Ein Schatz der Weisheit: Die Stiftsbibliothek des Klosters Neustift

Die Wurzeln der Bibliothek
Bereits seit der Gründung des Klosters im Jahr 1142 war Bildung ein zentrales Anliegen der Augustiner Chorherren. Die Bibliothek entwickelte sich parallel zur Errichtung einer Singknabenschule und eines Gymnasiums, um den Nachwuchs im Kloster zu sichern. Eine eigene Schreibstube, das sogenannte Scriptorium, sorgte für die handschriftliche Vervielfältigung und Illustration von Büchern, darunter das prächtige Messbuch des Propstes Augustin Posch (1524–1526).
Barocker Prunk und thematische Vielfalt
Der heutige Bibliothekssaal wurde um 1770 errichtet und beeindruckt mit spätbarockem Prunk: vergoldeter Stuck, schmiedeeiserne Balustraden und ein Natursteinboden mit geometrischen Mustern bilden einen Rahmen für die rund 20.000 Bücher, die hier untergebracht sind.
Die Sammlung ist thematisch geordnet – von theologischen Werken in der unteren Wandzone bis hin zu weltlichen Wissenschaften auf der Galerie. Die restlichen 75.000 Bücher lagern in Depots.
Außergewöhnliche Bücher: Vom Größten bis zum Kleinsten
Besonders faszinierend sind die außergewöhnlichen Bücher der Sammlung. Das älteste Buch der Bibliothek stammt aus dem 10. Jahrhundert – eine handgeschriebene Version der „Dialoge“ von Papst Gregor dem Großen, die das Leben früher italienischer Heiliger erzählt. Dieses Werk ist sogar älter als das Kloster selbst.
Das größte Buch der Bibliothek, ein Choralbuch aus dem Jahr 1662, entstand in der klostereigenen Schreibstube. Mit einer beeindruckenden Höhe von 82 cm und einer Breite von 55 cm enthält es die Gesänge für die Messfeier und symbolisiert die Bedeutung von Musik und Liturgie im Klosteralltag.
Das kleinste Buch hingegen ist ein modernes Kuriosum. Es misst nur 5 x 5 mm und enthält das Vaterunser in sieben Sprachen. Ursprünglich ein Souvenir aus dem Gutenberg-Museum in Mainz, hat es sich im Laufe der Jahre zu einer Besucherattraktion entwickelt.
Ein Erbe voller Herausforderungen und Möglichkeiten
Doch die Geschichte der Bibliothek ist auch eine Geschichte von Verlusten: Während der napoleonischen Ära wurden zahlreiche Werke geraubt, von denen viele bis heute nicht zurückgekehrt sind. Dank moderner Digitalisierung können jedoch die wertvollen Handschriften aus Neustift und Innsbruck virtuell vereint werden.
Neben ihrer wissenschaftlichen Bedeutung dient die Bibliothek heute vor allem als kulturelles Erbe und zieht jährlich Tausende Besucher an. Führungen im prunkvollen Saal lassen die Verbindung von Glauben, Kunst und Wissen lebendig werden und verdeutlichen, warum die Bibliothek auch als „Wikipedia vergangener Jahrhunderte“ bezeichnet wird.
Die Stiftsbibliothek Neustift zeigt, wie eng Spiritualität und Bildung miteinander verwoben sein können. Sie bleibt ein Ort, der die Zeit überdauert und das Streben nach Erkenntnis ehrt.
Weitere Informationen und Führungsdetails finden Sie auf der offiziellen Website des Klosters Neustift: www.kloster-neustift.it/de.






