
Günther Rauch
Alpini-Gedenktag in Terlan

Da kann man eigentlich nur mehr den Kopf schütteln. Ausgerechnet den Tag vor dem Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocaust hat die italienische Alpini-Vereinigung ANA ausgesucht, um ihren neu eingeführten „Alpini-Gedenktag“ vor der Pfarrkirche in Terlan zu feiern. Dieser Alpini-Tag wurde im vergangenen Jahr – unter heftiger Entrüstung der in der Vereinigung ANED zusammengeschlossenen ehemaligen KZ-Häftlinge – im italienischen Parlament beschlossen worden, um an die Schlacht von Nikolajewka am 26. Jänner 1943 und das „Heldentum“ (wörtlich im Staatsgesetz Nr. 44 vom 5. Mai 2022) der Soldaten der 8. Italienischen Armee (ARMIR-Armata Italiana in Russia) zu erinnern und sie zu glorifizieren.
Nicht die Alpini, sondern die Verbrechen im 2. Weltkrieg werden glorifiziert
Es geht hier also nicht um die Würdigung des gesellschaftpolitischen Einsatzes der Alpini, sondern um gezielte und ausdrückliche Geschichtsklitterungen. Die Mitverantwortung Italiens und der Alpini-Divisionen an den Kriegsverbrechen und an Millionen von Toten in Russland im 2. Weltkrieg sollen vergessen werden.
Unter den zehn Divisionen der ARMIR befanden sich die drei Alpini-Divisionen Cuneense, Julia und Tridentina (la 2a). Letztere Gebirgsdivision war seit 1937 in Meran stationiert. Sie wurde von Benito Mussolini in besonders hohen Ehren gehalten, weil sie sich bereits in den Kolonialkriegen auf ostafrikanischem Boden für die „Größe des Vaterlandes“ ausgezeichnet und im Kampf gegen die Antifaschisten in Griechenland und in Albanien „am Frontabschnitt von Devoli mit Ruhm bedeckt“ hatte.
Russlandfeldzug der Alpini-Korps
In den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 hatte Adolf Hitler seinen italienischen Bündnispartner offiziell davon in Kenntnis gesetzt, dass die deutsche Wehrmacht zum „Blitzkrieg“ gegen Russland angetreten sei. Mussolini war darüber bereits am 2. Juni 1941 von Hitler beim Zusammentreffen am Brenner höchstpersönlich informiert worden. Allen anderen Überlegungen und nicht wenigen germanophoben Ausfällen zum Trotz: Mussolini sah bereits sehr früh in Hitler den einzigen Mann, mit dem sich seine cäsarischen und imperialistischen Ziele verwirklichen ließen. Darum zögerte der Duce keinen Augenblick, um den kriegerischen und antibolschewistischen Schulterschluss mit den Hakenkreuzlern zu vollziehen. Bereits am 10. Juli setzte er das Expeditionskorps „Corpo di Spedizione Italiano in Russia“ (CSIR) in Richtung Sowjetunion in Bewegung. Und was viele nicht wissen: Eigene Korps hatten die Italiener für alle Fälle mit Giftgas ausgerüstet. Durch die spätere Bildung der ARMIR und Entsendung der Gebirgstruppen hoffte der Duce seine Truppenpräsenz an der Ostfront zu verstärken.
Ein hoher menschlicher Tribut für den imperialistischen Wahnsinn
Die Wahrheit ist, dass die ARMIR in Zusammenhang mit der Schlacht von Stalingrad in die Katastrophe der deutschen Wehrmacht hineingezogen wurde und auch die Alpini-Korps gegen die Rote Armee schwerste Verluste erlitten. Eine der letzten Kämpfe der ARMIR-Truppen war die Kesselschlacht von Nikolajewka. Das italienische Expeditionsheer war von den Russen umzingelt worden. Der Division „Tridentina“ war es gelungen die russischen Linien zu durchbrechen, um dann 700 km vorzurücken, wo die ARMIR dann definitiv kapitulierte.
Der Preis für den voreilig glorifizierten „Sieg“ war der Verlust von Hunderten von Männern in ihren besten Jahren. Nach offiziellen Daten des italienischen Militärs fanden bei diesem Gefecht 4.926 von insgesamt 20.000 Soldaten der Division „Tridentina“ den Tod. Nach der Niederlage gerieten über 90.000 Italiener in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Von diesen kehrten nur etwa 10.000 nach Italien zurück, viele erst Mitte der 1950er-Jahre. Von den 3,2 Millionen deutscher Kriegsgefangener, darunter auch 1.900 Südtiroler, konnten nach einer offiziellen sowjetischen Statistik aus dem Jahre 1956 nach dem Krieg rund zwei Millionen repatriieren. Die letzten Gefangenen wurden 1955 entlassen. Viele starben in den sowjetischen Lagern. Und wie es kommen musste, schoben sich die italienischen Generäle nach dem Krieg ihre kapitalen Fehler gegenseitig in die Schuhe.
27 Millionen Russen starben als Opfer der deutsch-italienischen Achsenmacht
Die von den Alpini in Terlan hochgehaltene Schlacht von Nikolajewka war nicht nur Teil des italienischen und deutschen Russlandsfeldkrieges, wie ihn die Geschichte kennt, sondern von Anfang an Teil eines rassenideologischen Raub- und Vernichtungsfeldzuges. Er war angetrieben von Antisemistismus, Antibolschewismus und Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker Osteuropas. Niemand hasste die Slawen mehr als Mussolini. Das hat der Duce bei einer Kundgebung in Triest noch vor seiner Machtübernahme im Oktober 1922 unverblümt gesagt. Aber nicht nur das. Die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ war für die Italiener auch aus ökonomischen Erwägungen wünschenswert: Italien brauchte neue Rohstoffe. Bei diesem schrecklichen Feldzug der Braun- und Schwarzhemden geschahen die schlimmsten Gräuel- und Mordtaten des 20. Jahrhunderts. Nur selten ist heute den meisten Menschen klar, welch ungeheuerliche Dimension der Terror angenommen hatte, den Hitler und Mussolini über die Völker in Europa gebracht hatten. Hier kurz einige Zahlen:
60 Millionen Menschen fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, darunter 27 Millionen Sowjetbürger: 9 Millionen Soldaten und 18 Millionen Zivilisten. Außerdem wurden rund 6 Millionen Juden ermordet. Deutschland (plus Österreich = Deutsches Reich) schickte 5,3 Millionen seiner Soldaten in den Tod. Außerdem starben über zwei Millionen Zivilisten. Italien hatte 320.000 tote Soldaten und 154.000 Zivilisten zu beklagen.
Russische Soldaten waren auch im „KZ Campo d’Isarco“ in Blumau interniert
Sehr bedenklich ist die Tatsache, dass bei der Feier der Alpini in Terlan kein einziges Wort einer Verurteilung der faschistischen Gräueltaten fiel. Man stelle sich einmal vor, welchen Aufschrei des Entsetzens es geben würde, wenn weiß Gott welch verrückter deutscher Nostalgiker an einen vermeintlichen „Heldenmut“ deutscher Wehrmachtsoldaten bei der Schlacht von Stalingrad erinnern würde. In Italien hat man rechts wie links gar keine Skrupel mehr, da kann schon so mancher Unsinn zum Vorschein kommen. Man kann es drehen, wie man will: Es gab eben nicht nur „Italiani brava gente“ (Italiener, gute Leute), sondern auch „brutta gente“ (schlechte Leute) und viel, sehr viel „brutta storia“ (schlechte Geschichte), die man seit 1945 gekonnt unter den Teppich kehrt.
Die italienischen Alpini waren Teil der italienischen Militärmacht, die im Zweiten Weltkrieg unter der Führung von Benito Mussolini für Zerstörungen, Deportierungen, Vergewaltigungen, kurzum für genozidiale Verbrechen, verantwortlich ist. Daher darf sich eine Vereinigung, die an die Opfer der Alpini erinnern will, nicht hinter irgendwelchen Ausreden verstecken, um die dunklen Flecken ihrer eigenen Geschichte auszuklammern. Umso mehr, als mehrere von den Alpini-Truppen in der Sowjetunion gefangen genommene Russen Anfang 1943 im Konzentrationslager „Campo di concentramento Prato d’Isarco“ interniert und für schwere Straßenarbeiten eingesetzt worden waren. Gerade in einem Land, wo immer noch faschistische Ortsnamen und Denkmäler bestehen und wo man täglich unter der antieuropäischen und antideutschen Devise „Siamo in Italia“ den Südtirolern am liebsten ihre Sprache und Kultur, rundheraus ihre Tiroler Identität versagen möchte, muss die Erinnerung an die dunklen Zeiten der Geschichte wachgehalten und weitergegeben werden.




