England hebt fast alle Corona-Maßnahmen auf
Ausnahmen gelten in London, wo Bürgermeister Sadiq Khan von der Labour-Partei einen strikteren Corona-Kurs beibehalten will als die Zentralregierung. Auch in den in der Gesundheitspolitik eigenständigen Nationen Wales und Schottland bleiben die bisherigen Restriktionen zunächst bestehen.
Bereits jetzt breitet sich die Delta-Variante des Coronavirus im Vereinigten Königreich rasant aus. Zuletzt überschritt die Zahl der täglichen Neuinfektionen die Marke von 50.000.
Die Regierung des konservativen Premierministers Boris Johnson hatte den hochumstrittenen Öffnungsschritt mit der hohen Impfquote im Land begründet. Mehr als zwei Drittel der Erwachsenen sind bereits vollständig geimpft.
Großbritannien verzeichnet inzwischen zwar deutlich weniger Todesfälle als in früheren Corona-Wellen, dennoch würde ein starkes Ansteigen der Fallzahlen nach Angaben von Medizinern den Gesundheitsdienst NHS unter Druck setzen. Derzeit werden rund 550 Covid-19-Patienten auf der Intensivstation behandelt.
Am Vortag des „Freedom Day“ verteidigte Johnson den Öffnungsschritt in einer auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft. „Wenn wir es jetzt nicht tun, müssen wir uns fragen, wann wir es jemals tun werden“, sagte der Regierungschef. „Dies ist also der richtige Moment, aber wir müssen es vorsichtig angehen.“
Die Entscheidung der Regierung ist stark umstritten. Der gesundheitspolitische Sprecher der oppositionellen Labour-Partei, Jonathan Ashworth, sprach von einem „rücksichtslosen“ Vorgehen. „Wir sind gegen Öffnungen, ohne dass es Vorsichtsmaßnahmen gibt“, sagte er der BBC.
Der Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial College London warnte, Großbritannien könnte wegen der rasanten Ausbreitung der Delta-Variante schon bald 100.000 neue Fälle pro Tag verzeichnen. „Die eigentliche Frage ist, ob wir auf das Doppelte oder noch höher kommen. Und das ist der Punkt, an dem die Kristallkugel zu versagen beginnt“, sagte er der BBC.
Kritik an der Regierung kam auch aus den eigenen Reihen. Downing Street sollte von Israel und den Niederlanden lernen, sagte der konservative Abgeordnete und ehemalige Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Die beiden Länder hatten angesichts eines Anstiegs der Infektionsfälle Lockerungen wieder rückgängig machen müssen. „Die Warnleuchte auf dem Armaturenbrett des NHS blinkt nicht gelb, sie blinkt rot“, sagte er der BBC.
Eine der Regeln, die in Kraft bleiben, ist die verpflichtende Selbstisolation nach Kontakt zu einem Infizierten. Dies betrifft auch Johnson und Finanzminister Rishi Sunak, die Kontakt zu dem an Corona erkrankten Gesundheitsminister Sajid Javid hatten.
APA/UT24