„Die Wunde Brenner“ – Warum ein Schild genügt, um ein Land aufzurütteln

Für manche ist es eine Erinnerung, für andere ein Affront, für einige sogar ein politisches Warnsignal. Sicher ist: Das Brennerschild des Andreas-Hofer-Bundes zwingt beide Länder, über ihre Geschichte zu sprechen – und über die Art, wie Europa heute mit regionalen Identitäten umgeht.
Im Zentrum der Diskussion steht einer, der selten den leichteren Weg wählt: der Zillertaler Alois Wechselberger, Obmann des Andreas-Hofer-Bundes für Tirol. Ein Gespräch über Verantwortung, historische Kontinuitäten, politische Ohnmacht – und darüber, warum ein Schild manchmal lauter spricht als tausend diplomatische Formulierungen.
Herr Wechselberger, weshalb gerade ein Schild mit Dr. Erhard Hartung? Was bedeutet er für die heutige Tiroler Identität?
Dr. Hartung steht für eine Haltung, die heute selten geworden ist: unbequeme Loyalität. Loyalität zu einem Land, das man liebt – selbst wenn das politisch nicht opportun ist. Wir wollten mit diesem Schild eine dieser verschütteten Stimmen wieder hörbar machen. Tirol hat viele Gesichter, aber Hartung symbolisiert eines, das vergessen wurde: das der Selbstachtung.
Die Reaktionen aus Italien waren heftig. Spüren Sie eine Eskalation?
Ich spüre vor allem bei dem italienischen Politiker Alessandro Urzì Nervosität. Und Nervosität entsteht dort, wo man sich ertappt fühlt. Wir greifen nicht an – wir erinnern. Wenn Italien darauf mit schwerem Geschütz reagiert, zeigt das, wie porös das politische Fundament ist. Es geht hier nicht um Feindschaft. Es geht um die Frage, ob Tiroler Identität in der heutigen europäischen Politik noch Platz hat.
Das Video mit dem Brennerschild verbreitet sich viral. Was löst es in den Menschen aus?
Sehnsucht. Wut. Zugehörigkeit. Dinge, die im politischen Alltag keinen Raum mehr haben. Die Leute sehen dieses Schild und merken: Da spricht jemand so, wie sie es innerlich längst tun. Nicht weichgespült, nicht diplomatisch, sondern ehrlich. Und Ehrlichkeit hat eine Sprengkraft, die manche Politiker unterschätzen.
Kritiker werfen Ihnen vor, historische Konflikte aufzuwärmen. Was antworten Sie?
Wenn man etwas „aufwärmen“ kann, bedeutet das, dass es nie verarbeitet wurde. Die Geschichte Tirols ist keine geschlossene Akte. Sie ist ein Thema, das immer wieder hochkommt – nicht, weil wir es künstlich aufpushen, sondern weil es die Menschen beschäftigt. Wir können nicht auf ewig schweigen, nur weil die Vergangenheit unbequem ist.
Befürchten Sie, dass die Installationen das Verhältnis zwischen Nord- und Südtirol belasten?
Die Menschen sind nicht belastet – die Politiker sind es. Auf Bevölkerungsebene sehe ich eine tiefe, stille Verbundenheit. Der Riss, den viele behaupten, ist ein politischer Mythos. Die eigentliche Gefahr ist, dass aus Angst vor Verstimmung gar nicht mehr gesprochen wird. Wir hingegen sagen: Reden wir. Auch wenn es kracht.
Der Andreas-Hofer-Bund wird von manchen Sicherheitsbehörden als „potenziell radikal“ beschrieben. Wie gehen Sie damit um?
Indem ich darüber lache. Wir machen nichts Illegales, nichts Heimliches, nichts Feindseliges. Wer ein Schild mit Dr. Erhard Hartung für radikal hält, hat ein Problem mit Symbolik, nicht mit Sicherheit. Diese Etiketten dienen nur dazu, unsere Argumente zu entwerten. Ohne sie inhaltlich widerlegen zu müssen.
Was sagen Sie Menschen, die sich durch die Aktion persönlich angegriffen fühlen?
Ich nehme das ernst. Aber ich frage zurück: Warum fühlen sie sich angegriffen? Ein Schild greift niemanden an. Es erinnert. Und Erinnerung ist nicht gefährlich. Sie wird nur gefährlich, wenn man versucht, sie zu unterdrücken. Ich lade jeden ein, das Gespräch zu suchen – aber nicht die Emotionen zu verbieten.
Was werfen Sie der politischen Führung in Südtirol und der Bundesregierung in Wien konkret vor?
Mutlosigkeit. Eine bequeme Form des Stillhaltens. Man verwaltet, statt zu gestalten. Und wenn jemand wie wir daran rüttelt, ruft man sofort nach „Deeskalation“. Aber Deeskalation ist oft nur ein anderes Wort für Unterordnung. Tirol braucht heute wieder Politiker, die Rückgrat haben – nicht nur Programme.
Wohin steuert der Andreas-Hofer-Bund? Was planen Sie als Nächstes?
Wir werden sichtbarer. Stärker. Präziser. Die Reaktionen auf das Schild zeigen uns, dass wir einen Nerv getroffen haben. Deshalb gehen wir weiter. Weitere Installationen sind in Planung, auch Treffen mit der Bevölkerung. Wir wollen nicht spalten. Wir wollen verbinden – aber auf Grundlage der Wahrheit. Das Schild mit Erhard Hartung war ein Anfang. Mehr nicht. Die Geschichte Tirols ist lang. Und wir haben gerade erst begonnen, sie wieder laut zu erzählen.
Interview: Andreas Raffeiner






