Florian Stumfall
Über den Sinn von Grenzen
Dabei gibt es innerhalb Europas auch Gegenbeispiele, eines ausgerechnet aus Skandinavien, wo man allzu lange in der Einwanderungsfrage völlige Regellosigkeit hat walten lassen, die seinerzeit als eine höhere Form der Menschlichkeit ausgegeben wurde. Doch seit man in Schweden das Militär gegen hochkriminelle nahöstliche Sippen hat einsetzen müssen, fand dort ein Umdenken statt. Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island nämlich haben sich auf eine engere Zusammenarbeit geeinigt, um Rückführungen von Illegalen zu erleichtern.
Davon ist man in Berlin weit entfernt. Faeser will im Gegenteil zwar die Asylverfahren beschleunigen, aber dadurch, dass man die Sicherheitsüberprüfungen zurückfährt. So soll es weniger Kontrollen der Ausweise geben – so vorhanden –, doch Smartphones zur Überprüfung der Nationalität werden nicht mehr herangezogen, und das Schengener Informationssystem wird nicht mehr befragt. Die Folge davon ist nicht eine beschleunigte Heimführung, sondern eine Erleichterung im Sinne des Verbleibens der Immigranten, gleich, welches Risiko sie für die deutsche Gesellschaft darstellen mögen.
Frontex sieht hilflos zu
Diese Berliner Immigrationspolitik wird durch das völlige Versagen der entsprechenden Einrichtungen und vertraglichen Vereinbarungen innerhalb der EU, des Schengen-Raumes und der assoziierten Länder begünstigt. So hätte Frontex, die „Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache“ in den 19 Jahren des Bestehens Gelegenheit genug für den Nachweis der Tauglichkeit und des Erfolges finden können. Das zeigt ein Vorwurf, den der damalige Frontex-Chef Fabrice Leggeri bereits 2017 erhoben hat und der dahin ging, dass Hilfsorganisationen Schlepperbanden unterstützten. Was er nicht dazu sagte, aber durch seine Klage indirekt bestätigte, war, dass Frontex dabei hilflos zusieht.
Das rechtliche Regelwerk der EU, die Zuwanderung betreffend, ist maßgeblich gekennzeichnet durch das Schengener Abkommen und den Vertrag von Dublin. Das Schengener Übereinkommen schreibt für Bürger eines der Teilnehmerstaaten das Recht der Reisefreiheit im Vertragsgebiet fest. Diese Regelung dient der Vereinfachung des Personen- und Warenverkehrs, bietet aber auch Migranten, anerkannten wie illegalen, zahlreiche Schlupfwinkel. Denn wer sich einmal durch die Wirkungslosigkeit von Frontex auf europäischem Boden befindet, hat alle Möglichkeiten unterzutauchen oder aber an verschiedenen Stellen Hilfsgelder zu beziehen.
Grenzen ersatzlos zu tilgen, führt in die Anarchie
Hier kommt die Dublin-Verordnung ins Spiel. Sie regelt, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in dem ein Immigrant zum ersten Mal das Vertragsgebiet betreten hat. Das bedeutet, dass für die weit überwiegende Zahl der Fälle die Mittelmeeranrainer zuständig wären. Doch das ist reine Theorie. Deutschland nämlich ist ausschließlich von sicheren Drittländern umgeben, sodass keiner der Zuwanderer, die auf dem Landweg kommen, einen Anspruch auf Asyl erheben könnte. Tatsächlich aber ist die Wirklichkeit von einem durchgängigen Versagen sowohl der Frontex, als auch des Schengen- sowie Dublin-Abkommens gekennzeichnet.
Zudem herrscht ein absolutes Chaos in dem Sinne, dass es über den Begriff des Asyls verschiedene Auffassungen gibt. Die in Deutschland gültige Lesart steht im Grundgesetz, Artikel 16a: „1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. 2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittland einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“
Ebenso populär wie gefährlich
Daraus folgt, dass es sich beim Asylrecht nicht um ein elementares und bedingungsloses Menschenrecht handelt, es vielmehr von Voraussetzungen wie der persönlichen Verfolgung abhängig ist. Demgegenüber ist in Theorie und Praxis der EU das Bemühen festzustellen, das Asylrecht als unbedingt und an keine Voraussetzung gebunden zu verstehen. Das führt dann geradewegs zu dem sogenannten Grundrecht auf Migration, das heißt, Einwanderung in das Land der Wahl, wie es von den Vereinten Nationen bereits festgeschrieben worden ist. Auch die EU (Verordnung Nr. 604/2013) nennt als Ziel ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ (GEAS), in welchem der „Grundsatz der Nichtzurückweisung“ gilt.
Wie nicht anders zu erwarten, läuft die Politik der EU auf eine Gleichschaltung der Migrationspolitik hinaus, in welcher der überdehnte Asyl-Begriff dazu führt, dass die eigentlich Berechtigten ihren Status gegenüber solchen verlieren, die grundlos Anspruch erheben.
Dies alles geschieht unter dem Fanal, man müsse die Grenzen niederreißen. Das ist ebenso populär wie gefährlich. Grenzen nämlich schützen und schaffen Struktur und Sicherheit; sie ermöglichen Eigentum; sie sind der Ausdruck von Rechtsansprüchen und für eine friedliche Ordnung daher unerlässlich; sie definieren kulturelle Räume; sie ermöglichen und erhalten – im übertragenen Sinne – das Maß und die Mitte als Orientierungspunkte des Lebens; wer glaubt, man könne Grenzen einfach niederreißen, leugnet oder kennt nicht die Gefahr des Chaos. Wo Grenzen hinderlich fürs Gedeihen sind, mag man ihre Qualität, das heißt, ihre Durchlässigkeit ändern. Sie aber ersatzlos zu tilgen, führt in die Anarchie. Die Ansätze dazu aber sind in der europäischen Migrationspolitik mehr als deutlich zu erkennen.
Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)