von red 02.04.2016 18:26 Uhr

„Wirklich überhaupt keine Ahnung“

Land nimmt Stellung zum UT24-Artikel „Das Portal“

 

Thomas Mathà. Quelle: UT24 / LPA www.provinz.bz.it

Thomas Mathà, der Direktor der Agentur für öffentliche Verträge des Landes Südtirol hat uns eine Stellungnahme zum Artikel „Das Portal“ zukommen lassen, den wir gerne vollinhaltlich veröffentlichen.

Da im Artikel „Das Portal“ eine Reihe von Missverständnissen und Unwahrheiten vorhanden sind, möchten wir zu diesem Thema Klarheit schaffen.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Autor des Artikels die elementaren Prinzipien des journalistischen Handwerks unbeachtet ließ, da er sich bei den Verantwortlichen für das e-procurement in Südtirol nie gemeldet hat. Es wäre ein leichtes gewesen, mit der AOV Kontakt aufzunehmen und sich selbst ein umfassendes Bild über die Situation zu machen. Stattdessen wurde nur „eine Glocke“ gehört, und nun ist es für die Verantwortlichen mühsam, einen bereits veröffentlichten und gelesenen Beitrag wieder zu korrigieren, der unbestritten viele Fehler hat.

Zudem ist die Berichterstattung tendenziös, da nur von Problemen und Schwierigkeiten geredet wird, und nie von den positiven Aspekten und Chancen für alle Beteiligten.

Die Südtiroler Landesverwaltung hat vor mittlerweilen 6 Jahren einen sehr innovativen und mutigen Weg  beschritten, das öffentliche Auftragswesen zu digitalisieren. Es ist im Rahmen aller öffentlichen Verwaltungsverfahren wohl das delikateste und komplizierteste, weshalb die Aufwendungen hierfür gewaltig waren. Gleichermassen wissen wir aber, dass Transparenz der Verfahren ein unverzichtbares Element für eine gute Verwaltung ist.

„Brüssel“

Viele Wissenschaftler haben in den letzten Jahren auf die Bedeutung der Digitalisierung europa- und weltweit hingewiesen (z.B. zuletzt auch in den Südtiroler Medien Prof. Matzler von der Uni Bozen). Dabei muss die Digitalisierung in den Unternehmen im selben Tempo wie jene der öffentlichen Verwaltungen gehen, da das gesamte System Wirtschaft mit der Öffentlichen Verwaltung vernetzt ist, letztere bietet ja die Rahmenbedingungen für die Unternehmen. Deshalb ist die Südtiroler Situation weder mit Tirol (wo gar kein regionales Vergabeportal besteht) noch mit dem Trentino (wo zwar ein Vergabeportal besteht, jedoch mit anderen Funktionen und Möglichkeiten) so vergleichbar. Südtirol ist diesbezüglich auch von der EU-Kommission mehrmals beispielhaft hervorgehoben und ausgezeichnet worden. Wir haben somit für Unternehmen die Chance zur Weiterentwicklung ihrer Betriebskultur gesorgt und damit einen wichtigen Prozess eingeleitet, der ihnen heute einen Vorteil bietet – in welchem Bereich können wir das wirklich noch sagen?

Das Portal „Informationssystem für öffentliche Verträge“ ist seit Ende 2000 in Betrieb. Es ist von Anfang als einheitliche Plattform Südtirols gesehen worden, auf der sich die Anfragen der lokalen Vergabestellen und die Angebote der Wirtschaftsteilnehmer abwickeln sollen.

Die Nutzung einer solchen Plattform geht in die Richtung: Standardisierung der Verfahren (im Interesse der Wirtschaftsteilnehmer), Transparenz  (im Interesse der Bürger und der Wirtschaftsteilnehmer) und digitale Verwaltung (ein bedeutender Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt).

Alle diese Kriterien sind von den Normen vorgegeben, das Portal stellt einfach nur die Mittel für den „richtigen“ Ablauf der einzelnen Prozeduren zur Verfügung.

Im Allgemeinen sind die Firmen mit dem Portal zufrieden, da bei einer Ausschreibung, an der sie teilnehmen möchten, die notwendigen Dokumente standardmäßig vorgegeben sind, unabhängig von der Vergabestelle, die die Ausschreibung abwickelt.

„Schlangen vor der Handelskammer“

Alle Gesellschaften und privaten Firmen müssen seit dem 1. Juni 2010 über eine digitale Unterschrift verfügen, unabhängig vom e-procurement. Die Anwendung der digitalen Unterschrift auf dem Portal war somit keine besondere Neuheit und ist kein großes Problem für die Firmen gewesen. Warteschlangen vor der Handelskammer waren eine wirkliche Ausnahme an wenigen Tagen.

Wer jemals sein Unternehmen in der Plattform registriert hat, weiß, dass das nicht sehr kompliziert ist, wie im Artikel dargestellt wird. Man beachte: natürlich stehen hinter diesem Portal als Rechtsgrundlage nicht die Allgemeinen Geschäftsbindungen wie z.B. der ebay AG, sondern das komplette (und leider sehr komplexe) italienische Vergaberecht, einschließlich der gesamten Normen und Rechtsprechung!! Was die Anwendung der Plattform für die Vergabestellen betrifft, so wird die Eingabe der Daten nur einmal vorgesehen und diese für die verschiedenen Abläufe übertragen. Dies bedeutet, dass weniger Zeit benötigt wird im Vergleich zu anderen Regionen und Länder, wo die Daten getrennt mehrmals eingegeben werden müssen.

„Gebühren“

Die Information über die Vergütung gegenüber dem Systembetreiber ist sowohl unter den „Technischen Bestimmungen“, wie auch im vom System generierten Angebotsdokument vorhanden. Bei der Eingabe des Angebotsbetrags öffnet sich ein Pop-up-Fenster, um den Wirtschaftsteilnehmer daran zu erinnern, dass das Angebot auch den Betrag für die Vergütung enthalten soll. Da später dieser Betrag von Seiten der zuständigen Vergabestellen bezahlt wird, bildet es keine zusätzliche Last gegenüber dem Wirtschaftsteilnehmer.

Um die Kosten für die Plattform nicht dem Land selbst anzulasten, hat man damals den Weg der Umverteilung über die einzelnen Zuschläge der Wirtschaftsteilnehmer gewählt, eine Form, die übrigens in der Privatwirtschaft sehr häufig ist.

 „Verhältnismäßigkeit“

Dass es keine rechtliche Grundlage für die Einhebung der Gebühr gäbe, ist Unsinn: die gibt es selbstverständlich, es sind die Vertragsbedingungen für die Ausschreibungen. Und auch die Verhältnismäßigkeit der Kosten wird angezweifelt. Dazu folgendes: wenn es das Ergebnis einer EU-weiten offenen Ausschreibung war, dann war maximale Transparenz am Verfahren gewährleistet, die geschätzte Ausschreibungsbasis war gerechtfertigt.

„Zwei verdienen“ und „Alle zahlen“

Die AOV verdient selbst gar nichts. Das Land und der Gemeindeverband hatten eine Vereinbarung zur Finanzierung der AOV getroffen, da die Dienste der Agentur zugunsten der verschiedenen Vergabestellen geleistet werden. Hier verwechselt der Autor Äpfel mit Birnen, eines ist die Plattform, und etwas anderes sind die Dienstleistungen der Agentur. Die AOV stellt mehr als 200 verschiedene Standarddokumente, Handbücher, templates u.a. mehr zur Verfügung und diese werden ständig nach den geltenden Gesetzbestimmungen ajouriert. Es werden laufend Weiterbildungskurse rechtlicher und technischer Natur angeboten. Die AOV bietet kontinuierlich  Beratung und Hilfe bei der Vorbereitung einer Ausschreibung, veröffentlicht Ausschreibungen im Auftrag von anderen Vergabestellen, usw. Diese Dienstleistungen sind sehr personalintensiv und haben entsprechende Kosten, welche zu ungefähr einem Drittel von den Gemeinden mitgetragen wurden. Mittlerweile wurde das Abkommen zur Gemeindenfinanzierung geändert und das Land trägt alleinig diese Ausgaben.

Dies stellt einen signifikanten Mehrwert bzw. Dienst für die Wirtschaftsteilnehmer dar.

„Zusammenbruch“

Zum ersten ist der Vorfall 2014 und nicht 2015 passiert, zum zweiten dauerte der bedauerliche Fall nicht einmal 2 Tage und war auf die nicht vorhersehbare massive Datenflut der damals 519 Vergabestellen in Südtirol zurückzuführen. Das Ganze hat jedoch weder zu einem finanzielle Schaden geführt noch das System beeinträchtigt, im Gegenteil, es hat es nachhaltig verbessert.

„Schwächen“

Der Autor äussert Mutmassungen und Hypothesen, die keine reellen Grundlagen haben; kein Südtiroler Unternehmen wäre heute in der Lage, so ein Portal bereitzustellen. Es gibt heute auf dem italienischen Markt nur 2 Wirtschaftsteilnehmer (beide nicht mit Sitz in Südtirol), diese sind in dieser Sparte „big player“ der IT-Wirtschaft.

„Sicherheit“

Was die Sicherheit betrifft, so hat die Plattform in den sechs Jahren ihres Bestehens nie Probleme gehabt und nicht einen einzigen Rekurs verloren (tatsächlich hat es nur am Beginn der Tätigkeit von Seiten von großen internationalen Firmen Einwände gegeben, die allesamt und ausnahmslos entkräftet worden sind).

Diese Behauptungen sind technisch falsch und unwahr. Das System ist sehr wohl sicher, eine absolute Sicherheit kennt allerdings kein bekanntes System weltweit, ob digital oder nicht (wie sicher nicht digitale Vergabeverfahren sind, weiß man ja, Stichwort „Energie“). Wenn der Autor sagt, dass die Fragen über die Sicherheit niemand beantworten kann, dann deswegen, weil er die Verantwortlichen gar nicht gefragt hat, die hätten ihm das mit Leichtigkeit beantworten können.

Administrator. Hier gibt es eine Policy. Ansonsten wäre auch kein digitales Melderegister oder Bankkonto möglich.

Die Anwendung der Plattform ist dem leitenden Staatsanwalt, den Richtern des regionalen Verwaltungsgerichts, den Kommandanten der Finanzwache und den Carabinieri vorgestellt worden. Alle haben die Plattform als ein sicheres und gutes Instrument zugunsten der Transparenz und gegen die Korruption bewertet.

„Verpasste Gelegenheit“

Der Autor hat wirklich überhaupt keine Ahnung von einer Vergabeplattform: zu behaupten, die Konzession solle ohne den „Zusatzservice“ (sprich Erfüllung der Transparenzvorschriften) vergeben werden, ist schlicht und ergreifend ein technischer Unsinn. Das wäre, wie man einen Bankomaten ohne Geldausgabemöglichkeit bestellen würde…

Und die Behauptung, in Deutschland gäbe es ausgezeichnete Firmen: sicherlich gibt es die, sie hätten sich aber im Rahmen der eu-weiten offenen Ausschreibung bewerben müssen. Die Entwicklung bzw. Programmierung des Portals wurde als offenes Dienstleistungsverfahren ausgeschrieben, bei dem alle interessierten (lokale, nationale oder internationale) Wirtschaftsteilnehmer teilnehmen konnten.

Wenn keine lokale oder deutschsprachige Firma an der Ausschreibung teilgenommen hat, bedeutet dies, dass sie entweder nicht in der Lage waren einen solchen Dienst zu gewährleisten, oder dass sie es als nicht profitabel gesehen haben. Es handelt sich in der Tat um eine komplexe und stark spezialisierte telematische Plattform (und da das Vergaberecht in Italien sehr stark national geprägt ist entsprechend eingeschränkt), die nur von wenigen Firmen angeboten werden kann. Oder hat der Autor Vorschläge für ein weniger transparentes Verfahren? Ausschreibungen macht man halt so in Europa.

Für die Agentur für öffentliche Verträge des Landes Südtirol

Thomas Mathà, Direktor


 

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