Ein Blog von

Wolfgang Niederhofer

16.04.2020

Coronakrise und wir zwischen Skylla und Charybdis

Seit fünf Wochen verharren die Bürger Südtirols bereits im Zustand des sogenannten Shutdown. Grundlegende, durch die Verfassung garantierte Bürgerrechte wurden im Handstreich außer Kraft gesetzt. Noch vor zwei Monaten wäre dies völlig unvorstellbar gewesen. Anfangs von den europäischen Regierungen verharmlost und verschlafen, fegte die Corona-Epidemie wie ein Gewittersturm über Europa hinweg. Entsprechend aktionistisch und drastisch waren die Reaktionen. In den meisten europäischen Ländern ist das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben durch den verordneten Stillstand weitgehend zum Erliegen gekommen.

(Foto: Freepik)

Stärken nach Erstverteidigung nicht genutzt

Als erster Verteidigungsring gegen die Pandemie mögen die radikalen Maßnahmen richtig und auch wirksam sein. Es galt die Ausbreitung zu verlangsamen und einen exponentiellen Anstieg der schweren Krankheitsverläufe zu verhindern. Doch selbst nach 5 Wochen bleibt die Datenlage, die Grundlage dieser Maßnahmen ist, sehr dünn. Ohne statistisch repräsentative Antikörper-Tests wissen wir nicht, wie hoch die Durchseuchungsrate der Bevölkerung ist. Erst davon lässt sich die wirkliche Letalität der Infektion mit dem Covid-19-Virus ableiten.

Eine Vielzahl weiterer Fragen bleibt weiterhin unklar. Es stellt sich auch immer mehr die Frage, wie es passieren konnte, solch massiv eingreifende Entscheidungen zu treffen, ohne vorher eine umfassende Expertise unabhängiger Experten einzuholen und diese für die Bürger auch transparent nachvollziehbar zu machen. An der Coronakrise zeigt sich, dass eine Demokratie ihre Stärken nur ausspielen kann, wenn unterschiedliche Meinungen zugelassen werden und aus harten, aber fair geführten Debatten sich die besten Lösungen herauskristallisieren. All dies war in der Phase 1 der Coronakrise nicht der Fall.

Kein Spielraum mehr vorhanden

Unabhängig davon muss allen Verantwortlichen klar sein, dass der Spielraum für die weitgehende Einschränkung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nach fünf Wochen nicht mehr vorhanden ist. Während die Phase 1 der Krise weitgehend virologischen Argumentationslinien folgte, muss die Phase 2 differenziertere Lösungsansätze verfolgen.

Es gilt nun, volkswirtschaftlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und medizinisch den besten gangbaren Weg einzuschlagen. Dazu gehört auch, dass die Risikogruppen endlich professionell geschützt werden. Es gilt auch Erfahrungen aus Ländern wie etwa Südkorea und Schweden zu implementieren, die allesamt ohne Lahmlegung von Gesellschaft und Wirtschaft bis dato bessere Werte erzielen.

Lehrbeispiel Odysseus und die Ungeheuer

Um die Herausforderungen zu verdeutlichen, begleiten wir Odysseus auf seiner Fahrt durch die Meerenge von Messina. Auf der einen Seite lauert Skylla, auf der anderen Seite Charybdis. Skylla, ein grässliches Meeresungeheuer mit sechs Hundeköpfen, die alles verschlingen, was ihnen vors Maul kommt, Charybdis, ein Scheusal, welches das Meer an den Klippen dreimal am Tag in eine brüllend stürmische See verwandelt. Ohne den weisen Rat der Göttin Kirke wäre Odysseus niemals heil zwischen Skylla und Charybdis hindurch gekommen. Zwar wurden sechs Gefährten von der Skylla gefressen, aber durch Kirkes Rat entkommen sie dem Strudel der Charybdis.

Unsere Staaten hingegen rudern aus Angst vor Skylla mit voller Kraft Richtung Charybdis und riskieren dabei den totalen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems und in deren Folge auch die Zerstörung unserer demokratischen Grundordnung. Unzählige Familien, Arbeitnehmer und Unternehmer stehen vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz. Ein Shutdown bis Ostern wäre mit einem geschätzten Wirtschaftsrückgang von etwa 10% noch mit starken Blessuren zu bewältigen gewesen. Mit jedem Tag, mit jeder Woche des Stillstands steigen die Schäden nun exponentiell. Die Folgekosten dürften dann weit höher ausfallen, als der Schaden, den man zu verhindern versucht.

Wirtschaft ist ein lebender Organismus

Viele Politiker und Verwalter – häufig juristisch und nicht volkswirtschaftlich sozialisiert – scheinen eine etwas statische Vorstellung von Volkswirtschaft zu haben. Die Wirtschaftswelt ist wie ein komplexer Organismus. Wird dieser durch einen äußeren Gewaltakt, wie es dieser von oben verordnete Shutdown ist, von Nahrung und Sauerstoff abgeschnitten, sterben zuerst einzelne Teile und Organe ab. Diese lassen sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr per Knopfdruck einschalten, auch nicht mehr wiederbeleben.

Mit jedem gesunden Unternehmen, das aufgeben muss oder Insolvenz anmeldet, geht volkswirtschaftlich Wert verloren. Wertvolles technisches und wissenschaftliches Know-how, gut eingespielte Mitarbeiter, geschäftliche Netzwerke zwischen Kunden und Lieferanten, regionale Verflechtungen usw. gehen unwiederbringlich verloren. Die in Italien und in Südtirol geplanten öffentlichen Unterstützungen können ohnehin nur über einen sehr begrenzten Zeitraum die gravierendsten Härtefälle abfedern. Der Glaube, mit der Druckerpresse eine funktionierende Realwirtschaft zu ersetzen, die an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wird, ist verwegen.

Völliger Zusammenbruch nicht mehr auszuschließen

Ab einem bestimmten, kritischen Punkt ist selbst eine Kernschmelze mit dem völligen Zusammenbruch des Wirtschafts- und Finanzsystems nicht mehr auszuschließen. Die Folgen würden apokalyptische Größenordnungen annehmen, die sich niemand auch nur ansatzweise vorzustellen vermag. Neben Massenarbeitslosigkeit, Verelendung breiter Bevölkerungsschichten, Zusammenbruch des Währungssystems, Versorgungsengpässen aufgrund fehlender Logistik-Ketten und Unruhen würde auch unsere demokratische Grundordnung sehr schnell in Frage gestellt werden. Ein idealer Nährboden für politische Rattenfänger jeglicher Couleurs. Der Finanzcrash von 1929 wäre dagegen ein Kindergeburtstag. Nachkommenden Generationen würden möglicherweise nicht nur über Jahre, sondern sogar über ein Jahrzehnt ihre Träume und Perspektiven gestohlen. Weltweit sind durch die Krise zusätzlich eine halbe Milliarde Menschen von Armut bedroht.

Gesundheit geht vor Wirtschaft, koste es, was es wolle?

Übrigens, ohne leistungsfähige Wirtschaft gibt es morgen ohnehin kein funktionierendes Gesundheitswesen. Das Argument, Gesundheit geht vor Wirtschaft, zeugt von einer etwas einfach gestrickten Vorstellung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. So scheinen, um nur ein Beispiel zu erwähnen, Korrelationen zwischen Arbeitslosigkeit, erhöhter Krankheit und erhöhter Mortalität ausreichend dokumentiert zu sein. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung traut sich derzeit ohnehin nicht mehr die Notaufnahme aufzusuchen und Vorsorgeuntersuchungen wurden ausgesetzt. Auch dies führt zu gesundheitlichen Folgeschäden.

In der nun zwingend notwendigen zweiten Phase der Krise, wäre es sinnvoller, mit dem Rückgrat einer leistungsstarken Wirtschaft, entsprechende Investitionen in das Gesundheitssystem zu stemmen, um dieses auch in Südtirol flächendeckend zu den europäisch führenden Regionen aufschließen zu lassen.

Jetzt muss sich Südtirols Autonomie bewähren

Trotz akuter Gefahren für Gesellschaft und Wirtschaft hat Italien keine Exit-Strategie. Im Gegensatz zu Österreich, wo ein kontrolliertes Hochfahren der Wirtschaft geplant ist, scheint die Vorgangsweise der italienischen Regierung zunehmend selbstzerstörerische Züge anzunehmen. Damit wird keine Aufbruchstimmung erzeugt. Bis auf wenige Krisengewinnler verharrt die gesamte Wirtschaftswelt durch die völlige Planungsunsicherheit im Zustand von absolut pessimistischen Erwartungshaltungen. Mitarbeiter werden auf das absolut notwendige Maß reduziert und Investitionen zurückgestellt oder ganz gestrichen.

Die verheerenden Ausmaße auf dem Arbeitsmarkt werden sich erst im Juni zeigen. Aufgrund massiver Einbrüche bei den Steuereinnahmen zeigt sich die Krise zeitverzögert auch im öffentlichen Sektor. Südtirol wird nächstes Jahr mit einem massiv gestutzten Haushalt wirtschaften müssen. Und trotz Prognosen, die Coronakrise würde einige Auswüchse der Globalisierung in Frage stellen, steht mit dem regional verwurzelten Einzelhandel bereits ein Verlierer der Krise fest. Viele Innenstädte dürften morgen schon ärmer aussehen und Amazon bezahlt seine Steuern bekanntlich nicht vor Ort.

Der Tourismus, eine der Schlüsselbranchen Südtirols steht sowieso vor einem Fiasko. Hier muss garantiert werden, dass zumindest für die Sommersaison Schadenbegrenzung möglich ist und die innereuropäischen Grenzen geöffnet werden. Sollte die italienische Regierung nicht zeitnah einen Plan zur Normalisierung vorlegen, muss Südtirol in Rom einen eigenen Weg durchboxen. Unser Land muss mit den entsprechenden Kompetenzen zur Lösung dieser Krise ertüchtigt werden. Jetzt muss sich Südtirols Autonomie bewähren und zeigen, dass es sich um mehr als eine Schönwetter-Autonomie handelt. Ansonsten müssen Alternativpläne, die auch den derzeitigen Status-Quo des Landes in Frage stellen, auf den Verhandlungstisch.

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