von gru 06.04.2016 17:30 Uhr

1000 Tote am Rauchkofel!

Genau vor 100 Jahren fand eine der blutigsten Auseinandersetzungen des Krieges in den Dolomiten statt: Die sogenannte “Rauchkofel-Aktion”. Aus einem Zufall geboren forderte sie rund 1000 Tote* und zahllose Verwundete. Am Ende hatte sich der Frontverlauf um keinen Meter verändert, doch beide Seiten sahen sich als Sieger.

Das zerstörte Hotel Sigmundsbrunn. Rechts ragt steil der Rauchkofel auf. Bild: ÖNB / Public Domain.

Alles beginnt mit einer Fehleinschätzung.

Wir befinden uns an der Nahtstelle zwischen den Sextner und Ampezzaner Dolomiten. März 1916, im Hochgebirge herrscht noch tiefer Winter.

Die Stellungen der österreichisch-ungarischen Verteidiger und italienischen Angreifer sind in diesem Abschnitt schon seit fast einem Jahr festgefahren, die Artillerie liefert sich tägliche Duelle, doch der Schnee läßt noch an keine Bodenkämpfe denken.

Rauchkofel

Die k.u.k. Armeeführung bereitet gerade in aller Stille eine Großoffensive auf dem Plateau der Sieben Gemeinden vor, sie wird als “Mai-Offensive” oder “Strafexpedition” in die Geschichte eingehen. Dafür zieht man aus allen Frontabschnitten bewährte Truppenteile zusammen.


Landesschützen


So trifft es auch die Landesschützen im Grenzunterabschnitt 10a, im Süden der Gemeinde Toblach gelegen. Die Landesschützen sind die Gebirgstruppe der österreichischen Armee.
Ersatz kommt von weit her: Aus dem äußersten Osten des Habsburgerreiches trifft das Landwehrinfanterie-Regiment Nr. 36 “Kolomea” im Pustertal ein. Heute ist Kolomea Teil der Ukraine. Es besteht zum größten Teil aus Soldaten, die keine Gebirgserfahrung haben. Sie sollen die Stellungen in Fels und Eis halten.

Unmöglich

Während die letzten Landesschützen gerade ihre Stellungen im Nachbarabschnitt verlassen, gelingt es einer Abteilung von mehreren Hundert Alpini, in der Nacht vom 31. März auf den 1. April die Rauchkofelstellung zu überrumpeln.

Das Ereignis findet am folgenden Tag sogar – sehr poetisch – Eingang in den italienischen Heeresbericht:

Nell’ aspra zona di Cristallo (Alta Rienz) nella notte sull’ 1 un nostro reparto con ardito movimento aggirante per alpestri sentieri riusciva a tergo delle posizioni nemiche su Rauchkofl [sic!] e con brillante attacco conquistava tre «blockhaus» nemici prendendo 31 prigionieri, tra cui un ufficiale e materiali da guerra.

Im rauen Cristallo-Gebiet (Hoch-Rienz) gelang einer unserer Einheiten in der Nacht zum 1. die wagemutiger Umgehung der feindlichen Stellungen über Bergpfade. Mit einem hervorragenden Angriff eroberte sie 3 Blockhäuser, nahm 31 Gefangene, darunter ein Offizier und erbeutete Kriegsmaterial.

Nervosität

Auf österreichischer Seite macht sich Nervosität breit. Die Lage ist unübersichtlich, es fehlt an Informationen. Telegramme zwischen der Front und den Kommandos in Bruneck haben sich im Österreichischen Staatsarchiv erhalten:

situationsmeldung am 1/4 1/30 nachmittag: die auf kote 2019 am rauchkofel (festungsplan) gestandene eigene feldwache (lir 36) wurde heute mit morgengrauen anscheinend überfallen. die italiener haben sich auf der kuppe – stärke unbekannt – festgesetzt. von der eigenen feldwache ist niemand zurückgekehrt. ein aufklärender bericht wurde anbefohlen.

Die erste Reaktion von österreichischer Seite ist Standard im Ersten Weltkrieg: Der Rauchkofel, der von drei Seiten von eigenen Stellungen umgeben ist, wird von der gesamten Artillerie – rund 50 Geschütze – den ganzen Tag lang ununterbrochen beschossen, die Alpini vollkommen von den eigenen Linien abgeschnitten.

Als am Abend der Schnee wieder trägt, versuchen drei Kompanien der Unglücklichen aus Kolomea die Rückeroberung. Aber vergebens: Die Alpini wehren sie mit Leichtigkeit ab.

Standschützen

Der Angriff wird am 2. April wiederholt, Standschützen aus Mieders sind diesmals ebenfalls beteiligt. Sie beschweren sich bitter über die Kameraden aus dem Osten:

Diese seien auf halber Höhe einfach stehengeblieben, hätten sich verwundet gestellt oder versteckt. Die wenigen Standschützen, welche die gegnerischen Linien erreichen, werden abgeschlagen.

Die Zahl der Toten häuft sich von Stunde zu Stunde.


Landesschützen


Am 3. April wird abends ein neuer Versuch unternommen. Eine Telephondepesche, aufgegeben in Innichen und bestimmt für das Rayonskommando in Bruneck, erläutert die Angriffsvorbereitungen:

Im Laufe des Nachmittags sperrte die eigene Artillerie die Zugänge zu den feindlich besetzten Kuppen des Rauchkofel und verhinderte den Aufstieg mehrerer feindlicher Abteilungen. Der anbefohlene Angriff dürfte nach intensiver Artillerievorbereitung gegen 10 Uhr begonnen werden.

Der “anbefohlene Angriff” scheitert aber erneut. Ebenso wie weitere Versuche am 4. und 5. April. Es werden immer mehr Standschützen in die Sturmtruppen eingereiht: Nach der Miederern auch die Steinacher und Haller Kompanien, sowie Teile des Standschützenbatallions Welsberg.

Die Verluste nehmen auf beiden Seiten ständig zu.

Entscheidung

Erst als es gelingt, auf die westlich des Rauchkofel gelegene Schönleitenschneide Maschinengewehre und Munition zu bringen, wendet sich das Blatt. Nun werden die bemitleidenswerten Alpini nicht nur durch die österreichische Artillerie beschossen und von unten durch die Sturmabteilungen bedrängt, auch von der Schönleitenschneide rattern unaufhörlich die Maschinengewehre.

In den Morgenstunden des 7. April kommt es schließlich zur Entscheidung:

situationsmeldung am 7/4 um 2 nachmittags: gefechtsbericht über rauchkofel unternehmung: um 2h 20min vormittag begann das eigene trommelfeuer gegen die vom feinde besetzte nase, unter dessen schutze die gruppierung der angriffstruppen vorgenommen wurde. (…) es kam nach schneidigem sturm  zu erbitternden handgemenge des sich hartnaeckig verteidigenden gegners. doch der wucht des angreifers konnte er nicht standhalten. um 5.30 vormittags war die stellung in unserer hand. die eigenen verluste beziffern sich auf ungefaehr 1 offizier, 1 kadett, 25 mann tot, 100 verwundete. der feind hatte schwere verluste, die graeben waren mit leichen gefuellt. niemand entkam.

Nach einwöchigem Gefecht und unzähligen Toten ist die Ausgangslage wieder hergestellt.


Landesschützen


Der Landesverteidigungskommandant von Tirol, General Josef Roth, dankt noch am selben Tag den Soldaten via Telegramm:

allen an der schneidigen und erfolgreichen raukofel – unternehmung beteiligten fuehrern und soldaten meinen waermsten dank fuer ihre tapferkeit und das zaehe heranarbeiten bis zum blutigen nahkampf! besondere anerkennung auch den alpinen leitern und dem hervorragend bewaehrten dr. niehans*.

(*Der Schweizer Arzt Paul Niehans sollte später Weltruhm als Erfinder der Frischzellentherapie erlangen.)

Streit

Doch sogleich beginnt der Kampf um die Deutung des Geschehenen. Der italienische Generalstabsbericht vom 8. April 1916 spricht eine klare Sprache:

Nella zona del Cristallo il nemico concentrò fuochi di numerose batterie di ogni calibro contro le posizioni da noi recentemente occupate del Rauchkofl. Per non esporre le nostre truppe a perdite inutili la linea più avanzata venne ordinatamente sgombrata.

Im Cristallo-Gebiet hat der Feind das Feuer zahlreicher Batterien jedes Kalibers auf unsere kürzlich eroberten Stellungen konzentriert. Um unsere Truppen keinen unnützen Verlusten auszusetzen, wurde die vorderste Linie geordnet geräumt.

In ganz Österreich übernehmen die Zeitungen in den folgenden Tagen den Gefechtsbericht aus dem Kriegspressequartier. Doch eines stößt Teilen der Truppe sauer auf:

Die Männer des Landwehrinfanterie-Regiments Nr. 36 werden als Helden gefeiert, die Tiroler nur nachrangig genannt.

Es folgt sogar eine Eingabe an das Heeres-Gruppen-Kommando, in der um eine Berichtigung der Zeitungsnotizen gebeten wird. Dort ist man jedoch nicht erfreut. Mit Befremden reagiert man auf die Meldung, wonach dem Lir 36, fast gar kein Verdienst an der Wiedereroberung des Rauchkofls zukommen soll.

Eine vom Rayonskommando etwa ins Auge gefasste nachträgliche Berichtigung in der Presse über den Anteil der einzelnen Truppenteile an den Rauchkofelkämpfen ist ausgeschlossen.

Kapitel Ende.

* Die Zahl von 1000 Toten stammt aus der persönlichen Wahrnehmung eines Teilnehmers, der dies in seinem Tagebuch festgehalten hat. Zu den offiziellen Zahlen: Siehe: V. Schemfil, Die Kämpfe am Monte Piano und im Cristallo-Gebiet (Südtiroler Dolomiten 1915-1917 (Schlern-Schriften).

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