von apa 12.01.2016 11:44 Uhr

AMS optimistisch zu Flüchtlingsintegration am Arbeitsmarkt

Über die Berufsqualifikationen der Flüchtlinge ist in den vergangenen Monaten kontrovers diskutiert worden. Das AMS Wien hat nun mit dem Pilotprojekt "Kompetenzcheck" die Ausbildung von rund 898 Asylberechtigten in fünfwöchigen Kursen erhoben und am Dienstag erste Daten präsentiert. Gut ausgebildet waren Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Iran, ein geringes Ausbildungsniveau hatten Afghanen.
APA (dpa/Symbolbild)

AMS-Chef Johannes Kopf ist für die Integration von anerkannten Flüchtlingen in den heimischen Arbeitsmarkt “vorsichtig optimistisch”. Es sei aber eine “Herkulesaufgabe”, sagte er bei der Präsentation des Flüchtlings-Kompetenzchecks in Wien. Bei Asylberechtigen aus Syrien, Irak und Iran gebe es “optimistisch stimmende Ergebnisse”, bei Personen aus Afghanistan hingegen “bedrückende Ergebnisse”.

Kopf warnte davor zu glauben, dass aufgrund der relativ guten Ausbildung der syrischen, iranischen und irakischen Flüchtlinge die Integration in den Arbeitsmarkt leichter sei. Die Arbeitslosigkeit in Österreich liege auf dem höchsten Stand der zweiten Republik, die Flüchtlinge wären teilweise traumatisiert und hätten schlechte Sprachkenntnisse. “Die Herausforderungen bleiben groß”, mahnte der AMS-Vorstand.

“Noch sind die Flüchtlinge nicht am Arbeitsmarkt angekommen”, erinnerte Kopf. Bei vielen Flüchtlingen läuft derzeit noch das Asylverfahren in Österreich und sie dürfen nur in Ausnahmefällen arbeiten. Im Jahr 2015 wurden in Österreich rund 90.000 Asylanträge gestellt. Für Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) ist es “eine große Herausforderung”, die Asylberechtigten am angespannten Arbeitsmarkt unterzubringen.

Arbeit sei der “beste Schlüssel für eine gelungene Integration” und wichtig, um “Sozialkosten zu minimieren”, betonte Hundstorfer. Beim generellen Zugang von Asylwerbern auf den Arbeitsmarkt sei er “weiterhin auf der Bremse”. Hundstorfer appellierte an junge Asylberechtigte ein “go West” zu überlegen und nicht besetzte Lehrstellen in Westösterreich ins Auge zu fassen.

Ende Dezember 2015 waren 21.154 anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte beim AMS als arbeitslos vorgemerkt oder in Schulung, um 53,3 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. 6.621 der arbeitslosen Asylberechtigten stammten aus Syrien, 4.659 aus Afghanistan und 3.355 aus Russland. Das Arbeitsmarktservice und Sozialminister Hundstorfer rechnen heuer mit rund 30.000 weiteren anerkannten Flüchtlingen, die auf den österreichischen Arbeitsmarkt drängen.

Die Ausbildungserhebung des Arbeitsmarktservice Wien unter 898 Asylberechtigen – 451 Männer und 447 Frauen – im Herbst hat teilweise überraschende Ergebnisse geliefert: Etwa hatten bei anerkannten Flüchtlingen aus Syrien 29 Prozent eine Matura und 26 Prozent ein Studium. Im Gegensatz dazu hatten bei afghanischen Asylberechtigen 30 Prozent keine Schulbildung und 20 Prozent nur eine Grundschule besucht.

Die Ausbildungserhebung des AMS via dem fünfwöchigen Kompetenzcheck ist nicht repräsentativ für alle anerkannten Asylberechtigten der aktuellen Flüchtlingswelle. Die Kurse mit muttersprachlichen Trainern bestanden aus Gruppen- und Einzeleinheiten mit praktischer Erprobung. Es habe “nicht besondere Kriterien” gegeben, wie die Personen im Herbst ausgewählt wurden, erklärte AMS-Wien-Chefin Petra Draxl bei der Präsentation der Ergebnisse am Dienstag.

Für den AMS-Vorstand Johannes Kopf ist die ermittelte Qualifikationsstruktur der Asylberechtigten im Vergleich zum Herkunftsland “nicht unplausibel”. Syrien und Irak hätten vor dem Krieg ein gutes Schul- und Ausbildungssystem gehabt. In Afghanistan gebe es seit 40 Jahren Krieg mit fatalen Auswirkungen für das Bildungssystem, betonte Kopf. Die Ausbildung der syrischen Flüchtlinge würde bei Studium und Matura “deutlich über der der Bevölkerung von Österreich” liegen.

Bei der Ausbildungserhebung von 187 syrischen Asylberechtigen hatten Frauen folgende höchste abgeschlossene Ausbildung: Studium (36 Prozent), Matura (25 Prozent), Berufsausbildung (7 Prozent), Pflichtschule (22 Prozent), Grundschule (5 Prozent) und keine Schulbildung (4 Prozent). Die Gruppe der syrischen Männer verfügten über deutlich weniger Studienabschlüsse, aber mehr Berufsabschlüsse: Studium (21 Prozent), Matura (30 Prozent), Berufsausbildung (15 Prozent), Pflichtschule (26 Prozent), Grundschule (8 Prozent) und keine Schulbildung (0 Prozent).

Dramatisch schlechter sieht das Ausbildungsniveau bei anerkannten Flüchtlingen aus Afghanistan aus. Die Frauen in der Ausbildungserhebung verfügten über folgende höchste abgeschlossene Ausbildung: Studium (11 Prozent), Matura (13 Prozent), Berufsausbildung (2 Prozent), Pflichtschule (16 Prozent), Grundschule (20 Prozent) und keine Schulbildung (37 Prozent). Bei afghanischen Männern sieht die Lage ähnlich aus: Studium (5 Prozent), Matura (19 Prozent), Berufsausbildung (1 Prozent), Pflichtschule (30 Prozent), Grundschule (20 Prozent) und keine Schulbildung (25 Prozent).

Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte die Ausweitung des Kompetenzchecks auf ganz Österreich. Die FPÖ kritisierte am Dienstag den AMS-Kompetenzcheck als “Schummelcheck”. Die Ergebnisse würden “diametral” den bisher veröffentlichten Daten widersprechen, so FPÖ-Sozialsprecher Herbert Kickl. “Dass 61 Prozent aller Flüchtlinge eine Ausbildung haben, entspricht sicher nicht der Realität”, meinte Team Stronach Klubobmann Robert Lugar. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker drängte auf weitere Anstrengungen, damit “die Flüchtlinge schneller und besser in den Arbeitsmarkt integriert werden und damit ein eigenständiges Leben führen können”. “Die hohen mitgebrachten Qualifikationen von Flüchtlingen sind für Österreich eine wertvolle Bereicherung”, so die Integrationssprecherin der Grünen Wien, Faika El-Nagashi.

Den Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, stimmen die aktuell präsentierten Zahlen zur Frage der Qualifizierung von Flüchtlingen “vorsichtig optimistisch”. WKÖ-Präsident Christoph Leitl appellierte dafür, jugendliche Flüchtlinge auszubilden und die “Fachkräfte für morgen zu gewinnen”. AK-Präsident Rudolf Kaske forderte, vorhandene Fähigkeiten der Flüchtlinge zu heben und auszubauen.

Die Nationalbank (OeNB) hat in ihrer Dezember-Konjunkturprognose vor zu viel kurzfristigem Optimismus gewarnt: Internationale Erfahrungen lassen darauf schließen, dass in den ersten Jahren nur ein kleiner Teil der anerkannten Flüchtlinge gleich auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen kann. Im Jahr 2017 dürften – in Übereinstimmung mit Erfahrungen in Schweden und Deutschland – knapp 90 Prozent der neuzugezogenen anerkannten Flüchtlinge keinen Job haben. Nach den Simulationen der OeNB soll das Bruttoinlandsprodukt in Österreich durch die Flüchtlingsausgaben bis 2017 um 0,7 Prozentpunkte höher sein. Wifo-Chef Karl Aiginger hat am Montag dafür plädiert, die Chancen eines höheren Arbeitskräfteangebots durch Flüchtlinge zu sehen und nicht nur die Risiken.

Das AMS rechnet für 2016 mit zusätzlich 33.800 anerkannten Flüchtlingen, die einen Job oder eine Lehrstelle suchen. Für eine bessere Integration sind für heuer 22.400 Deutschkurs-Plätze budgetiert, 13.500 “Kompetenzcheck”-Plätze, 18.100 Beratungen, 5.700 Aus- und Weiterbildungen und 2.100 spezielle Beschäftigungsmaßnahmen, wie Eingliederungsbeihilfen. Diese österreichweiten Integrationsmaßnahmen des AMS sollen heuer 68,4 Mio. Euro kosten.

Der Vorstand Regionen der deutschen Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, warnte am Dienstag bei der Pressekonferenz davor, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen. Es koste viel Zeit, Kraft und Personal. Die Flüchtlinge von heute könnten aber “die Fachkräfte von morgen” sein. Nach Prognose der Deutschen Bundesagentur für Arbeit hätten heuer 81 Prozent der arbeitslosen Flüchtlinge in Deutschland keine formale Qualifikation, 11 Prozent hätten eine berufliche Ausbildung und 8 Prozent eine akademische Ausbildung. Becker mahnte zu einer Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

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