
Florian Stumfall
Wider das Mehrheitsprinzip

Die Wirklichkeit also sieht aus wie folgt: Die öffentliche Hand in Deutschland ist mit rund zweieinhalb Billionen Euro verschuldet. Damit aber nicht genug. Dazu kommt der deutsche Anteil an den Schulden der EU-Kommission in Höhe von 390 Milliarden, ein Posten, der auf frohes Wachstum hoffen darf, seit die EU vertragswidrig das Recht beansprucht, selbst Schulden zu machen. Dazu kommen weiter anteilig die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), ebenfalls in Billionen-Höhe, und schließlich Deutschlands uneinbringbare Target-Forderungen aus dem EU-internen Verrechnungssystem, die ebenfalls rund eine Billion betragen.
Diese Rechnung als Grundlage allen staatlichen Handelns ist der Ampel in ihrem Vertrag keine Silbe wert. Doch auch auf anderen Politikfeldern klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
Merkels Erbe freudig übernommen
Ganz vorne steht dabei das von Grün-Rot aus Angela Merkels Hand freudig übernommene Erbe der Energiewende. Als einziger Staat überhaupt rühmt sich Deutschland, seine Kernkraftwerke abgeschaltet zu haben. Die interne Propaganda verkündet obendrein, man habe so eine Vorreiterrolle für die Staaten der Welt eingenommen. Tatsache aber ist, dass sich Deutschland genötigt sieht, immer mehr Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen zu kaufen, damit hier das System nicht zusammenbricht. Trotzdem werden E-Autos subventioniert, doch weiß niemand, woher der Strom dafür kommen soll.
Der Ampelkoalitions-Vertrag faselt von einer „öko-sozialen Marktwirtschaft“, ohne indes zu sagen, worum es sich dabei handelt. Um Marktwirtschaft sicher nicht. Vielmehr wird die Wirtschaft, die mittelständische zumal, durch die hohen Energiekosten, steuerliche Belastung und bürokratische Auflagen derart bedrängt, dass viele Betriebe schließen müssen, während andere ins Ausland gehen. Es droht die Deindustrialisierung Deutschlands, während der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von der „grünen Transformation“ schwärmt.
Die Grünen bestimmen unangefochten die Politik in Deutschland
Dieser soll offenbar auch die ungeregelte und unbeschränkte Zuwanderung dienen. Nach Selbstauskunft wollen die Grünen „eine einladende Einwanderungspolitik“, und Deutschland sei darauf angewiesen, der Fachkräfte wegen. Dabei verkennen sie geflissentlich, dass zusammen mit der zunehmenden Einwanderung auch der Mangel an Arbeitskräften gestiegen ist. Wer, den traurigen Tatsachen entsprechend, von einer Einwanderung in die Sozialsystem spricht, wird als fremdenfeindlich, rassistisch und Nazi beschimpft.
Denn, so wiederum der Koalitionsvertrag: „Wir wollen eine Kultur des Respekts befördern – Respekt für andere Meinungen, für Gegenargumente und Streit, für andere Lebenswelten und Einstellungen.“ Goldene Worte. Doch tatsächlich gilt dieser Schutz ausschließlich den zahlreichen Minderheiten. Wer das Interesse der eingesessenen, herkömmlichen Mehrheitsgesellschaft ins Feld führt, wird ebenso mit dem Verdacht des Rechtsextremismus belegt und verliert dadurch sein Rederecht ganz automatisch. Die vielen Stellen für Denunzierung, die vom Staat eingerichtet werden, sind äußeres Zeichen dieser Haltung. Es ist, als käme die Integration als Bringschuld der deutschen Bevölkerung zu.
Totschlag-Vokabel „Islamophobie“
Um nur eines herauszugreifen: Zu den Begriffen wütender Beschimpfung von Menschen mit abweichender, das heißt, politisch inkorrekter Meinung gehört der Vorwurf der „Islamophobie“ an alle, die des Propheten Lehre nicht als Bereicherung des Abendlandes verstehen. So die ideologische Festsetzung. Tatsache aber ist, dass weltweit keine Religion so viel Verfolgung erleidet wie das Christentum und dies vorwiegend in islamischen Ländern. Wieder stehen die propagandistischen Fassaden im unüberwindlichen Widerspruch zur Wirklichkeit.
In Deutschland gibt es nicht nur den Verlust an wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technischer Kompetenz, sondern es tobt hier ein Kulturkampf von epochalem Ausmaß. Auf der einen Seite wird der Bildungsnotstand beklagt, gleichzeitig ergehen sich die Fachleute in Betrachtungen übers Gendern und Binnen- I, Unterstrich und anderen Quatsch. Man wolle niemanden zurücklassen, heißt es. Ja, aber dann darf auch niemand vorauseilen. Alle sollen gleich sein. Das zeigt die systemische Leistungsfeindlichkeit dieses Denkens.
Vor lauter Inklusion und Warnungen vor Diskriminierung sieht man überhaupt keinen normalen Menschen mehr. Wer dem Zeitgeist nicht zujubelt, der wird ausgesondert, vor allem wenn er einer falschen Partei zuneigen sollte. Denn was falsch und richtig ist, beschließt eben dieser Zeitgeist. Scheinprobleme verstellen die Wirklichkeit, die Ideologie verbietet kritisches Denken, und der Machtanspruch einer fanatischen Clique gefährdet das Recht der Mehrheit.
Bei der letzten Bundestagswahl bekamen die Grünen 15 Prozent der Stimmen. Berücksichtigt man die Wahlbeteiligung, so sind das zehn Prozent der Wahlberechtigten. Aber sie bestimmen unangefochten die Politik in Deutschland. Demokratie als eine politische Ordnung, die auf dem Mehrheitsprinzip gründet, war ursprünglich anders gedacht.
Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)
