„Als ich einschulte, war nur italienische Schule, es war die Faschistenzeit“

„Vom letzten Schuljahr wurde ich auch noch befreit, weil man mich zu Hause notwendig brauchte. Meine beiden älteren Halbschwestern hatten früh geheiratet, und nach mir waren noch acht jüngere Geschwister . Die Mutter arbeitete viel lieber im Freien und im Stall beim Vieh, und ich arbeitete im Haus. Mit 16 Jahren ging ich dann schon verdienen, zu den Benediktinern im Rediffianum in Meran.
Als ich einschulte, war nur italienische Schule, es war die Faschistenzeit. Meine beiden Halbschwestern Maria und Anna hatten noch fast zur Gänze deutsche Schule beim Lehrer Hosp genossen. Er war der letzte deutsche Lehrer in Ulfas. Er wohnte mit seiner Frau und dem Sohn im Schulhaus, saß aber auch oft in unserer Stube. Am Nikolaus-Abend wurde er von unserem Vater samt Familie zu uns eingeladen. Da erschien der Nikolaus. Meine Mutter verstand es vortrefflich, den heiligen Mann zu spielen. Der Lehrer Hosp verlor dann nicht nur seine Stelle und sein Einkommen als Lehrer, sondern auch die Wohnung. Es blieb ihm wohl kein anderer Weg, als auszuwandern.
Kein Unterricht in ihrer Muttersprache
Was es bedeutet zur Schule zu gehen, weiß Rosa von Maria, Moida genannt, und Anna. Die hatten im Gegensatz zu ihr einige Jahre deutschen Unterricht. Aufmerksam verfolgt sie, was ihre beiden großen Halbschwestern von der Schule nach Hause bringen und besprechen. So ist sie vorbereitet auf das, was auf sie zukommen würde. Aber es ist kein Unterricht in deutscher Sprache, der Muttersprache! Trotzdem lernt sie gern und leicht, saugt alles in sich auf, wie ein Schwamm und fällt den Lehrerinnen durch Wissbegierde und besonderen Fleiß auf. Schon bald wird sie im Unterricht zur Hilfe herangezogen. Sie muss an der Tafel vorschreiben oder den Erstklässlern Wörter vorsagen.
Lehrerinnen aus allen Regionen Italiens
Es ist eine einklassige Schule, in der gleichzeitig mehrere Stufen unterrichtet werden. Und es ist Rosa, die von den Lehrerinnen auserwählt wird, bei ihnen im Schulhaus zu übernachten. Sie fürchten sich allein in der gänzlich fremden Umgebung. In Folge der verhassten italienischen Politik, vor allem der Schulpolitik, schlägt ihnen viel Ablehnung entgegen. Rosa über ihr erstes Schuljahr:
Es waren drei Frauen in der Klasse: die Lehrerin, ihre Mutter und eine Tante. Da waren 5 Klassen beisammen, die alle kaum etwas verstanden, die Neuankömmlinge am allerwenigsten. Also hatten alle drei Frauen eine Funktion beim Abteilungsunterricht. In meinem Jahrgang, 1920, waren 11 Einschulende, 6 Mädchen und 5 Buben. Keiner Lehrmittel waren da, alles musste die Lehrerin selbst vorbereiten. Sie richtete bunte Blättchen her: rote, blaue, gelbe, weiße, grüne und schwarze und Zettelchen mit den entsprechenden Wörtern drauf. Wir mussten die Farbblättchen dann den richtigen Wörtern zuschieben: rosso, blu, giallo, verde, nero. Das ging tagelang, bis wir es heraußen hatten, und die Lehrerin „bravi“ sagte… Wie schwer hatten sie es mit 26 bis 30 Schülern, die sie uns, und die wir sie nicht verstanden.
Wir hatten fast jedes Jahr eine andere Lehrerin. Es waren alles gute und feine Erzieherinnen, die sich sehr bemüht haben, uns etwas beizubringen. Ich kann mich an alle erinnern: Maria Spotti aus Cremona, Emilia Grandi, Rosa Ruzzenenti, Francesca Genetti aus Castelfondo, Maria Stenico aus Trient und Elda Meloni aus Montecchio, Reggio Emilia, die mir in der 5. Klasse zwei Kleider schenkte und später einige Male schrieb. Ich ging gern zur Schule, war eine gute und fleißige Schülerin und bekam zwei Mal einen Buchpreis. Bei Rosa Ruzzenenti musste ich ein volles Schuljahr im Zimmer im Schulhaus schlafen, da sie Angst hatte und sich allein fürchtete. In der Früh um 7 Uhr lief ich heim, die Mutter zopfte mich, und ich wusch mich und ging wieder Schule. […]
In mir erwachte die Freude zum Lehrerberuf. Schon mein Onkel Josef und einige Vorfahren waren Lehrer. Ich war glücklich tätig, immer mit dem Gedanken, auch einmal Lehrerin sein zu wollen. Bei so vielen jüngeren Geschwistern gab es viel zu tun, am liebsten tat ich „Schululus“, natürlich auch mit Nachbarskindern, die aber weniger begeistert waren. Obwohl damals in der Faschistenzeit überhaupt keine Aussicht auf eine Möglichkeit, deutsche Schule zu halten, bestand, versprach es mir der Vater immer. Auf meine Bitte: ‚Hou, wenn mir amol deitsch sein, torf i Leahrerin wern‘ sagte er: ‚Jo, wenn mir amol wieder deitsch wern, nocher kannt’s werdn!‘ […]“
Der obige Auszug stammt aus dem Kapitel „Schulzeit“ des Buches „Rosa Pöll – Die Frau des Freiheitskämpfers“, der Biografie von Dr. Eva Klotz über ihre Mutter Rosa.
Klotz, Eva: Rosa Pöll. Die Frau des Freiheitskämpfers. Eine Biografie. Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! Buch. 2022.ISBN: 978-88-97053-96-5






