Sicherheit im Alltag

Ob Menschen sich sicher fühlen, hängt nicht nur davon ab, wie viele Delikte registriert werden. Es geht auch um das, was man selbst erlebt oder im Umfeld mitbekommt: Erzählungen im Freundeskreis, ein Vorfall in der Nachbarschaft, ein Video auf Social Media, ein Polizeieinsatz vor dem eigenen Haus. Forschungen zu „fear of crime“ zeigt seit Jahren: Orte gelten oft als unsicher, weil sie so wahrgenommen werden (z. B. wegen Dunkelheit, Unordnung, schlechten Erfahrungen) und nicht zwingend, weil dort objektiv am meisten passiert. Das erklärt, warum in manchen Gegenden das Unsicherheitsgefühl hoch ist, obwohl die Kriminalitätsrate nicht explodiert.
Laut ISTAT stieg 2023 der Anteil der Haushalte, die ihre Wohngegend als „sehr“ oder „ziemlich“ kriminalitätsgefährdet einschätzen, auf 23,3 Prozent (plus 1,4 Prozentpunkte gegenüber 2022). In ISTATs Wohlstandsbericht wird auch für 2024 wieder ein Anstieg der gefühlten Kriminalitätsgefährdung genannt (auf 26,6 Prozent), weiterhin unter früheren Spitzenwerten. Â
Heißt übersetzt: Die Sorge kann kurzfristig steigen, selbst wenn der „große“ Trend nicht nur nach oben zeigt.
Warum „viel Bericht“ schnell wie „viel Gefahr“ wirkt
Ein wichtiger Treiber ist die Art, wie wir Kriminalität konsumieren: als einzelne Fälle, oft dramatisch erzählt, oft mit Bildern. Pew Research hat Anfang 2024 untersucht, wie lokale Crime-News auf Menschen wirken. Ergebnis: Wer solche Nachrichten nutzt, sagt häufig, sie machen besorgt (79 Prozent) oder wütend (71 Prozent). Bei Frauen berichten 49 Prozent, Crime-News lösten oft oder manchmal Angst um die eigene Sicherheit aus (Männer: 34 Prozent). Â
Diese Mechanik kennt man auch aus der Psychologie: Einzelereignisse bleiben hängen, vor allem wenn sie emotional sind. Das ist nicht „Einbildung“.
Ein weiterer Punkt: Viele Menschen fühlen sich unsicher, ohne dass es um klassische „Straftaten“ wie Einbruch oder Raub geht. Belästigung, Drohungen, aggressive Situationen, Hass im Netz oder Angst vor sexualisierter Gewalt prägen das Sicherheitsempfinden massiv, gerade bei Frauen. Die EU-Grundrechteagentur (FRA) berichtet in EU-weiten Erhebungen, dass Gewalt gegen Frauen weiterhin ein großes Ausmaß hat und viele Fälle nicht gemeldet werden. Wenn ein großer Teil solcher Erfahrungen nicht in Polizeistatistiken landet, kann die Statistik „ruhig“ wirken, während der Alltag für Betroffene das Gegenteil ist.
Wenn die Polizei zwar akzeptiert ist, aber das Grundvertrauen wackelt
Wie sehr glauben Menschen, dass Probleme gelöst werden, dass Regeln fair gelten, dass jemand reagiert, wenn etwas passiert? Die OECD zeigt in ihrer großen Vertrauensumfrage (2023, veröffentlicht 2024): Im Durchschnitt vertrauen 63 Prozent in OECD-Ländern der Polizei. Gleichzeitig liegt das Vertrauen in nationale Regierungen deutlich niedriger. Â
Global betrachtet sagen laut Gallup inzwischen 73 Prozent der Menschen, sie fühlten sich sicher, nachts allein zu gehen (2024, höchste Werte seit Beginn der Messung).  Das klingt nach „Welt wird sicherer“, aber es schließt lokale Hotspots, regionale Krisen, persönliche Erfahrungen oder bestimmte Gruppen (z. B. Frauen, Ältere, Minderheiten) nicht aus. Genau deshalb können globale Trends und lokales Bauchgefühl gleichzeitig wahr sein.
Was hilft gegen die Lücke zwischen Gefühl und Fakten?
Ein paar Dinge tauchen in Forschung und Praxis immer wieder auf:
Mehr Transparenz bei Zahlen: Nicht nur Jahresstatistiken, sondern auch: Was passiert wo, welche Delikte, welche Uhrzeiten, welche Präventionsarbeit?
Mehr „Sicherheit im Alltag“ statt nur „Kriminalitätsbekämpfung“: Gute Beleuchtung, sichtbare Ansprechpersonen, schnelle Reaktion auf Problempunkte, saubere öffentliche Räume. Auch das senkt Unsicherheit oft messbar. Â
Medienkompetenz und Kontext: Ein Einzelfall ist real, aber er ist nicht automatisch ein Trend. Wer das trennt, bleibt informierter und ruhiger. (Pew zeigt: Crime-News beeinflussen Gefühle stark.) Â
Ernst nehmen, nicht kleinreden: „Zahlen sind eh besser“ hilft niemandem, der abends Angst hat. Sinnvoller ist: Welche Orte, welche Situationen, welche Gruppen – und warum?






