Florian Stumfall

06.05.2024

Radikalenerlass 2.0

Kaum anderswo als in Deutschland stellt das Beamtentum eine vollends geschlossene, definierte und hervorgehobene arbeitsrechtliche Einheit dar. Das Staatslexikon (Sacher ed.) spricht von einem „gesetzlich verbürgten Amtsrecht“. Dies beinhaltet für den einzelnen Beamten Vorteile und Auflagen. So korrespondiert die Unkündbarkeit mit dem Streikverbot, und die Erledigung hoheitlicher Aufgaben fordert eine zweifelsfreie Loyalität zum Staat. Dies stand außer Frage, bis im Zuge der linksextremen 68er-Revolte der radikale Studentenführer Rudi Dutschke den „Marsch durch die Institutionen“ ausrief, also eine Unterwanderung des öffentlichen Lebens, angefangen beim Schullehrer bis hin zum Gerichtspräsidenten. Seither ist es um die Sicherheit des Verhältnisses vom Staat zu seinen Beamten geschehen.

Hat das Disziplinarrecht verschärft: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (Quelle: BMI/Henning Schacht).

Sehr bald schon sah die Politik Anlass, diese Strategie der Subversion ernst zu nehmen. Das Ergebnis war der sogenannte Radikalenerlass vom 28. Januar 1972. Der Beschluss dazu beruhte auf einer Einigung der Ministerpräsidenten der Länder mit dem damaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Inhalt der Bestimmung war, dass Bewerber zum Beamtentum oder für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue hin überprüft werden sollten. Auffällige Bewerber würden demgemäß abgelehnt, bereits im Amt befindliche Staatsdiener sollten gegebenenfalls daraus entfernt werden können.

Der 72er-Radikalenerlass

Doch obwohl mit Brandt ein linker Politiker in diesem Sinne federführend tätig gewesen war, erhob sich auf der noch linkeren Seite ein Sturm der Entrüstung. Sofort war die Rede von „Berufsverboten“, ganz so, als hätte es jemals den Rechtsanspruch auf eine Beamtenlaufbahn gegeben. Die Medien stellten sich in ihrer Mehrzahl auf die Seite der Empörer, und das trug wesentlich dazu bei, dass die zaghafte Bereitschaft der Politiker erstarb, gegen den Marsch durch die Institutionen ein wirksames Mittel anzuwenden. Schon 1979 wurde der Erlass von der SPD/FDPRegierung in Bonn einseitig aufgekündigt. Weil aber die Durchführung Ländersache war, setzte alsbald ein Wettlauf der „Guten“ ein, wie man heute sagen würde, und 1985 wurde die Regelanfrage abgeschafft.
Doch es gibt zwei unmittelbare Bezüge dieser zurückliegenden Ereignisse in die Gegenwart. Zum einen fordern jetzt noch Leute Entschädigung und Rehabilitierung, die vom Radikalenerlass betroffen waren, und es ist das Land Niedersachsen, das als erstes eine Kommission „zur Aufarbeitung der Schicksale der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeit ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung“ eingesetzt hat. Bis in den Sprachgebrauch, die Verwendung des Kampfbegriffes „Berufsverbote“, ist der öffentliche Kniefall vor dem Zeitgeist erkennbar. Es steht zu erwarten, dass andere Gutmensch-Politiker dem Beispiel folgen werden.

Zwei gravierende Unterschiede zwischen damals und heute

Der zweite Bezug ist Anliegen und Auftrag der Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Es geht um ihren „Kampf gegen Rechts“. In diesem Zusammenhang sagt die SPD-Politikerin: „Ein wichtiger Baustein ist die Reform unseres Disziplinarrechts, die seit dem 1. April gilt. Künftig können Verfassungsfeinde deutlich schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Das gilt es nun konsequent durchzusetzen.“ Mit einem Wort: Radikalenerlass 2.0, allerdings mit zwei gravierenden Unterschieden.
Zum einen sah sich die Bundesrepublik in den 70er und 80er Jahren der massiven Bedrohung durch die aggressive Macht des real existierenden Sozialismus in der östlichen Hälfte Europas ausgesetzt, was zur ständigen Vorsicht dringlichen Anlass gab. Zum anderen richtete sich der 72er-Radikalenerlass ausdrücklich gegen Extremisten sowohl von der linken als auch von der rechten Seite. Heute ist das anders. Es gibt in Faesers Weltbild keine Gefahr von links, und um diejenige von rechts zu illustrieren, musste sie sich zu dem verzweifelten Vorgehen gegen den Prinzen Heinrich VIII. Reuß verstehen, die Gefahr der Lächerlichkeit nicht scheuend, als ein paar ältere Herren festgesetzt wurden, die angeblich mit Schwert und Armbrust die Regierung in Berlin stürzen wollten. Dass einer von ihnen, gerade noch aus der Haft entlassen, mittlerweile verstarb, hat indes keinerlei Empörung ausgelöst.

Politische Querschnittaufgabe

Der „Kampf gegen Rechts“ wird inzwischen zur politischen Querschnittaufgabe. Selbstverständlich ist das Innenministerium federführend, aber auch das für Wirtschaft und andere Einrichtungen. Ansprechstelle ist das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, ein Rubrum, dem man den parteipolitischen Kampfauftrag nicht ansieht. Da aber der „Kampf gegen Rechts“ von den verschiedensten Protagonisten vorgetragen wird, gibt es dafür auch zahlreiche Geldtöpfe, sodass die tatsächlichen Aufwendungen kaum festzustellen sind. Eine Anfrage aus dem Jahr 2022 hat ergeben, dass für den „Kampf“ gegen die Linke 1,3 Millionen Euro aufgewendet worden seien, gegen rechts dagegen 22 Millionen, das 17-Fache. Doch das ergibt kein zuverlässiges Bild. Denn allein das Programm „Demokratie leben“, das ebenfalls dem „Kampf gegen Rechts“ gewidmet ist, hat im selben Jahr 165 Millionen Euro bekommen.
Ist das krasse Missverhältnis bei der Verteilung der Mittel für die Bekämpfung des Extremismus schon ein Ärgernis, so stellt der Umstand eine wahrhafte Gefahr dar, dass die Begriffe „rechts“ oder „Extremismus“ in den Texten bewusst unklar gehalten werden. Das lässt bei der Anwendung viel freien Raum. Zum einen kann man so verhindern, dass eine unmissverständliche Fassung auch auf die extreme Linke zutrifft, was ja unvermeidlich wäre, zum anderen ist es so möglich, der Rechten Sachverhalte oder Geschehnisse je nach Bedarf anzulasten.
Daher hat die Regierung respektive das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Nutzung ihrer Meldestellen, der Einrichtungen für Denunziation, die Empfehlung gegeben, davon auch „unterhalb der Strafbarkeit“ Gebrauch zu machen. Dieses „unterhalb der Strafbarkeit“ darf man getrost mit dem Vorbehalt der Vorläufigkeit verstehen. Senkt sich der Pegel der Strafbarkeit eines Tages ab, so hat die Exekutive sofort genügend Material, um zuzugreifen.

Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)

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