von lf 23.05.2017 19:05 Uhr

Schock-Studie zur Sprachenkompetenz: Die Studienleiterin im UT24-Interview

Wie die neue „Kolipsi-Studie“ der Eurac herausfand, haben sich die Kenntnisse der zweiten Landessprache in Südtirol deutlich verschlechtert. UT24 hat mit der Leiterin der Studie, Andrea Abel, über die überraschenden Ergebnisse gesprochen.

Kollage: UT24

Andrea Abel ist Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung an der Eurac. Im Interview mit uns erzählt die Koordinatorin der Studie, wie die Erhebung vonstatten ging und was sie aus den Ergebnissen für Schlüsse zieht.

UT24: Wo liegen die Unterschiede zwischen der kürzlich veröffentlichten Studie und jener von 2009? Die Anzahl der befragten Schüler hat beispielsweise im Vergleich zur ersten Erhebung ja zugenommen..

Abel: Insgesamt ist es so, dass es bei der ersten Studie so wie auch bei dieser Studie unser Ziel war, eine repräsentative Stichprobe der Schüler zu erreichen. Das ist uns sowohl beim ersten Mal als auch dieses Mal gelungen. Dieses Mal war die Schüleranzahl und somit die Stichprobe noch größer. Wir haben insgesamt fast 50 Prozent der Schülerschaft der vierten Klassen aller Oberschulen – der Schulen mit deutscher und italienischer Sprache – erreicht. Insofern sind die Daten vergleichbar. Diese zusätzliche Anzahl an Teilnehmern haben eigentlich keine Aussagekraft. Da aber insgesamt weniger italienischsprachige Schüler in Südtirol leben, war es für uns einfach wichtig diese Anzahl noch weiter zu erhöhen, um dort eben noch mehr Schüler zu erreichen. Was die Methodik betrifft: Wir haben bei dieser Erhebung noch mehr Tests hinzugefügt. Der Vergleich bezieht sich aber auf einen Teil der Tests. Dieser Textteil ist identisch gewesen.

UT24: Was hat sich an den Ergebnissen verändert?

Abel:Insgesamt ist die Tendenz nach unten gegangen – und zwar für beide Zweitsprachen. Wir haben gesehen, dass sich die Verschiebungen auf unterschiedlichen Ebenen vollzogen haben. Für die italienischsprachigen Schüler ist zu sagen, dass vor allem die sehr guten Sprachniveaus nach unten abgerutscht sind. Bei den deutschsprachigen Schülern ist es so, dass die sehr guten Sprachdaten stabil geblieben sind, die haben allerdings bereits bei der ersten Studie einen nur sehr kleinen Prozentsatz der Schüler betroffen. Dieser kleine Prozentsatz ist stabil geblieben. Hier hat sich eine Verschiebung innerhalb der unteren Bereiche vollzogen, und hier hat es nochmals einen Ruck weiter nach unten gegeben.

UT24: Das bedeutet also, dass die Sprachkompetenzen in der niedrigsten Kategorie A2 stark angestiegen sind, hingegen jene in höheren Kategorien haben abgenommen?

Abel: Genau. Ein Richtwert für uns, auch für die Austragung der Studie war der, dass beide Schulsysteme für die Matura das B2-Niveau anstreben. Dieses Ziel ist in den letzen Jahren einfach weiter in die Ferne gerückt. Wir müssen auch dazu sagen, dass unsere Hauptfrage war, inwiefern es den Schülern möglich ist, aktiv am Alltagsleben in der Zweitsprache teilzunehmen. Wir haben keine Fachsprachlichen Sprachkompetenzen getestet, sondern die Fähigkeit der Schüler in alltäglichen Situationen, wie zum Beispiel: Einkaufen, Probleme mit Internetkontakten lösen, über Casting-Shows sprechen, Mobiltelefone in der Schule – Ja oder Nein? – solche Sachen.

UT24: Sind Sie überrascht von diesen stark verschlechterten Werten?

Abel: Ja, schon. Für uns war das schon sehr überraschend. Als wir die Daten zum ersten Mal gesehen haben, waren wir mehr als erstaunt. Wir hatten eigentlich mit stabilen Ergebnissen gerechnet. Weder mit einem Zuwachs, noch mit einer Abnahme, sondern mit relativ stabilen Ergebnissen. Dass es jetzt schlechter geworden ist, wundert uns selbst. Ich denke, da muss man halt auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Ich denke die Schulen selbst gehen – zumindest so wie wir das bewerten – schon in die richtige Richtung, indem immer mehr dieser kommunikative Aspekt, die kommunikative Sprachkompetenz in den Vordergrund gerückt wird.

UT24: Können Sie ein Beispiel für einen solchen „kommunikativen Ansatz“ nennen?

Abel: Das heißt gerade dass man in solchen Situationen sprachlich agieren kann. Man hört beispielsweise Radio und muss die Ausgehtipps verstehen, was kann ich am Abend machen? Was bietet der Veranstaltungskalender? Oder sie möchten irgendwohin in den Urlaub fahren, und ihr Freund möchte irgendwo anders hinfahren, sie diskutieren darüber. Das sind alltägliche Situationen, da braucht es kommunikative Sprachkompetenzen. Da geht man davon aus, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die sich in unserer Umgebung zurecht finden und Aufgaben bewältigen müssen. Einige dieser Aufgaben sind sprachliche Aufgaben. Es geht darum, dass man Kompetenzen und Strategien entwickelt, um solchen Situationen gewachsen zu sein.

UT24: Sie würden sich also eine Änderung der Lehrpläne und in Sachen Didaktik wünschen?

Abel: Wir sind nicht die Didaktik-Experten. Ich denke da sind die Vertreter der Schulbehörden gefragt. Was wir sagen können: Aus unserer Sicht ist der Ausbau des kommunikativen Ansatzes auf jeden Fall gut ist. Dieser ist in den Lehrplänen bereits verankert und die neuen Maßnahmenpakete 2016 bis 2020 sehen das nochmals expliziter vor. Was wir auch gesehen haben, ist das neben der Schule der außerschulische Sprachgebrauch, eben diese Alltagsrelevanz besonders wichtig ist. Wir haben festgestellt – das erstaunt ja auch nicht – dass ein Großteil der Freundschaften in der Schule geschlossen werden. Wenn jetzt also der außerschulische Kontakt so wichtig ist, die Freundschaften aber über die Schule kanalisiert werden, ist es aus unserer Sicht doch ein guter Weg, diese Schulpartnerschaften: Austausch über Schultstufen-, Schultypen- und Schulsystemübergreifende Initiativen mehr zu fördern, um eben über diese Kontaktschiene das schulisch weiter zu unterstützen.

UT24: Sie glauben also, rein über die Bildungspolitik kann man diesem Problem nicht Herr werden? Ist etwa der außerschulische Kontakt beziehungsweise die außerschulische Kommunikation wichtiger als die schulinterne?

Abel: Ich denke, man darf auf keinen Fall das eine gegen das andere ausspielen. Die Schule hat eine wesentliche und ganz zentrale Rolle, aber die Schule ist nicht der einzige Ort wo man Sprachen lernt. Man lernt ja die Sprache auch nicht für die Schule, sondern eigentlich für die Kontakte die man außerhalb der Schule hat beziehungsweise dann später für das Berufsleben. Insofern darf das nicht etwas bleiben, was sich ausschließlich innerhalb der Schulmauern abspielt. Wir haben auch gesehen, dass es teilweise die Tendenz der Eltern ist – die wir auch befragt haben – das Sprachenlernen an die Schule abzuschieben. Nach dem Motto: „das wird die Schule schon machen“. Hier sind auch die Eltern gefordert, selbst zu sprachlichen Vorbildern zu werden.

UT24: Vor allem an italienischen Oberschulen wurde in den vergangenen Jahren vermehrt auf mehrsprachigen Unterricht gesetzt. Könnte man anhand dieser ernüchternden Ergebnisse von einem Scheitern dieses Ansatzes sprechen?

Abel: Ob man von einem Scheitern sprechen kann, weiß ich nicht. Unsere Daten haben jetzt einfach gezeigt, dass für den Zeitraum den wir erfasst haben – es handelt sich um die letzten zwei Jahre – für die Schüler die CLIL-Erfahrungen gemacht haben, den Schülern die keine CLIL-Erfahrungen gemacht haben, eigentlich keine Unterschiede in den Sprachkompetenzen, im Output festzustellen war. Es hat zu keinen signifikant besseren Ergebnissen bei den Schülern geführt. Hier müsste man auf Ursachensuche gehen, und solche Initiativen gut „monitort“ und begleitet, um herauszufinden was gut und was schlecht funktioniert.

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