Ein Blog von

Georg Dekas

06.06.2020

Wer kann sich Klarnamen leisten?

Ja zu geschützten Identitäten im Netz, Ja zur digitalen Sprachpflege auf Südtiroler Online-Portalen.

APA (Symbolbild)

 

Im Südtiroler Landtag wird eine Verschärfung der Medienförderung des Landes vorbereitet. Aus den Foren von lokalen Onlineportalen sollen alle Kommentare verschwinden, die mit Nickname – das ist die moderne Form von Pseudonym – verfasst werden. Das Druckmittel hierfür ist die Landesförderung. Wer weiterhin Nicknamen und damit geschützte Identitäten zulässt, soll von den Geldzuschüssen des Landes Südtirol ausgeschlossen werden. 

Eingeführt werden soll die Klarnamenpflicht zusammen mit einer einheitlichen „Netiquette“, die von einer Landesbehörde ausgearbeitet und überwacht wird (noch mehr Bürokratie). Da die Novelle von fünf Landtagsabgeordneten der Regierungspartei (SVP) kommt, ist anzunehmen, dass man im Takt mit der Landesregierung handelt und die Novelle zügig umgesetzt werden wird. 

Die geförderten Online-Portale sind schon lang an die Registrierungspflicht von Nickname-Kommentaren gebunden. Der Herausgeber eines Mediums  kennt die Identität eines Nutzers und ist verpflichtet, für die Einhaltung der Benimmregeln durch Moderation zu sorgen – einfach gesagt, er muss böse Kommentare löschen. 

Doch das scheint den Landtagsabgeordneten nicht streng genug gehandhabt, meinen sie doch, dass “diverse Online-Foren, die öffentlich gefördert werden, immer noch mit beleidigenden, diskriminierenden und inakzeptablen Kommentaren gefüllt” seien. Zwar ist es eine lästige Tatsache, dass gewisse Poster den Griff in den Pott nicht lassen können und das Lesen von interessanten Diskussionen so zu einem nicht ganz ungetrübten Vergnügen machen. Andererseits sind „beleidigend“, „diskriminierend“ und „inakzeptabel“ sehr dehnbare, subjektive Massstäbe, die bei einer Klage vor Gericht schnell dahinschmelzen. Einerseits, weil die freie Meinungsäußerung als Verfassungsgut über den Myriaden von wechselnden Befindlichkeiten steht und andererseits, weil das Gesetz Verleumdung, Aufhetzung und ähnliche Verbrechen gegen die Person streng ahndet. 

In der Begründung der Einbringer für die Gesetzesänderung steht: “Durch die Möglichkeit der anonymen freien Meinungsäußerung (ziehen sich) hämische Kommentare quer durch alle Foren: Menschen werden attackiert, (…) Anonymität erleichtert es, für seine Meinung nicht einstehen zu müssen, denn das Posten unter einem Pseudonym schützt die schreibende Person.”

Ganz recht, ein Pseudonym schützt die schreibende Person, und das hat gute Gründe. Nicht nur im Polizeistaat und der Zensur früherer Zeiten schützten Pseudonyme politisch oder sexuell verfolgbare oder sonstwie verletzliche Personen, sondern das tun sie erst recht im weltweiten Datennetz von heute (hier lesen). Als geschützte Identitäten gewährleisten Pseudonyme oder Nicknamen das Verfassúngsrecht auf Meinungsfreiheit bei gleichzeitigem Schutz vor Erpressbarkeit, übler Nachrede und anderen unschönen Mitteln, die seit jeher dazu gebraucht werden, um Abweichler in die Herde zurück zu drängen. Nicht umsonst sind die Wahlen in einer Demokratie frei und geheim, und niemand nennt sie deswegen „anonym“. Nicht umsonst gibt es ernstznehmende Stimmen, die die Durchsetzung von Klarnamenregeln im Internet auf globaler Skala einen „Missbrauch von Macht“ nennen. Klarnamen im sehr engen und kleinen Rahmen eines Ländchens durchsetzen zu wollen, läuft hingegen mehr auf die alte Scheinheiligkeit hinaus. Oder anders gesagt, es zementiert die Zwei-Klassen-Kommunikationsgesellschaft. Warum? Weil das Klatschen und Tratschen und Ausrichten von Leuten hinter ihrem Rücken wie eh und je munter weiter geht. Vorne ‚Herr Doktor‘, hinten ‚Der Depp‘. Um im Leben stets mit Klarnamen auftreten zu können, braucht es eine privilegierte, sichere und kaum angreifbare Stellung. Wer die nicht hat, kann sich klare Aussagen im eigenen Namen ganz selten leisten. Das gilt ganz besonders für den politischen bürgerlichen Diskurs.   

Schließlich sollte ein Pseudonym nicht verwechselt werden mit einem Anonym. Anonym heißt ohne Namen. Wer anonym handelt, will ganz und auf Dauer unauffindbar sein. Das kann nicht von Herausgebern geschützt werden, so wie das bei Nicknamen in Diskussionsforen der Fall ist. Bei Verstößen gegen das Gesetz kann im Falle von Pseudonym/Nickname die Identität leicht und ganz schnell von den Behörden festgestellt werden. Anonyme hingegen sind meist ein Fall für die Kripo.  Sie werden zurecht verachtet und sind auch als Schreiber überhaupt nicht schützenswert.

Das von den Bozner Abgeordneten aufgeworfene und von vielen anderen beklagte Problem ergibt sich nicht aus der Anonymität, sondern aus dem neuen Gebrauch des Pseudonyms von Leuten, die vormals nur untereinander redeten, jetzt aber untereinander schreiben, aber auf Seiten, die für alle einsehbar sind. Diese Seite des Smartphone-Zeitalters wird man kaum rückgängig machen können. Auch wenn die Schreibbildung vieler Nutzer –  sagen wir es höflich – nicht auf der Höhe des Mediums stehen mag, durch das sie sich ausdrücken. 

Das Mittel, das die Abgeordneten anzuwenden gedenken, vernichtet zusammen mit den öden und peinlichen Wortmeldungen in den zwei bis drei kleinen Foren-Biotopen, um die es hier geht, auch viele unbequeme, aber nützliche, scharfzüngige, aber befreiende und manchmal sogar notwendige Beobachtungen. 

Was noch auf der Hand liegt: Der Zwang, in Foren den meldeamtlichen Namen setzen zu müssen, unterbindet die digitalen Äußerungen aus dem Bauch des Volkes. Ja, wenn man zurück in die Metternich-Zeit will, auch gut. Nur möchte man meinen, dass es für moderne Politiker mit Mumm besser sein müsste, nicht nur über Spitzel erfahren zu können, was im Unterholz  der Gesellschaft vor sich geht, auch wenn von dort nicht immer Rosendüfte entgegen strömen.

Die Lösung liegt nicht in dem indirekt erzwungenen Verbot von Pseudonymen, sondern in der Hebung des digitalen Sprachbewusstseins. 

Jene Portale, die für die sanfte Erziehung und fortdauernde Pflege ihrer überschaubaren Schar von Postern Zeit, Arbeit und Geld in die Hand nehmen, indem sie die redaktionell ziemlich aufwendige Moderation durch den Einsatz von qualifizierten Mitarbeitern gestalten lassen, sollten genau für diesen Aufwand durch eine gezielte öffentliche Förderung entschädigt werden (dann braucht es auch nicht zusätzliche Überwachungsbeamte im öffentlichen Dienst). 

Eine Sprachpflege, die Südtiroler Online-Portale in nachweisbarer Form leisten, wäre wirklich ein Mehrwert für die Allgemeinheit (die lesende und die schreibende) und dieser Aufwand könnte den Steuerzahlern, die ja letztendlich die Förderer sind, wirklich etwas wert sein. 

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