von Alexander Wurzer 23.12.2025 10:46 Uhr

Jahresrückblick: Nuhr spricht aus, was in Deutschland systematisch verdrängt wird

Dieter Nuhrs Jahresrückblick „Nuhr 2025“ ist ein Rundumschlag: ein kabarettistischer Streifzug durch Politik, Medienbetrieb, Bürokratie und deutschen Alltag. Doch eine Passage ragt heraus, weil sie weniger über Pointen funktioniert als über eine Diagnose: Antisemitismus ist wieder sichtbar — nicht als Randphänomen, sondern als öffentliches Ereignis, mitten in Städten und Institutionen.

Dieter Nuhr anlässlich seines Jahresrückblicks (Youtube/dieternuhroffiziell)

Nuhr beginnt diese Passage mit einem Satz, der den Rahmen setzt und zugleich benennt, worum es ihm eigentlich geht:

„Ich ja, ich fand sogar, dass Islamismus das ganze Jahr überall ganz gut sichtbar war. Nicht nur wegen der zahllosen Messerattentate, sondern auch wegen der Gaza-Demos.“

Damit setzt er den Rahmen: Islamismus als Hintergrund – und Gaza-Demos als Bühne im öffentlichen Raum. Dann wird er konkret. Er beschreibt Situationen, die jeder versteht, der in diesem Jahr deutsche Innenstädte und Hochschulen erlebt hat:

„Das ganze Jahr wurde in unseren Innenstädten gegen Juden demonstriert. Juden wurden am Betreten von Universitäten gehindert. Juden wurden geschlagen, verfolgt und misshandelt.“

Das ist der harte Kern der Passage: Nuhr behauptet nicht nur eine Schieflage im Diskurs, er behauptet ein gesellschaftliches Versagen im Alltag — nämlich dort, wo jüdisches Leben unmittelbar betroffen ist. Das ist die Provokation, die Kabarett darf. Und die als Diagnose einen Nerv trifft: Dass sich das „Moralische“ in Teilen des Aktivismus nicht gegen Gewalt richtet, sondern diese mindestens billigend in Kauf nimmt, sobald das Zielobjekt „Juden/Israel“ lautet.

An dieser Stelle biegt Nuhr in das zweite Thema ein, mit dem er die Logik des Aktivismus karikiert: Er nimmt Greta Thunberg als Symbolfigur einer gut sichtbaren, medial wirksamen Empörungspolitik — und bindet daran die Frage, mit wem man sich einlässt, wenn man „die Sache“ zum Maßstab erklärt und alles andere ausblendet:

„… Greta Thunberg kam dieses Jahr wieder aus der Versenkung. Ja, im Sommer war Greta mit einer Segelflottille unterwegs nach Israel. Islamisten mit auf dem Boot und Queraktivisten.“

Dann folgt eine Passage, in der Nuhr die ideologischen Spannungen innerhalb solcher Bündnisse herausstellt — mit Blick auf Werte, die in westlichen Bewegungen oft als selbstverständlich gelten, aber in islamistischen Milieus gerade nicht:

„Der Koordinator der Gruppe meinte, dass dieses ganze Schwule der palästinensischen Sache fremd sei. Na sowas. Also, Dinge gibt's. Ich fürchte, schwul sein ist unter Islamisten auch nicht gut für die Lebenserwartung.“

Nuhr arbeitet hier mit dem, was Kabarett besonders gut kann: die Widersprüche offenlegen, die im öffentlichen Deutungsrahmen oft zugedeckt werden. Und dann dreht er die Perspektive auf die Reaktion westlicher Aktivisten und Medien — und darauf, wie schnell Empörung entsteht, wenn Israel handelt, während andere Realitäten in der Wahrnehmung nicht stattfinden:

„… noch bevor Greta Thunberg in Gaza ankam, wurde sie festgenommen von den Israelis und beklagte sich dann über die unmenschlichen Haftbedingungen in Israel.“

Nuhr schiebt danach seine Deutung nach, warum der Konflikt kommunikativ so gut funktioniert — und warum für bestimmte Akteure der Krieg als Bühne nützlich bleibt. Er formuliert das als Polemik, aber mit einer klaren Logik: Der Krieg könnte enden, wird aber nicht beendet, weil er als Propaganda weiterwirkt:

„Da fiel auch nicht mehr auf, dass die Hamas den Krieg an jedem Tag hätte beenden können. Sie hätte einfach nur die Geiseln freilassen müssen. Dann wäre es vorbei gewesen. Aber ja, aber warum hätten die das tun sollen? Der Propagandakrieg lief gut für sie.“

Und er setzt nach mit dem Bild, das in dieser Passage zentral ist: der moralische Bankrott, wenn Waffen, Infrastruktur und Zivilräume zu Instrumenten gemacht werden — und wenn westliche Solidarität an diesem Punkt nicht abbricht, sondern sich umso lauter inszeniert:

„Die Hamas deponierte Waffen in Schulen und Kindergärten und dass dabei das eigene Volk drauf ging, war ihnen doch wurscht.“

Es ging nie um Pro-Palästina

Hier wird Nuhrs Fokus deutlich: Er argumentiert gegen eine westliche Debattenkultur, die für bestimmte Akteure Entschuldigungen produziert — und für andere Akteure Maßstäbe verschärft. Deshalb folgt bei ihm unmittelbar der Satz, der am meisten nachwirkt:

„… es ging nie um Pro-Palästina. Es ging immer nur gegen Juden.“

Diese Übertreibung („nie/immer“) ist Kabarett, ja. Aber die Richtung ist eindeutig: Nuhr behauptet, dass ein relevanter Teil der öffentlichen Erregung nicht aus universellem Mitgefühl kommt, sondern aus selektiver Erregbarkeit — und dass genau diese Selektivität in Deutschland zur Normalisierung von Judenfeindlichkeit beiträgt. Er macht das anschließend explizit, indem er das „Weltleid“ aufzählt, das keine vergleichbare Mobilisierung auslöst:

„Kein Thema unter Linken: massenhafte Christenverfolgung in Nigeria, Krieg im Sudan, Kongo, Jemen, überall viel mehr Tote als in Gaza. Bei uns kein Mensch auf der Straße, keine Sau, weil die Täter waren keine Juden.“

Das ist der argumentative Schlusspunkt der Passage: Selektivität als Beweisstück. Wer konsequent moralisch argumentiert, wäre konsequent empört — unabhängig davon, wer Täter ist. Nuhr behauptet das Gegenteil: Empörung wird dort groß, wo sie einen bestimmten Gegner trifft; dort, wo der Täter nicht „passt“, bleibt es still oder wird relativiert.

Damit steht am Ende nicht die Frage, ob man jede Nuhr-Formulierung unterschreibt, sondern eine viel einfachere: Warum ist es in Deutschland möglich, dass Juden im öffentlichen Raum angefeindet, bedroht und teils körperlich angegangen werden — und dass das in der moralischen Empörungslogik mancher Milieus als „Aktivismus“ durchrutscht? Wer darauf keine Antwort hat, sollte nicht zuerst den Kabarettisten bekämpfen, sondern den Zustand, den er beschreibt.

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