von mag 07.12.2025 06:00 Uhr

Der Adventkranz: Ein leuchtender Brauch – von Hamburg nach Tirol

Wenn am zweiten Advent die zweite Kerze am Kranz brennt, denken die wenigsten daran, dass dieser Brauch einst aus einer simplen Kinderfrage entstand: „Wann ist endlich Weihnachten?“ Heute leuchten in ganz Tirol die zweiten Kerzen auf unzähligen Adventkränzen. Doch dieser scheinbar uralte Brauch ist erstaunlich jung – und hat einen unerwarteten Ursprung.

Symbolbild von Dagmar auf Pixabay

Ein Wagenrad gegen die Ungeduld

Die Geschichte beginnt 1839 im norddeutschen Hamburg, genauer gesagt im „Rauhen Haus“, einer Einrichtung für verwahrloste Straßenkinder. Der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern, Mitbegründer der Inneren Mission und Pionier der Diakonie, sah sich einem täglichen Problem gegenüber: Die Kinder fragten ihn unermüdlich, wie lange es noch bis Weihnachten dauere.

Wicherns Antwort war ebenso kreativ wie praktisch. Er nahm ein altes hölzernes Wagenrad und bestückte es mit Kerzen – vier großen weißen für die Adventssonntage und 19 kleinen roten für die Werktage. Jeden Tag wurde eine Kerze angezündet, bis an Heiligabend schließlich alle brannten. Die Kinder konnten nun genau ablesen, wie viele Tage sie noch warten mussten.

Vom protestantischen Norden in den katholischen Süden

Was als pädagogische Hilfestellung für Hamburger Straßenkinder entstand, verbreitete sich zunächst langsam. Der Adventskranz blieb lange ein evangelischer Brauch im hohen Norden. Erst 1925 wurde erstmals ein Adventskranz in einer katholischen Kirche in Köln aufgehängt, 1930 folgte München.

Die Reduktion auf vier Kerzen ergab sich aus praktischen Gründen: In den engen Wohnstuben war schlicht kein Platz für ein wagenradgroßes Gebilde mit über 20 Kerzen.

Die späte Ankunft in Tirol

In den Alpenraum und nach Tirol fand der Adventkranz erst erstaunlich spät seinen Weg. Laut der Universität Innsbruck setzte sich der Brauch in unserer Region erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Noch in den 1960er-Jahren war der Adventkranz in Orten wie St. Johann oder Brandenberg keineswegs flächendeckend bekannt. In Serfaus etwa stand er bereits in der Kirche, aber noch nicht in den privaten Haushalten.

Heute ist der Adventkranz aus keinem Tiroler Heim mehr wegzudenken. In ganz Tirol gehört er fest zur Vorweihnachtszeit – wie auch in vielen anderen Regionen des Alpenraums. Viele Familien binden ihren Kranz nach wie vor selbst, meist aus heimischen Zweigen wie Tanne, Fichte, Kiefer oder Zirbe. Woche für Woche begleitet der Adventkranz durch den Dezember und bringt die Vorfreude auf Weihnachten in unsere Stuben.

Mariazell als spektakulärer Rekordhalter

Während in Tirol bescheidene Kränze mit vier Kerzen die Wohnzimmer schmücken, thront in der Steiermark ein wahres Monument: In Mariazell schwebt der größte hängende Adventkranz der Welt über dem Hauptplatz – mit zwölf Metern Durchmesser und rund sechs Tonnen Gewicht.

Auch dieser Riese erinnert an Wicherns Ursprungsidee: Er trägt 24 Kerzen – 20 kleine für die Wochentage und vier große für die Adventssonntage. Täglich wird eine weitere Kerze entzündet, ganz wie vor über 180 Jahren im Hamburger „Rauhen Haus“. An jedem Adventsamstag um 17 Uhr werden die großen Sonntagskerzen im Rahmen einer feierlichen Zeremonie entzündet.

Eine Erfolgsgeschichte aus dem Norden

Vom einfachen Wagenrad in Hamburg zu Millionen von Kränzen weltweit – die Geschichte des Adventkranzes zeigt, wie aus einer pädagogischen Eingebung eine fest verankerte Weihnachtstradition wurde.

Dass der Brauch in Tirol noch keine 80 Jahre alt ist, überrascht heute kaum jemanden. Der Adventkranz ist längst so selbstverständlich wie die Berge, die uns umgeben. Und wenn am kommenden Sonntag bereits die dritte Kerze brennt, wissen wir: Weihnachten ist nicht mehr weit.

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