von gru 01.02.2015 06:45 Uhr

Ein römischer Migrant in Österreich

Ein 47-jähriger römischer Architekt erzählt von seinem neuen Leben in Österreich. Familie, Arbeit, Sozialleben. Warum in Kärnten plötzlich alles möglich war.

"Brain Drain" oder "La fuga dei cervelli" Photomontage: UT24

Es gibt viele plastische Ausdrücke für ein akutes Phänomen in den Krisenstaaten der EU: “Brain-Drain” (in etwa: Hirnentleerung oder Hirnabfluss) nennt man es im Englischen, als “la fuga dei cervelli” (Flucht der Gehirne) bezeichnet es der Italiener.

Die deutsche Sprache kennt noch kein eigenes Wort dafür und entlehnt sich deshalb meist den englischen Begriff.

Il Fatto Quotidiano

Eine Serie der Tageszeitung Fatto Quotidiano beschäftigt sich mit diesem Trend und erzählt die Geschichten von gebildeten Italienern, die aus Frust über den Stillstand in ihrem Land die Flucht angetreten haben.

Die Zeitung erscheint mit einer durchschnittlichen Auflagenstärke von rund 500.000 Stück pro Tag. Sie wurde 2009 gegründet und finanziert sich nur über Werbung und Verkaufserlös, sie lehnt jede staatliche Förderung ab.

Dieses Finanzierungsmodell soll die Unabhängigkeit des Mediums garantieren.

Selbsterklärtes Hauptziel ist die Verteidigung der italienischen Verfassung, man stehe weder rechts noch links.

Ein Römer in Kärnten

Am 30.01.2015 erschien ein Artikel mit der Geschichte des römischen Architekten Alessandro Farina, der in Kärnten ein neues Leben angefangen hat.

Der 47-jährige war seit 16 Jahren als Architekt in Rom tätig, doch er sah dort keine Zukunft mehr, nachdem die erdrückende Bürokratie, unlautere Konkurrenz, fallende Preise und eine gefühlte Steuerlast von 50% keine Aussicht aus Besserung mehr zuließen. Mit 800 Euro Einkommen kann man in der italienischen Hauptstadt nicht überleben.

Rettung durch die Liebe

Den Rettungsanker für Farina brachte die Liebe, die ihm eine neue Perspektive in Hermagor, im unteren Kärntner Gailtal eröffnete. Die 8000-Einwohner große Gemeinde wurde das neue zu Hause des Akademikers, der mittlerweile geheiratet und eine Familie gegründet hat.

„Wir mussten uns entscheiden: Wollen wir in Österreich oder in Italien eine Familie gründen? Wir haben 1 und 1 zusammengezählt und hier war es besser. Hier ist alles anders: Arbeit, Familie, Lebensstil.“

sagt Farina.

„Der Staat unterstützt unsere Kinder auf der Basis unseres Einkommens“.

Auch einen Kredit für sein Haus mit Garten zu bekommen, war kein Problem.

Es geht aufwärts

Auch beruflich ging es aufwärts:

„Die Leute in Österreich verhandeln nicht über den Preis, sie vertrauen auf deine berufliche Leistung, wenn du anerkannt bist, kommst du voran. Dazu kommt noch eine schlanke Bürokratie: Keine Genehmigungspflicht für interne Arbeiten am Haus, Bauordnungen mit nur 6 Seiten, gegenüber 300 Seiten starken Gesetzessammlungen in Italien.

Das Land stellt uns Berater zur Verfügung, die uns helfen, die Gesetze richtig anzuwenden, in Italien musste ich mich selber durchbeißen und verlor unendlich viel Zeit.”

In Österreich hat der Architekt die Freude am Leben wiederentdeckt:

„Hier herrscht weniger emotionaler Stress, ein weniger erniedrigendes System. Man respektiert hier Professionalität, die Lebenshaltungskosten sind niedriger, überall gibt es Mülltrennung.“

Noch unterhält Farina berufliche Verbindungen nach Italien, einmal im Monat reist er nach Rom. In seiner Freizeit besucht er vom Land finanzierte Deutsch-Kurse.

Aus dem Hobby wird ein echter Nebenverdienst

Sein Hobby, die Musik, bringt ihm einen kleinen Nebenverdienst ein: Während er in Rom 50 Euro für einen ganzen Abend mit Gesang und Gitarrenbegleitung erhielt, entlohnt man ihn im Gailtal mit 100 Euro pro Stunde.

Ein paar kleine Wermutstropfen bleiben aber für den Südländer:

„Die Österreicher sind relativ verschlossen, sie küssen sich nicht in der Öffentlichkeit, man geht abends früh ins Bett, Einladungen zum Abendessen für Freunde sind eine Seltenheit.“

Die Rückkehr der Gehirne

Indes versucht der italienische Staat gegenzusteuern. Mit der schon seit Jahren bestehenden Initiative „il rientro dei cervelli“ (Etwa: Die Rückkehr der Gehirne), winken Forschern oder Akademikern, die mehr als 2 Jahre im Ausland gearbeitet haben, Steuererleichterungen, wenn sie nach Hause zurückkehren.

Dem Vernehmen nach soll der Antrag aber mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden sein.


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