von apa 03.10.2016 11:39 Uhr

Psychisch Kranker wurde in Wien in Zehn-Mann-Zelle gesperrt

Ein paranoid Schizophrener ist in der Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt in eine Zehn-Mann-Zelle gesperrt worden, obwohl bei Verhängung der U-Haft der zuständige Richter in einem Aktenvermerk den Verdacht auf Vorliegen einer psychischen Erkrankung äußerte. Der 28-Jährige, der am Montag vom Straflandesgericht in eine Anstalt eingewiesen wurde, wurde in der JA offenbar nicht als Patient behandelt.

APA

Die JA Wien-Josefstadt räumte indes ein Fehlverhalten ein. “Ich möchte mein Bedauern zum Ausdruck bringen”, stellte Oberst Peter Hofkirchner, stellvertretender Leiter der JA, fest. Der Betroffene wurde unterdessen vom Normalvollzug in die psychiatrische Abteilung der JA Josefstadt verlegt.

Wie Hofkirchner am Montagabend im Gespräch mit der APA darlegte, hätte der Beschluss des Straflandesgerichts vom 5. August, die U-Haft des 28-Jährigen in eine vorläufige Anhaltung gemäß Paragraf 429 Absatz 4 Strafprozessordnung (StPO) umzuwandeln, zeitnahe umgesetzt werden müssen. Der Mann wäre in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – eine derartige Abteilung, die 14 Plätze für psychisch Kranke bietet, gibt es auch in der JA Josefstadt – oder ein Spital für Geisteskrankheiten zu überstellen gewesen, räumte Hofkichner ein: “Weshalb es dazu nicht gekommen ist, kann ich derzeit nicht sagen. Eine interne Fehleranalyse muss ans Licht bringen, was da schief gelaufen ist.”

Der 28-Jährige – ein gebürtiger Rumäne – habe sich “mit sieben Landsleuten” in einer Mehrpersonen-Zelle befunden, wo er “gut, aber nicht gesetzeskonform” untergebracht war, sagte Hofkirchner. Der stellvertretende Anstaltsleiter verwies auf die notorisch überbelegte JA, die seit Jahren mit Kapazitätsproblemen kämpft. Auch die psychiatrische Abteilung sei ständig ausgelastet: “Nachdem im Zuge der heutigen Hauptverhandlung aufgepoppt ist, dass der Mann nicht richtig untergebracht war, haben wir dort ein Bett für ihn freigemacht.”

Die JA will nun in Absprache mit dem Präsidium des Straflandesgerichts eine Systemverbesserung erreichen, “um zukünftig zu vermeiden, dass solche Fehler vorkommen”, kündigte Hofkirchner an. Dass der Richterin, die die heutige Verhandlung gegen den 28-Jährigen leitete, keine psychiatrische Stellungnahme der JA zum aktuellen Befinden des Mannes übermittelt wurde, hatte laut Hofkirchner logistische Gründe: “Wäre er auf der psychiatrischen Abteilung gewesen, hätte er das Kuvert mit der Stellungnahme in die Verhandlung mitbekommen.”

Der Rumäne wurde am 9. Juni festgenommen, nachdem er seine Mutter bedroht und sich einer polizeilichen Amtshandlung widersetzt hatte. Er kam in weiterer Folge wegen gefährlicher Drohung und Widerstands gegen die Staatsgewalt in U-Haft, wobei der JA rasch klar geworden sein dürfte, dass es sich um keinen “normalen” Gefangenen handelt. Am 14. Juni wurde in einem internen Bericht vermerkt wurde, seine Verlegung ins Landesklinikum Mauer sei “angedacht”.

Vollzogen wurde das allerdings nicht. Der Mann blieb in der JA und bekam zuletzt am 23. Juni einen Psychiater zu sehen, wie sein Rechtsbeistand Sven Thorstensen der APA bestätigte. Ob die Medikamente, die der 28-Jährige seit seiner Inhaftierung verabreicht bekommt, die optimale Wahl sind, ist unklar. Dem Schöffensenat, der am Montag über den Unterbringungsantrag zu entscheiden hatte, wurde seitens der JA nicht die vom Gesetz vorgesehene psychiatrische Stellungnahme zum aktuellen Befinden des Mannes übermittelt.

Spätestens mit dem Vorliegen des Gutachtens des von der Justiz beigezogenen Gerichtspsychiaters Peter Hofmann, der deutlich machte, dass der Mann schwer krank und zurechnungsunfähig ist, wäre zu erwarten gewesen, dass die Überstellung in eine psychiatrische Abteilung erfolgt. Tatsächlich wurde am 5. August in einer Haftverhandlung beschlossen, die U-Haft im Sinne des Gutachtens in eine vorläufige Anhaltung in einer psychiatrischen Abteilung umzuwandeln.

Obwohl der Beschluss der Haft- und Rechtsschutzrichterin gemäß Paragraf 429 Absatz 4 Strafprozessordnung (StPO) Rechtskraft erlangte, wurde er vorerst nicht umgesetzt. Der von der Haft gezeichnete 28-Jährige bettelte in der heutigen Verhandlung geradezu um seine Einweisung. Nach eigenen Angaben kann er in der Zelle, die er mit neun Mitgefangenen teilt, nicht schlafen und kaum essen. “Machen Sie, dass ich in eine Anstalt komme!”, meinte er zum Schöffensenat.

Bei dem Mann dürfte vor rund fünf Jahren seine Erkrankung ausgebrochen sein. 2012 wurde er erstmals nach dem Unterbringungsgesetz in der Psychiatrie behandelt, nachdem er auf seine Mutter losgegangen war. Diese hatte zuvor einen Molotow-Cocktail weggeräumt, den ihr Sohn unter dem Einfluss seiner paranoiden Schizophrenie gebastelt hatte. Der Mann leidet unter Wahnvorstellungen, fühlt sich verfolgt, vermeint, in der Wohnung, in der er gemeinsam mit seiner Mutter lebt, wären zu seiner Überwachung Kameras angebracht.

Als er im Oktober 2012 aus der Psychiatrie entlassen wurde, ging es ihm zunächst besser. Dann wurde er allerdings von seiner Freundin verlassen, was ihn dazu brachte, seine Medikamente abzusetzen. Seine Aggression richtete sich nun primär gegen die Mutter, der er vorwarf, sie würde die Ex-Freundin von ihm fernhalten. Der Frau, die der Sohn in der Vergangenheit krankenhausreif geprügelt hatte und schon einmal erdrosseln wollte, wurde angst und bang, als er ihr telefonisch drohte, er werde sie “entweder durch mich oder meine Leute von der Mafia umbringen”. Sie erwirkte ein Betretungsverbot.

Als der 28-Jährige am 9. Juni vor ihrer Wohnung in Floridsdorf auftauchte, rief sie aus Angst die Polizei um Hilfe. Eine Funkstreife und zwei WEGA-Beamte bemerkten den Mann vor dem Stiegenhaus und forderten ihn zur Ausweisleistung auf. Darauf beschimpfte er die Beamten, kündigte ihnen Tod und Verderben an und soll versucht haben, einem einen Faustschlag zu verpassen.

“Sie waren gemein. Sie haben schlecht über mich geredet”, rechtfertigte sich der Mann im Straflandesgericht. Hingeschlagen habe er “mit der Hand, nicht mit der Faust. Leicht, nicht fest”. Gegen die von den Beamten ausgesprochene Festnahme setzte er sich zur Wehr, wurde von den WEGA-Beamten aber im Nu überwältigt und auf eine Polizeiinspektion gebracht.

Das Gericht gab dem staatsanwaltschaftlichen Unterbringungsantrag Folge und wies den Mann wegen Zurechnungsunfähigkeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein, nachdem Gerichtspsychiater Hofmann den 28-Jährigen als gefährlich eingestuft hatte. Ohne entsprechende therapeutische, im Maßnahmenvollzug gewährleistete Behandlung sei davon auszugehen, “dass es zukünftig mit großer Wahrscheinlichkeit zu absichtlichen schweren Körperverletzungen oder ähnlichem kommt”, so Hofmann. Der Betroffene benötige eine Tagesstruktur und geeignete Medikamente, “um eine ausreichende Stabilisierung zu erreichen”.

Die Entscheidung des Gerichts ist rechtskräftig. “Komme ich jetzt in ein Krankenhaus?”, wollte der 28-Jährige wissen, ehe ihn die Justizwache aus dem Saal brachte. “Wir werden so schnell wie möglich schauen, dass Sie aus der Justizanstalt wegkommen”, sicherte ihm die Richterin zu.

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