von Alexander Wurzer 26.07.2025 07:30 Uhr

Schöne Landschaft, leeres Land

Still und leise verliert Südtirol seine Jugend. Seit Jahren ist das Problem bekannt – doch die politischen Antworten bleiben zaghaft, halbherzig oder schlicht aus.

Immer mehr Südtiroler verlassen ihre Heimat und suchen ihr Glück im Ausland (Bild von katyveldhorst auf Pixabay)

Laut einem Bericht der Fondazione Nordest, veröffentlicht von der Tageszeitung  Alto Adige am 19. Juli 2025, haben sich im Jahr 2024 1.699 Südtiroler offiziell ins Ausland abgemeldet. Gleichzeitig wurden nur 343 neue Zuzüge aus dem Ausland registriert. Das ergibt einen negativen Saldo von 1.356 Personen – der höchste je gemessene Wert. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Viele melden sich gar nicht mehr ab, sondern verschwinden einfach – beruflich, sprachlich, kulturell. Rechnet man diese „unsichtbaren Abgänge“ mit ein, sprechen die Zahlen eine noch deutlichere Sprache: Rund 14.000 junge Südtiroler haben das Land zwischen 2011 und 2023 verlassen, der Nettoverlust liegt bei fast 11.000. Die Rückkehrquote liegt bei nur noch 15 bis 20 Prozent.

Besonders bitter: Mehr als ein Drittel dieser Auswanderer ist hochqualifiziert. Das bedeutet: Südtirol verliert nicht nur Menschen, sondern genau jene, in die das Land am meisten investiert hat. Und ausgerechnet diese sind es, die sich am wenigsten mit Imagekampagnen oder Broschüren zurückholen lassen. Sie gehen – und bleiben weg.

Warum sie gehen? Weil sie es müssen

Die Frage ist nicht, warum junge Südtiroler gehen. Die Frage ist, warum sie überhaupt noch bleiben sollten. Wer Anfang zwanzig ist, motiviert, leistungsbereit und mit klaren Vorstellungen vom Leben, wird in Südtirol rasch ausgebremst. Die Mieten sind grotesk, Eigentum ist ein Privileg für Erben. Die Einkommen stagnieren und Perspektiven fehlen. Was bleibt, ist der Blick über die Grenze – und der Entschluss, ihn nicht mehr zurückzuwenden.

Doch häufig beginnt der Exodus schon mit dem Studium. Denn wer in Südtirol akademisch durchstarten will, trifft auf eine Universität, die sich zwar dreisprachig nennt, in der Realität aber immer weiter in Richtung Italienisch und Englisch kippt. Deutsch, für den Großteil der jungen Menschen im Land Muttersprache und Bildungsbasis, spielt eine zunehmend marginalisierte Rolle.

Früher war es üblich, zum Studieren nach Innsbruck, Wien oder München zu gehen – doch man kam zurück. Heute bleiben immer mehr dort. Weil sie dort nicht nur bessere Studienbedingungen vorfinden, sondern auch mehr Auswahl, niedrigere Studiengebühren, bessere Betreuung, leistbares Wohnen und später deutlich höhere Löhne. Südtirol verliert seine Jugend nicht an Abenteuerlust, sondern an Kalkül.

Und was macht die Politik? Statt das Problem beim Namen zu nennen, wird es glattgebügelt. Statt deutschsprachige Studiengänge zu schaffen, setzt man auf „interkulturelle Konzepte“, auf englische Masterlehrgänge und mehrsprachige Elitestudien. Die neue Medizinuniversität? Ausschließlich auf Englisch. Dazu 18.000 Euro Studiengebühren pro Jahr – ein Angebot für wenige Auserwählte, das mit dem Anspruch auf breiten Zugang zu Bildung nichts mehr zu tun hat.

Was zählt, ist offenbar nicht, wie viele Südtiroler im Land bleiben. Was zählt, ist das internationale Renommee. Das Prestige. Die Wirkung nach außen. Und so wird die sprachliche Realität im Inneren geopfert, um bei Evaluierungen zu glänzen. Eine Politik, die auf Weltoffenheit setzt, während sie die eigene Bevölkerung schleichend entfremdet.

Der Preis dieser Arroganz: eine verlorene Generation

Diese Prioritätensetzung ist nicht nur weltfremd, sie ist gefährlich. Denn wer glaubt, dass ein Land seine Zukunft bewahren kann, während es gleichzeitig seine jungen Leute verliert, der hat das Prinzip Generationenverantwortung nicht verstanden. Die Abwanderung ist kein Randphänomen mehr, sie ist eine strukturelle Entwicklung. Und sie ist die direkte Folge politischer Unterlassung.

Wohnungen fehlen, das Verhältnis Einkommen zu Lebenshaltungskosten stimmt nicht. Aber die Landespolitik diskutiert lieber über Lehrpläne als über angemessene Löhne. Die Lohnerhöhungen für die öffentlich Bediensteten reichen nicht mal aus, die Inflation auszugleichen, in der Privatwirtschaft sieht es auch nicht besser aus. Die Verantwortungsträger loben sich für „Bildungsexzellenz“, während 20-jährige in Scharen über den Brenner ziehen, um dort das zu finden, was sie hier nicht mehr kriegen: ein Studium in ihrer Sprache, eine Wohnung, einen Plan fürs Leben.

Was jetzt passieren müsste – wenn man es ernst meinte

Südtirol braucht nicht weniger, sondern mehr Mut zur Muttersprache. Klare, rein deutschsprachige Studienangebote. Kein Sprachgemisch, keine didaktische Ausrede, sondern solide, verlässliche Studiengänge für die deutschsprachige Jugend.

Südtirol braucht Löhne, die zum Leben reichen. Auch wenn Kollektivverträge in der Privatwirtschaft Verhandlungssache zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen sind, muss das Land entschlossener und mit gutem Beispiel vorangehen und die eigenen Angestellten angemessenen entlohnen. Dies würde dazu führen, dass Südtirols Unternehmen nachziehen, da ein attraktiver öffentlicher Sektor als Konkurrenz wahrgenommen würde.

Und Südtirol braucht eine Landesregierung, die endlich den Ernst der Lage erkennt. Die eigene Jugend geht – nicht aus Neugier, sondern aus Notwendigkeit. Und wenn nichts geschieht, wird sie nicht mehr zurückkommen.

Südtirol läuft leer

Die Landschaft ist noch da, die Postkartenmotive bleiben. Aber das, was ein Land ausmacht – seine jungen Menschen, seine sprachliche Identität, seine Innovationskraft – ist auf dem Rückzug. Wer diese Realität weiter ignoriert, betreibt nicht Verwaltung, sondern Verweigerung.

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