Ferienparadies statt Heimat: Südtirol erstickt an Zweitwohnungen

13.894 Zweitwohnungen – blockiert, wo Einheimische sie am dringendsten brauchen
Mit Stichtag 31. Dezember 2021 (letzte offizielle Zahl) hat das Landesinstitut für Statistik 13.894 Zweitwohnungen für touristische Zwecke gezählt. Die durchschnittliche Wohnfläche lag bei 71,8 Quadratmetern. Besonders auffällig: Kastelruth mit 874 Zweitwohnungen, das sind 6,3 Prozent des gesamten Bestands. Auch andere Dolomiten-Orte und Tourismushochburgen zeigen weit überdurchschnittliche Quoten.
Noch deutlicher wird es in den IMI-Daten (Immobiliensteuer): Laut einer ASTAT-Analyse für 2022, veröffentlicht im Juli 2024, dienen 58,6 Prozent aller Wohnungen in Südtirol dem Hauptwohnsitz. Weitere 10,4 Prozent werden vermietet, 10,2 Prozent fallen unter erhöhte Steuersätze (darunter Zweitwohnsitze), und 7,0 Prozent sind offiziell für touristische Zwecke registriert. Grundlage sind Steuerdaten, Volkszählung und Stromzähler – ein verlässlicher, wenn auch konservativer Schätzwert.
Mieten und Kaufpreise explodieren
Ein Blick auf die Zeitreihe des Immobilienportals idealista.it zeigt, wie dramatisch die Lage eskaliert:
- Mieten in der Provinz Bozen lagen im August 2015 bei 11,3 Euro pro Quadratmeter. Zehn Jahre später, im August 2025, sind es 17,7 Euro – ein Plus von 56,6 Prozent.
- Kaufpreise stiegen im selben Zeitraum von 3.062 Euro pro Quadratmeter (2015) auf 4.507 Euro (2025) – ein Anstieg von 47,2 Prozent.
In der Landeshauptstadt zahlen Käufer 2025 im Schnitt 4.939 Euro pro Quadratmeter. Besonders angespannt bleibt die Lage in Städten und Tourismusgemeinden. Während Bozen im ersten Halbjahr 2025 zeitweise sogar leicht rückläufige Mieten verzeichnete (–1,2 Prozent), steigen die Preise im Umland und in den Tälern ungebremst weiter.
Wohnreform 2025: Strenger auf dem Papier – schwach in der Praxis
Um gegenzusteuern, hat die Landespolitik die Wohnreform beschlossen, die sicherlich einige interessante Maßnahmen liefert.
Die Reform bringt zahlreiche Neuerungen: Die soziale Bindung bei geförderten Wohnungen wurde von 10 auf 20 Jahre verlängert, härtere Strafen sollen die touristische Zweckentfremdung eindämmen, Gemeinden erhalten mehr Befugnisse, Zweitwohnungen zu begrenzen. Dazu kommen Förderungen für gemeinnützigen Mietwohnungsbau, ein neues Bausparmodell, zinsbegünstigte Darlehen, Beiträge für die Sanierung und Konventionierung älterer Wohnungen sowie ein Vorkaufsrecht für das Wohnbauinstitut (WOBI).
Die Landesregierung verkauft das Paket als notwendigen Befreiungsschlag, um leistbaren Wohnraum für Einheimische zu sichern. Doch Kritiker bleiben skeptisch: Die Maßnahmen klingen scharf, doch Kontrollen sind lückenhaft, Bürokratie bleibt hoch, und die Marktdynamik durch Investoren bleibt ungebrochen. Ob sich für die Wohnungssuchenden tatsächlich etwas verbessert, wird die Zukunft zeigen. Dringend benötigte kurzfristige Verbesserungen sind aber leider nicht zu erwarten.
Eigenes Land gehört längst den Touristen
Dass Südtirol dem Tourismus viel verdankt, ist unbestritten. Doch der Boom hat längst eine Kehrseite: Wohnungen verkommen zu Renditeobjekten, ganze Dorfkerne verwandeln sich in Ferienkulissen. Wo früher Bauernhöfe und Nachbarschaften das Bild prägten, stehen heute Appartementhäuser mit ständig wechselnden Kennzeichen vor der Tür.
Studien der EURAC weisen seit Jahren auf dieses Spannungsfeld hin – doch die Politik reagiert im Schneckentempo. Während Gemeinden verzweifelt nach Lösungen suchen, können sich viele Einheimische das Leben in ihrer Heimat nicht mehr leisten. Das Resultat: Pendlerkolonnen aus dem Umland, steigende Lebenshaltungskosten und das Gefühl, dass das eigene Land längst den Touristen gehört.
Zahlen ohne Ausreden
Die Zahlen sind eindeutig: Südtirol hat ein massives Zweitwohnungsproblem. Wie die vorhin beschriebene IMI-Analyse aufzeigt, steht rund ein Sechstel des gesamten Wohnungsbestands nicht regulär als Hauptwohnsitz zur Verfügung.
Gleichzeitig sind Mieten und Kaufpreise in nur zehn Jahren um fast die Hälfte gestiegen. Für Normalverdiener wird das Dach über dem Kopf damit zum Luxusgut.
Und die große Wohnreform 2025? Sie mag strenger klingen, doch in der Praxis wird sie wohl wenig ändern. Sanktionen sind schwer durchzusetzen, Kontrollen lückenhaft, und die Profitinteressen von Investoren übermächtig. Wer glaubt, dass die Preise 2026 oder 2027 plötzlich sinken, macht sich Illusionen.
Realistisch ist: Ohne drastische Maßnahmen – etwa wirksamere und schmerzhaftere Leerstandsabgaben oder massiven geförderten Wohnbau – wird sich wenig tun. Bis dahin bleibt das Wohnen in Südtirol für viele ein täglicher Kampf – und für immer mehr schlicht unbezahlbar.






