von ih 07.11.2019 14:54 Uhr

„Wir sind einfach dagegen, weil wir das nicht wollen“

Vor 80 Jahren – am 21. Oktober 1939 – vereinbarten Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler. Damit waren rund 274.000 Südtiroler dazu gezwungen, sich bis zum 31. Dezember 1939 zu entscheiden, ob sie deutsch bleiben und ins Deutsche Reich auswandern wollten, oder in der Heimat blieben und „walsch wählten“. Eine Zeit, an die der Südtiroler Schützenbund jetzt symbolisch mit einem „roten Koffer“ in allen Gemeinden Südtirols erinnern will (UT24 berichtete) – mit einer einzigen Ausnahme! Denn in St. Christina in Gröden ist die vom Land unterstützte Aktion gar nicht gern gesehen. So versucht man sich auf Nachfrage von UT24 mit sonderbaren Erklärungen aus der geschichtlichen Verantwortung zu winden. 

Foto ©: „Fotomontage SSB“, Abdruck bzw.

Bereits zum 80. Mal jährt sich nun die schreckliche Zeit der Option. 86 Prozent der Südtiroler entschieden sich damals dafür, ihre Heimat zu verlassen, um weiterhin im Deutschen Reich ihre Muttersprache sprechen zu dürfen. Dabei sind Familien entzweit worden und das Land war gespalten.

Bis zuletzt kam aber glücklicherweise alles anders: der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte eine fast vollständige Abwanderung der Südtiroler und rund 20.000 Optanten kehrten nach Kriegsende wieder in ihre Heimat zurück. Andernfalls wäre Südtirol heute wahrscheinlich eine ganz normale italienische Provinz.

Aus diesem Anlass erinnern die Südtiroler Schützen in diesem Jahr an diese schreckliche Zeit mit einer landesweiten „Performance“. Im ganzen Land werden 160 rote Koffer mit der Aufschrift „schicksal39.com – Option, Gehen oder Bleiben“ an zentralen Stellen in allen Gemeinden aufgestellt. Die Aktion wird vonseiten des Landes gefördert.

Eine Gemeinde will nicht gedenken

Während in allen Südtiroler Gemeinden die Koffer ohne Probleme aufgestellt werden dürfen, regt sich in St. Christina in Gröden allerdings ein für viele nicht nachvollziehbarer Widerstand. So staunte Schützenhauptmann Karl Marmsoler nicht schlecht, als ihn am Donnerstag ein Schreiben aus der Gemeindestube in St. Christina erreichte.

In dem Brief, der UT24 vollinhaltlich vorliegt, wird erklärt, dass die Gemeinde St. Christina in Gröden die Aktion zum Gedenken an die Option „nicht gutheißt“ und daher auch keine Genehmigung zum Aufstellen des roten Koffers erteilen wird. Ein Grund für diese Ablehnung wird in dem von Bürgermeister-Stellvertreter Markus Insam unterschriebenen Brief nicht genannt.

„Besser nicht mehr darüber reden“

Auf Nachfrage von UT24 erklärt Insam seine ablehnende Haltung gegenüber dem Gedenken an die Option folgendermaßen: „Uns ist es darum gegangen, dass alte Geschichten nicht neu aufgeweckt werden. Wir haben noch sehr viele ältere Leute hier, die diese Zeit mitgemacht haben und das kann es deswegen nicht sein“.

Wer diese Menschen sind und wie viele von ihnen noch in St. Christina leben, kann Insam nicht sagen.

Angesprochen auf die Tatsache, dass St. Christina damit jetzt die einzige Gemeinde in ganz Südtirol ist, die sich nicht an der Aktion beteiligt, meint der Bürgermeister-Stellvertreter lediglich trocken: „Wir haben schon eine kleine Diskussion darüber gehabt. Aber wir sind einfach dagegen, weil wir das nicht wollen“.

Einen weiteren, äußerst pikanten Satz lässt Bürgermeister-Stellvertreter Markus Insam dann im Nachgang fallen. So sei er überhaupt der Meinung, dass es das Beste sei, „wenn man überhaupt nicht mehr darüber redet“. Eine Sicht, die vielen Historikern, Geschichtsinteressierten sowie den ehrenamtlich tätigen Schützen sauer aufstoßen dürfte.

Schützen verwundert über Äußerungen

Für Kopfschütteln sorgen die Äußerungen Insams auch beim Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes. „Unverständlich!“, so das Urteil von Jürgen Wirth Anderlan, der von UT24 mit den Äußerungen des Bürgermeister-Stellvertreters konfrontiert wurde.

„Wenn wir immer und überall versuchen müssten, die Geschichte einfach auszulöschen, dann würden wir sicher nicht weit kommen. Oder wie es Berthold Brecht sehr passend formuliert hat: ‘Um den großen Sprung zu wagen, muss man einige Schritte zurück gehen’. Es ist nämlich absolut wichtig, die Geschichte in Erinnerung zu rufen und respektvoll damit umzugehen“, so Wirth Anderlan.

Einhellende Worte, die in St. Christina vermutlich auf wenig Zustimmung stoßen dürften. Denn mehr als ein Schulterzucken dürfte man – sollte die Meinung von Markus Insam auch bei anderen Gemeindeverantwortlichen fest verankert sein – in der Grödner Gemeinde nicht bekommen.

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