von ih 27.04.2020 12:09 Uhr

Coronakrise: Kindeswohl in Gefahr

„Wenn die Situation zuhause ohnehin schon angespannt ist oder bereits unterschwellige Gewaltstrukturen vorliegen, kann die derzeitige Kontaktbeschränkung für Kinder und Jugendliche dramatische Folgen haben“, warnt die für Kinder- und Jugendhilfe des Landes Tirol zuständige LR Gabriele Fischer und appelliert, in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen und der Selbstisolation ein ganz besonderes Augenmerk auf das Kindeswohl zu legen.

APA (dpa)

„Seit dem 16. März gab es im Kinderschutz kaum Anfragen“, berichtet Petra Sansone, Geschäftsführerin der Tiroler Kinder und Jugend GmbH. Zwar werden die offenen Fälle aktiv betreut, es kommen aber keine zusätzlichen hinzu – dies sei ungewöhnlich und mit Vergleichszahlen und Erfahrungen aus den Vorjahren nicht zu begründen. „Das Telefon steht beinahe still, im vergangenen Monat verzeichneten wir lediglich zwei neue Anfragen. Das bereitet uns große Sorgen“, betont Sansone, die mehrere Ursachen für diese geringe Zahl an Anfragen beim Kinderschutz sieht: „Durch die – de facto – Schließung von Schulen und Kindergärten, aber auch durch ausbleibende Besuche bei Kinderärztinnen und -ärzten bzw. bei psychosozialen und Gesundheitsberufen fällt eine große Gruppe an Personen weg, die einen Verdacht auf Gewalt gegen Kinder melden könnten oder sich im Sinne der professionellen Beratung an uns wenden“.

Gleichzeitig seien aufgrund der Ausgangsbeschränkungen Familien in erster Linie unter sich und 24 Stunden auf teilweise engem Raum zusammen – es könne sich kaum jemand „unbemerkt“ an die Beratungsstelle wenden, ohne sich erklären zu müssen.

Generell weist die klinische Psychologin und Notfallpsychologin darauf hin, dass es an der Zeit ist, nach dem notwendigen Fokus auf die physische Gesundheit der Menschen nun auf die psychische Gesundheit zu achten. „Gerade Kinder und Jugendliche haben ein großes Bedürfnis nach Kontakten zu Gleichaltrigen. Soziales Lernen findet im direkten Austausch in Gruppen statt und kann durch keine Medien ersetzt werden. Heranwachsende leiden unter den Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen mehr, als wir Erwachsene annehmen. Es ist an der Zeit, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu rücken!“ bekräftigt Sansone den Appell der Soziallandesrätin.

Achtsamkeit besonders wichtig

„Kinderschutz steht und fällt mit Hinschauen und Handeln – hier sind sowohl die Bezugspersonen der Kinder und Jugendlichen, aber auch außenstehende Personen aufgerufen, Missstände aufzuzeigen und sich an die entsprechenden Stellen zu wenden“, betont Elisabeth Harasser, Kinder- und Jugendanwältin von Tirol. Sie weiß aus der Praxis: Kinder und Jugendliche, die von den unterschiedlichsten Formen von Gewalt betroffen sind, suchen sich sehr lange keine Hilfe. Am ehesten vertrauen sie sich Personen aus dem direkten Umfeld an. „Derzeit ist die Achtsamkeit von Mitmenschen besonders gefragt. Wenn laute Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft wahrgenommen werden, sollten diese ernstgenommen und Hilfe organisiert werden – vor allem, wenn Kinder und Jugendliche im betroffenen Haushalt leben“, stellt Harasser klar und weist auf ein weiteres Problem hin: „Auch die Gefahr von sexualisierter Gewalt steigt in Zeiten der Kontaktsperre. Die Täter können sich nämlich derzeit sicher sein: das Kind kann und wird sich niemandem anvertrauen“. Aus diesem Grund sei das nahe Umfeld noch mehr gefordert und sollte sich bei Verdacht an den Kinderschutz wenden.

„Scheuen Sie sich nicht, sich mit den Kinderschutzzentren oder der Kinder- und Jugendanwaltschaft in Verbindung zu setzen“, appelliert LRin Fischer an Betroffene, aber auch an Menschen, die von außen Probleme innerhalb von Familien wahrnehmen. „In dieser herausfordernden Zeit müssen wir aufeinander schauen – falsche Zurückhaltung kann Kinder und Jugendliche in Gefahr bringen“.

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