Konvent: Selbständige Außenpolitik – Das Interview

UT24: Herr Gamberoni, Sie haben das Thema „Selbstständige Außenpolitik Südtirols“ vorgeschlagen. Warum?
Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass es in Südtirol – wahrscheinlich schon seit der Streitbeilegungserklärung 1992 – vor allem an Visionen mangelt, an dem Willen aktiv die Zukunft unseres Landes zu gestalten.
Dies führt meiner Meinung nach zu einer gewissen Perspektivlosigkeit der Politik, was wiederum bewirkt, dass wir auf nationaler, wie auch auf internationaler Ebene, immer häufiger nicht mehr Handelnde, sondern Behandelte sind. Man spricht über uns, man entscheidet über uns, aber nicht mit uns.Daher bin ich mit der Idee auf diese Open-Space-Veranstaltung gegangen, um ein Thema einzubringen, das bislang kaum im Fokus der Südtiroler Politik stand, aber unserem Land deutlich mehr Eigenständigkeit und Handlungsfreiheit verschaffen könnte.
Die Geschichte der Südtirol Autonomie, aber auch viele Beispiele aus aller Welt zeigen, wie wichtig es für ein Volk ist, sich im nationalen, wie auch internationalen Kontext Gehör zu verschaffen. Ein Land das man nicht wahrnimmt, beachtet man nicht und wie die letzten Jahre italienischer Politik Südtirol gegenüber zeigen, achtet man es auch nicht.
Daher bin ich der Überzeugung, dass wir zu Handelnden werden müssen, dass wir aktiv und möglichst selbstständig auftreten müssen.Damit dies gelingt, benötigen wir eine eigenständige Außenpolitik, die Südtirols Interessen in Wien, Rom, Brüssel, Berlin und anderswo vertritt. Wir müssen im Sinne unserer politischen, wie auch wirtschaftlichen Interessen Netzwerke aufbauen und Bündnispartner suchen.
Selbstverständlich bin ich mir im Klaren, dass so eine Vision nicht ohne weiteres zu verwirklichen ist, aber John F. Kennedy meinte einst in Bezug auf das Apollo-Programm: „[…] nicht weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist, weil das Ziel dazu dient, das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten zu organisieren und zu messen, weil die Herausforderung eine ist, der wir uns stellen wollen, die wir nicht verschieben wollen und die wir zu gewinnen beabsichtigen […]“.
UT24: Wie genau stellen Sie sich die Wahrnehmung dieser Funktion vor? Sollte es einen
Landesrat für Außenbeziehungen geben?
Ein Landesrat für Außenbeziehungen wäre der erste Schritt, in Verbindung mit einem diesem Landesrat untergeordneten Landesamt. Hierdurch könnte die personelle Basis geschaffen werden, die in dieser modernen, stark vernetzten Welt unbedingt nötig wäre, um ein koordiniertes außenpolitisches Vorgehen zu ermöglichen. Bislang liefen solche Anstrengungen höchstens über persönliche Kontakte z.B. des Landeshauptmannes oder anderer Exponenten.
Wenn wir uns als Land aber professionell und koordiniert international positionieren wollen – und dies scheint mir dringend nötig – so glaube ich, ist es unumgänglich, hierfür Institutionen zu schaffen. Ein solches Ressort könnte dann aber nicht nur die Südtiroler Außenpolitik intensivieren und koordinieren, sondern auch für unsere Außenwirtschaft eintreten. Man könnte hierbei durchaus gemeinsam mit der Handelskammer und der EOS ein Netzwerk schaffen, welches auch ganz praktisch den Südtiroler Wirtschaftstreibenden mit Rat und Tat bei ihren Unternehmungen im Ausland zur Seite steht.
Dies bringt mich zu einem weiteren Punkt: Um die politischen und wirtschaftlichen Kontakte zu den wichtigsten Partnerländern Südtirols zu stärken, könnte auch das Modell der „Ständigen Vertretung“ – wie derzeit schon in Rom und Brüssel bestehend – auf weitere bedeutende Städte wie Wien, Berlin, Zürich, München, etc. ausgedehnt werden.
Diese „Ständigen Vertretungen“ könnten einerseits Südtirolern im Ausland als Anlaufpunkte für den Kontakt mit den Südtiroler Behörden dienen, aber andererseits auch eine quasi-diplomatische Vertretung unseres Landes wahrnehmen. All diese genannten Punkte könnte das Land Südtirol schon jetzt eigenständig organisieren, wenn der nötige Wille dazu gegeben wäre.Demgegenüber schwierigere, aber daher umso reizvollere Projekte wären beispielsweise ein „Ständiger Beobachterstatus“ bei den Vereinten Nationen oder die Möglichkeit zum selbstständigen Abschluss internationaler Verträge.
UT24: Was wären die Vorteile einer Südtiroler Außenpolitik parallel zur bestehenden italienischen Außenpolitik?
Ob es uns passt oder nicht, Südtirol ist nicht der Nabel der Welt, erst recht nicht für das große Italien. Südtirol hat aber durchaus eigene Bedürfnisse, die es im Sinne des Südtiroler Volkes zu vertreten gilt. Es ist der italienischen Außenpolitik und Diplomatie dabei gar nicht zu verdenken, dass Südtirol nicht im Vordergrund ihrer Bemühungen steht, darum müssen wir uns schon selbst kümmern.
Ein gutes bzw. eigentlich tragisches Beispiel wie dringend eine selbstständigere Außenpolitik Südtirols nötig wäre, stellen die aktuellen Geschehnisse bezüglich des sogenannten „Grenzmanagements“ am Brenner dar. Hätte Südtirol ein gut funktionierendes Netz an Kontakten und Diplomaten an den entscheidenden Stellen gehabt, womöglich gar einen Südtiroler „Botschafter“ in Wien, wären wir in die Planung des „Grenzmanagements“ vielleicht viel stärker einbezogen worden, oder hätten viel früher in unserem Sinne einwirken können.
Dass der Südtiroler Landeshauptmann de facto vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, muss eigentlich als Versagen der praktisch nicht vorhandenen Außenpolitik gesehen werden.In einer Zeit, in der große Unternehmen rund um den Globus Lobbyisten einsetzen um ihre Interessen zu vertreten, können wir es uns da als Land Südtirol erlauben, nicht auf professionelle Weise für unsere Interessen zu werben?
UT24: Gibt es ähnlich Präzedenzfälle anderswo?
Als Beispiel in Europa sei Katalonien genannt: Die Katalanen betreiben schon seit einigen Jahren Außenpolitik, indem sie ihre Interessen zum Beispiel im schwedischen Reichsrat oder im US-amerikanischen Kongress vorgetragen haben.
Für die Katalanen gehört eine selbstständige Außenpolitik zum Anspruch, eine eigenständige Nation zu sein dazu.Ein anderes Beispiel stellt natürlich Palästina dar. Obwohl kein eigenständiger Staat, sind die Palästinenser doch auch auf der Weltbühne vertreten; nicht zuletzt durch den „Ständigen Beobachterstatus“ bei den Vereinten Nationen.
Selbst das Bundesland Tirol betreibt eine Art von Außenpolitik, so ist der Nordtiroler Landeshauptmann Platter auch für die „Koordination der grenzüberschreitenden und interregionalen Zusammenarbeit und der sonstigen auswärtigen Aktivitäten des Landes“ zuständig. In Südtirol führt kein Mitglied der Landesregierung, zumindest nicht offiziell, auch nur ein annähernd ähnliches Ressort.
UT24: Der Journalist und Politikwissenschaftler Georg Schedereit hat in Ihrer Arbeitsrunde aktiv und mit sichtlich großem Interesse mitdiskutiert. Er wies auf die Wichtigkeit internationaler Bundesgenossen, deren Suche und Pflege hin. Können Sie dieses Konzept näher erläutern?
Herr Schedereit hat durch seine fachkundigen Beiträge die Arbeitsgruppe bereichert und den schönen Begriff des „Bundesgenossen“ eingebracht, um auf die Notwendigkeit internationaler Partner hinzuweisen.
Schedereit berichtete dabei auch von seinen Erfahrungen in Brüssel und Strassburg und dass aus dem EU-Ausschuss der Regionen meist nicht mehr als freundliche Worte kämen.Daher war auch er der Überzeugung, dass wir uns aktiv auf die Suche nach Verbündeten machen müssen, um im Europa der Nationalstaaten gehört zu werden. Kleine Länder und Regionen haben oft andere Interessen als die großen Nationalstaaten, einzeln sind diese Länder und Regionen aber meist zu schwach um ihre Interessen auch durchzusetzen, daher braucht es eine aktive Außenpolitik, um auf die Suche nach Partnern zu gehen, um abzuklären mit wem wir Interessen teilen und um eben unsere „Bundesgenossen“ zu finden.
Nicht zu letzt – wie Schedereit meinte – um auch Unterstützung für das Projekt der Selbstbestimmung zu finden.
UT24: Herr Gamberoni, was ist Ihr allgemeiner Eindruck der Open Space Veranstaltungen des Autonomiekonvents?
Ich war zunächst etwas skeptisch, ob dieses Konzept funktionieren kann, ob nicht die Leute ohne Rücksicht drauflos diskutieren würden, also dass es vielleicht ausarten könnte. Erlebt habe ich aber das genaue Gegenteil. Auf den beiden Open-Space-Veranstaltungen in Bozen und Brixen habe ich immer sehr disziplinierte Diskussionsrunden erlebt. Auch Menschen mit unterschiedlichen Positionen sind sehr fair und freundlich miteinander umgegangen, vielleicht manchmal emotional – was wohl in der Natur der Sache liegt – aber immer fair.
Die Politik hat den Menschen bislang vielleicht nicht zugetraut, in partizipatorischer Weise mit einbezogen zu werden, aber diese Open-Space-Veranstaltungen könnten einen frischen Wind durch unser Land wehen lassen.
Die Menschen haben Ideen, auch Ideen, die von der etablierten Politik viel zu oft nicht gehört oder behandelt werden. Daher tut es gut, wenn diese Menschen sich auf institutioneller Ebene einbringen können, ihre Ideen Gehör finden und diskutiert werden. Meiner Meinung nach könnte dies durchaus zu einem Konzept der Zukunft werden.
UT24: Bei den Open Space Veranstaltungen können die Bürger Südtirols erstmals ohne Denkverbote ihre Wünsche äußern, jedoch werden diese nicht nur durch den Südtiroler Landtag, sondern schlussendlich noch durch zwei ortsfremde Instanzen: den Regionalrat in Trient und das italienische Parlament in Rom gefiltert. Was bleibt Ihrer Meinung nach schlussendlich vom Volkswillen übrig?
An dieser Stelle bin ich leider etwas skeptisch, es steht zu befürchten, dass von den vielen Vorschlägen, Ideen und Diskussionen nicht viel übrig bleiben wird. Die Tendenz der Open-Space-Veranstaltungen ging bislang sehr stark in die Richtung: mehr Eigenständigkeit, mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung.
Und im Grunde ist es doch paradox, es geht beim Konvent um die Weiterentwicklung unserer Autonomie, schlussendlich sollen aber praktisch Fremde über unser Schicksal, über unsere Möglichkeiten bestimmen, dies widerspricht ja eigentlich dem Prinzip einer Autonomie.
Zudem spielt die Politik auch etwas mit dem Feuer, denn man weckt durch solch einen Prozess selbstverständlich Hoffnungen im Volk, wer weiß was passiert, wenn von diesen Ideen und Hoffnungen nur ein Rumpf übrig bleibt.
Nach den letzten Jahren der Politikmüdigkeit, habe ich im letzten Monat bei vielen Menschen wieder Begeisterung an der Mitgestaltung erlebt, dies kann aber auch ganz schnell wieder umschlagen. Das Volk artikuliert zur Zeit seine Ideen, die Politik wäre daher gut beraten auf die Menschen zu hören und deren Wünsche zu beachten.






