Elmar Thaler

12.06.2022

Die international-rechtlich nicht abgesicherte Südtirol-Autonomie

Nun, da der offizielle Jubel über „30 Jahre Streitbeilegung vor den Vereinten Nationen“ verklungen ist, zeigt die nachstehende Darstellung, dass die Südtirol-Autonomie auf tönernen Beinen steht. Die Behauptung, dass sie international-rechtlich gut abgesichert sei und der ganzen Welt als Vorbild dienen könne, ist eine Irreführung der Bevölkerung.

Foto: Buch der Autonomie

Das EWG-Veto Italiens und Österreichs Verzicht auf eine vertragliche Absicherung der Autonomie

Der österreichische Außenminister Dr. Bruno Kreisky und sein italienischer Kollege Giuseppe Saragat hatten eine zwischenstaatliche Vereinbarung über das künftige Autonomie- „Paket“ und die Einrichtung eines Schiedsgerichtes für die Klärung allfälliger Streitfragen geplant gehabt.

Als die Österreichische Volkspartei (ÖVP) 1966 bei den Nationalratswahlen die absolute Mehrheit errang, ließ der neue Außenminister Dr. Lujo Toncic-Sorinj unter dem Druck des italienischen Vetos gegen einen Beitritt Österreichs zur „Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft“ (EWG) die Forderung nach internationaler Verankerung fallen.

Die italienische Seite beharrte darauf, dass in Zukunft Streitfragen in Bezug auf die Autonomie von Österreich vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gebracht werden müssten. Dort könnten jedoch nicht die Autonomiebestimmungen des italienischen „Sonderstatuts für Trentino-Südtirol“ von 1972 eingeklagt werden, die rein innerstaatliche italienische Rechtsakte seien, auf die Österreich keinen internationalen Rechtsanspruch habe und die eine „Übererfüllung“ des „Pariser Vertrages“ darstellten. Eingeklagt werden könne nur das „Pariser Abkommen“ von 1946.

Ein vernichtendes Gutachten

Der Teufelsfuß an der Sache: Das „Pariser Abkommen“ von 1946 umfasst lediglich 40 Textzeilen und besteht vorwiegend aus unverbindlichen Absichtserklärungen.

Eindeutig geregelt ist nur der gleichberechtigte Gebrauch der deutschen Sprache in öffentlichen Ämtern, der Schulunterricht in der Muttersprache und die Gleichberechtigung bei dem Eintritt in den öffentlichen Dienst. In einer allgemein gehaltenen Floskel wurde eine autonome regionale Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis zugesichert, deren Umfang jedoch nicht definiert war.

Am ersten Mai.1992 legte der Salzburger Jurist Univ.-Prof. DDr. Franz Matscher dem österreichischen Außenminister Dr. Alois Mock ein Gutachten „Zur internationalen Verankerung des Pakets“ vor. (Seinerzeit zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora)

In diesem Gutachten erklärte Univ.-Prof. DDr. Matscher, dass Italien seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgegeben habe, wonach „die Paketmaßnahmen innerstaatliche, Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte“ darstellten.

Eine erfolgreiche Einklagbarkeit von Paketmaßnahmen vor dem IGH sei davon abhängig, dass der Nachweis gelinge, dass die verletzte Autonomiebestimmung, derentwegen die Klage erhoben werde, aus dem Pariser Vertrag ableitbar und zu seiner Erfüllung auch notwendig sei.

Bei den Fällen unmittelbarer Ableitbarkeit aus dem Pariser Vertrag dürfte dieser Nachweis relativ leicht, bei den Fällen mittelbarer Ableitbarkeit schwierig und bei den Fällen entfernter Ableitbarkeit eher zu verneinen sein.

Diese Feststellungen des Gutachters Univ.-Prof. DDr. Matscher standen in offenem Widerspruch zu der offiziellen Behauptung der österreichischen Bundesregierung, wonach alle Paketmaßnahmen als notwendig zur Erfüllung des Pariser Abkommens von 1946 anzusehen und daher mit Erfolg vor dem IGH einklagbar seien.

Ende Mai 1992 veröffentlichte die „Autonome Region Trentino-Südtirol“ den damaligen Autonomiebestand in einem dicken Buch von 741 Seiten. Man kann sich ungefähr vorstellen, wieviel dieser Materie aus einem 40 Zeilen umfassenden Schriftstück namens „Pariser Abkommen“ direkt abgeleitet werden kann!!!

Foto: Matscher-Gutachten vom ersten Mai 1992

Österreichs Verabschiedung aus der Schutzmachtrolle für die Autonomie

Am fünften Juni 1992 stimmte der Österreichische Nationalrat trotz dieses Gutachtens und zahlreicher Proteste von Rechtskundigen wie Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora mit den Stimmen der ÖVP und der SPÖ gegen die Stimmen der FPÖ der Unterzeichnung des sogenannten IGH-Vertrages zu, in welchem die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (IGH) für Streitigkeiten über Auslegungen des „Pariser Abkommens“ vereinbart wurde.

Am elften Juni 1992 übergab der österreichische Außenminister Dr. Alois Mock dem italienischen Botschafter Quaroni eine Verbalnote, mit der Österreich die Erfüllung des Autonomie- „Pakets“ durch Italien formell anerkannte.

Am 19. Juni 1992 gaben Österreich und Italien gegenüber den Vereinten Nationen die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ ab.

Österreich scheut bis heute den Gang zu dem IGH

Trotz fortgesetzter Autonomieaushöhlungen scheut die österreichische Bundesregierung bis heute den Gang zum Internationalen Gerichtshof (IGH). Die Gefahr, eine solche Klage formalrechtlich zu verlieren, ist zu groß. Eine österreichische Niederlage vor dem IGH würde weiteren italienischen Eingriffen in die Autonomie erst richtig Tür und Tor öffnen und der Öffentlichkeit zeigen, wie es um die „Schutzmachtrolle“ Österreichs in Bezug auf die Autonomie „international-rechtlich“ in Wahrheit bestellt ist.

Damit erklärt sich, weshalb Südtirol bei allen bisherigen Autonomie-Aushöhlungen von Österreich allein gelassen wurde und bis heute darauf angewiesen ist, in endlosem Kuhhandel durch Gegengeschäfte und gefällige Abstimmungen im römischen Parlament zu versuchen, jeweils zu retten, was zu retten ist.

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  1. Veritas
    14.07.2022

    Gib Dir vollkommen recht

  2. Elsa
    13.06.2022

    Und wieder sieht man wie Österreich, wenn’s darauf ankommt, nicht zu Südtirol steht.
    Die Rot-Weiß-Rot-Nostalgiker sollten endlich mal eine Geschichtsbuch zur Hand nehmen.

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