von mmh 03.11.2025 15:20 Uhr

Misshandlungsvorwürfe auch in Osttiroler SOS- Kinderdorf

Mit dem Standort Nussdorf-Debant in Osttirol ist ein zweites Tiroler SOS-Kinderdorf von Misshandlungsvorwürfen betroffen. Zwei Frauen, die in den 1990er-Jahren dort aufwuchsen, meldeten sich nach Berichten über Übergriffe in anderen SOS-Kinderdörfern bei der APA. Sie berichten von erlebter und wahrgenommener struktureller, auch sexualisierter Gewalt.

APA/THEMENBILD

„Es würde mich wundern, wenn es in einem SOS-Kinderdorf keine Gewalt oder Missbrauch gegeben hätte. Das geschlossene, patriarchale System war der Nährboden dafür“, sagte eine Frau, die ab 1994 zehn Jahre in Nussdorf-Debant lebte. Gewalt sei häufig durch Erwachsene ausgeübt worden, auch durch den damals hoch angesehenen Dorfleiter, der über 20 Jahre für pädagogische und administrative Aufgaben verantwortlich war.

Gewalt durch Dorfleiter und Kinderdorf-Mütter

„Ich galt als rebellisch und kassierte immer wieder vom Dorfleiter eine Watsche, oft vor anderen Kindern“, erinnert sich die ältere Frau. Die zweite, jüngere Betroffene bestätigt körperliche Strafen wie Ohr- und Haarziehen, um Kinder einzuschüchtern. Auch einzelne Kinderdorf-Mütter hätten Gewalt angewendet, teils aus Überforderung, und das patriarchale System habe viele zum Schweigen gebracht.

Psychische, physische und sexualisierte Gewalt unter Kindern sei üblich gewesen. Die Jüngere berichtet, über Jahre von zwei Hausbrüdern sexuell belästigt worden zu sein; Konsequenzen für die Täter habe es nicht gegeben. „Bei sexueller Gewalt unter Kindern wurde weggeschaut“, ergänzt die ältere Frau.

Reaktionen und Folgen für die Betroffenen

SOS-Kinderdorf Österreich entschuldigte sich auf Anfrage und appellierte an Betroffene, Missstände über bestehende Meldewege zu dokumentieren, damit jeder Fall sorgfältig geprüft und aufgearbeitet werden könne. Die Aufarbeitung betreffe „ausnahmslos alle – unabhängig von Rolle, Funktion oder Zeitraum“.

Eine der Betroffenen erhielt erst nach sechs Jahren einen Bericht vom Jugendamt, das die Situation prüfen sollte. Es bleibt unklar, seit wann Tiroler Kinder- und Jugendhilfe sowie Kinder- und Jugendanwaltschaft über Übergriffe informiert waren; APA-Anfragen blieben unbeantwortet.

Die psychischen Folgen für die Betroffenen waren massiv: Schulische Leistungen litten, die Matura wurde verwehrt, das Selbstvertrauen zerstört. Die jüngere Frau absolvierte später ein Studium, finanziell unterstützt von SOS-Kinderdorf, nachdem sie sich an die Ombudsstelle gewandt hatte. SOS-Kinderdorf Österreich bot Entschädigungen an, nachdem die Opferschutzkommission die Fälle geprüft hatte. Laut den beiden Frauen wurden weitere Fälle von Gewalt im Osttiroler Kinderdorf entschädigt; ihnen sind konkret zwei weitere Fälle bekannt.

UT24/apa

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite