Udo Pollmer

28.04.2020

Zum Leserbrief der Homöopathinnen

Zum aktuellen Corona-Ausbruch gibt es mittlerweile eine erkleckliche Fülle von Verschwörungstheorien. Eine phantasievolle Idee präsentiert uns eine Corona von Ärztinnen aus Bozen. Sie behaupten, der Südtiroler Obstbau trage zur Verbreitung des Virus bei. Das Immunsystem würde durch die Abdrift geschädigt, und so habe das Virus leichtes Spiel.

Symbolbild

Bekanntlich ist eine gewisse Abdrift physikalisch unvermeidlich, so dass Spuren der landwirtschaftlich genutzten Wirkstoffe in die Luft gelangen. Zum Verständnis: Die moderne Sprühtechnik erlaubt es, die Tröpfchen des Sprühnebels elektrostatisch so aufzuladen, dass sie schnell die Blattoberfläche erreichen und dort haften bleiben. Dies hat im integrierten Obstbau zu einer drastischen Verminderung der Abdrift geführt. Auch sind für uns Landwirte die hochgelobten „Biomittel“ keine Alternative. Spinosad beispielsweise ist stark bienengiftig, Kupfer ist ein Schwermetall, welches das Bodenleben schädigt, Bacillus thuringensis hat bei Kindern zu schweren Vergiftungen beim Verzehr von Biogemüse geführt, weil die Sporen manchmal gefährliche Enterotoxine bilden können. Sollten sie zwar nicht tun, tun sie aber hin und wieder.

Die Anwendung von modernen Pflanzenschutzmitteln ist umweltfreundlicher als das Verordnen von Medikamenten. Arzneimittel gelangen über Urin und Stuhl in die Kanalisation, viele von ihnen können in der Kläranlage nicht abgebaut werden und werden in den Gewässerkreislauf eingeschleust. Dabei ist der Unterschied zwischen Pflanzenschutzmittel und Medikament manchmal geringer als Patienten und Mediziner ahnen: So gehören die heute üblichen Cholesterinsenker (Statine) zur gleichen Stoffklasse wie die Strobilurine, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. In beiden Fällen wurden sie gegen Pilzinfektionen entwickelt, in der Medizin erwies sich die Nebenwirkung auf die Leberenzyme als die wirtschaftlich interessantere Option. Der entscheidende Unterschied: Als „Rückstand“ im Rahmen des Pflanzenschutzes nimmt der Verbraucher gelegentlich ein paar Mikrogramm auf, als Medikament schluckt er täglich die 1.000 bis 10.000fache Dosis.

Natürlich gibt es manchmal unerklärlich hohe Belastungen, so geschehen bei Schwarzem und Grünem Tee. Dort wurde oft das 100fache des Erlaubten an Nikotin nachgewiesen, ein Pestizid gegen Milben und anderes Kleinvieh. Jahrelang hatten deshalb Verbraucherschützer illegale Praktiken in den Teeplantagen Asiens angeprangert. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA musste den Grenzwert gleich um den Faktor 60 anheben, um den Teehandel vor dem Ruin zu bewahren.

Doch nicht rauchende Pflücker oder eine (illegale) Ausbringung als Milbenmittel war Ursache der hohen Belastung. Erst als Analytiker herausfanden, dass Nikotin und seine Verwandten im Tee im exakt gleichen Verhältnis vorlagen wie im Tabak, war klar: Die Rückstände stammten von Tabakpflanzen – sie wurden vom Winde verweht, oft über Hunderte Kilometer. Die fünf wichtigsten Teeanbauländer der Welt sind zugleich auch die fünf größten Tabakproduzenten. Damit sind zugleich zahlreiche bisher völlig rätselhafte Rückstandsfunde auf Import-Obst und -Gemüse erklärt.

Wer nun der Meinung ist, wir sollten deshalb auf den Anbau von Tabak verzichten, sollte bedenken, dass wir dann auch den Anbau von Heilkräutern verbieten müssten, da diese ebenfalls allerlei pharmakologisch brisante Stoffe an ihre Umwelt abgeben. Lassen wir also die Kirche im Dorf, die Welt ist schließlich kein Reinraumlabor und jede menschliche Tätigkeit hinterlässt Spuren in der Umwelt. Die einheimische Landwirtschaft macht da keine Ausnahme.

Vermeiden ließen sich aber viele toxische Belastungen, die durch unnötige ärztliche Verordnungen verursacht werden. Die per Medikament dem Körper zugeführten Mengen geben im Vergleich zu den Spuren, die sich aus der Erzeugung von Obst und Gemüse ergeben, durchaus Anlaß zur Sorge.

Udo Pollmer ist Lebensmittelchemiker und Sachbuchautor zur Ernährung, sowie wissenschaftlicher Leiter des Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V. – Auf Einladung der Arbeitsgruppe „Zukunft Landwirtschaft“ hielt der ausgewiesene Fachmann einen wissenschaftlichen Vortrag in Auer (Dezember 2019).

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