenzimmern der deutschen Schulen finden sich vermehrt Konstellationen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund und italienischsprachige Kinder die Mehrheit bilden. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Bozen, sondern auch andere Städte wie Meran und Leifers. Im Gespräch mit Christina Holzer, der Direktorin der Goetheschule in Bozen, beleuchten wir die Herausforderungen, die aus dieser Situation erwachsen.

Die Goetheschule in Bozen - Foto: Land Südtirol

An der Goetheschule beobachtet man seit Beginn des Schuljahres einen signifikanten Anstieg an Kindern mit Migrationshintergrund. Diese Kinder bringen meist gute bis sehr gute Italienischkenntnisse mit, stoßen jedoch aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse auf Barrieren. Frau Holzer, die Direktorin der Goetheschule, sieht in dieser Entwicklung eine doppelte Herausforderung: Zum einen gilt es, den Kindern den Zugang zur deutschen Sprache zu erleichtern, zum anderen muss deren Integration in den Schulalltag gewährleistet werden, ohne dabei die Lernqualität für deutschsprachige Schüler zu beeinträchtigen.

Die Rolle der Eltern und der Gemeinschaft

Frau Holzer unterstreicht die Bedeutung der elterlichen Unterstützung im Spracherwerbsprozess ihrer Kinder. Sie empfiehlt, dass Beratungsgespräche bereits im Kindergartenalter geführt werden sollten, um Eltern über die Herausforderungen und Notwendigkeiten einer bewussten Schulwahl zu informieren. Das Engagement der Eltern, selbst die deutsche Sprache zu erlernen und ihre Kinder aktiv im Spracherwerb zu unterstützen, sei entscheidend. Dies umfasst Maßnahmen wie die Teilnahme an deutschen Musikschulen oder Sportvereinen sowie den Konsum deutscher Medien zu Hause.

Bozens spezifische Herausforderungen

Die Direktorin weist auf die besondere Situation in Bozen hin, wo im Alltag hauptsächlich Italienisch gesprochen wird, was den Deutschspracherwerb außerhalb der Schule erschwert. Im Gegensatz zu ländlicheren Gebieten Südtirols, in denen Deutsch häufiger im täglichen Leben präsent ist, fehlen in Bozen die natürlichen Immersionsmöglichkeiten, was den Spracherwerbsprozess zusätzlich kompliziert.

Die paritätische Kommission: Ein Wegweiser bei Sprachhürden

Die vom Autonomiestatut vorgesehene paritätische Kommission wäre dringend einzusetzen und ein hilfreiches Mittel aktuellen Problemen zu begegnen, dies ist der Tenor, der vielfach zu vernehmen war. Frau Holzer meint dazu folgendes: „Die paritätische Kommission ist eine Expertenkommission, die erst dann zum Einsatz käme, wenn der schulische Erfolg durch eine Verweigerung des Kindes, die Unterrichtssprache zu lernen und zu verwenden, gefährdet ist und die Eltern nicht erkennen, was zum Wohle des Kindes getan werden muss. Unser Ziel muss es sein, dass alle Kinder eine erfolgreiche Bildungskarriere abschließen, damit sie die Voraussetzung haben, einen Beruf zu erlernen und folglich ihren Platz in der Gesellschaft finden. Es kann nicht unser Ziel sein, Schulfrust zu erzeugen und dass Kinder aufgrund nicht erfolgter Entscheidungen, die Freude und Lust auf Bildung verlieren und – sobald sie das nötige Alter dafür haben – ihre Ausbildung abbrechen. Die derzeitigen Zahlen bezüglich Schulabbruch bei Kindern mit Migrationshintergrund sprechen für sich. Allein wegen des drohenden Mangels an Fachkräften kann sich das eine Gesellschaft nicht leisten, aber auch wenn Integration und das Gelingen einer multikulturellen Gesellschaft unser Ziel ist, muss man alles dafür tun, dass wir kein Kind verlieren. Eine paritätische Kommission wäre daher eine externe Kommission, die ihre Einschätzung abgibt und zum Wohle des Kindes entscheiden würde. Diese Fälle hätten aber mit Sicherheit Seltenheitswert und wären nicht an der Tagesordnung. Wenn daher bei einer paritätischen Kommission ein Horrorszenario entworfen wird, bei dem Kinder aus der Klasse gezerrt werden etc., so entspricht dies nicht den effektiven Tatsachen.“

Dies bedeutet, dass die Einberufung der Kommission keineswegs ein repressives Mittel darstellt, wie es viele Seiten definieren, sondern vielmehr als ein konstruktiver Weg gesehen werden sollte, um zu gewährleisten, dass jedes Kind die bestmöglichen Bildungschancen erhält.

Willkommensklassen als Lösungsansatz

Eine mögliche Option, die aktuelle Situation vor allem in den Städten zu verbessern, könnte laut Holzer die Einführung von Willkommensklassen sein. Vor allem Kinder mit Fluchterfahrung könnten davon profitieren, denn diese Klassen dienen als erste Anlaufstelle, in denen die Kinder die notwendige Zeit und den Raum erhalten, um sich zunächst im neuen Schulsystem zurechtzufinden, bevor sie in den regulären Schulbetrieb integriert werden. Der Kern dieser Initiative liegt in einem intensiven Sprachunterricht, der speziell darauf ausgerichtet ist, die Deutschkenntnisse der Kinder zu verbessern und ihnen so eine bessere Basis für ihren weiteren Schulweg zu bieten.

Das Konzept der Willkommensklassen zielt darauf ab, den Kindern einen geschützten Rahmen zu bieten, in dem sie nicht nur sprachlich, sondern auch sozial ankommen können. Frau Holzer betont die Bedeutung dieser Klassen für die Entlastung des regulären Unterrichts und die Förderung eines erfolgreichen Lernprozesses für alle Schüler. Indem man den Kindern ermöglicht, zunächst in einem speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Umfeld Fuß zu fassen, wird nicht nur den betroffenen Kindern geholfen, sondern auch ein Beitrag zur allgemeinen Lernatmosphäre geleistet. Durch die gezielte sprachliche Förderung in den Willkommensklassen können die Kinder schrittweise und mit gestärktem Selbstvertrauen in die Regelklassen übergehen, was die Integration in die Schulgemeinschaft und den Bildungserfolg maßgeblich unterstützt.

Frau Holzer schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass man darüber nachdenken könnte, ressourceneffizienter zu arbeiten, indem man schulübergreifend zusammenarbeitet.

Heterogenität als Wert und Herausforderung

An der Goetheschule wird Heterogenität als Wert geschätzt. Allerdings erkennt Direktorin Frau Holzer an, dass die Vielfalt ihre Grenzen hat, wenn zu viele Schüler die Unterrichtssprache Deutsch nicht oder nur unzureichend beherrschen. Die Schule muss jährlich entscheiden, wie mit der Heterogenität umgegangen wird, um die Bildungschancen aller Kinder zu wahren. Dabei verpflichtet sich die Goetheschule dazu, sowohl die Schüler, die Deutsch nicht beherrschen, zu fördern, als auch denjenigen, die auf Muttersprachniveau unterrichtet werden sollen, gerecht zu werden.

Schlussbetrachtung: Herausforderungen und Chancen im Bildungssystem

Die von Frau Holzer skizzierte Situation verdeutlicht die vielschichtigen Herausforderungen, denen sich das Bildungssystem in multikulturellen Gesellschaften wie Bozen gegenübersieht. Insbesondere die Integration von Schülern mit Migrationshintergrund und die Sicherstellung ihres Bildungserfolges bei gleichzeitiger Wahrung der Bildungsqualität für alle stellen komplexe Aufgaben dar, die umsichtige und innovative Lösungsansätze erfordern.

Die Einführung von Instrumenten wie der paritätischen Kommission und die Idee der Willkommensklassen illustrieren, dass es praktikable Wege gibt, diesen Herausforderungen zu begegnen. Diese Ansätze zeigen, dass durch gezielte Unterstützung und Förderung eine Brücke zwischen den sprachlichen Barrieren gebaut werden kann, die den Bildungsweg von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen erschwert.

Die Betonung der Bedeutung elterlicher Unterstützung und der Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung von Heterogenität weisen auf die Wichtigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes hin, der alle Beteiligten des Bildungsprozesses einbezieht. Dieser Ansatz erkennt an, dass die Lösung der bestehenden Probleme eine gemeinschaftliche Anstrengung erfordert, die über die Grenzen einzelner Schulen hinausgeht und das gesamte Bildungssystem betrifft.

Obwohl die Situation anspruchsvoll bleibt und kontinuierliches Engagement und Anpassungsfähigkeit erfordert, bieten die diskutierten Maßnahmen hoffnungsvolle Perspektiven. Sie verdeutlichen, dass durch Zusammenarbeit, Innovation und einen reflektierten Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt ein Bildungssystem geschaffen werden kann, das allen Schülern gerecht wird und ihnen ermöglicht, ihren Platz in der Gesellschaft erfolgreich zu finden.

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