von Alexander Wurzer 18.10.2025 09:30 Uhr

Ferienland am Limit

Südtirol liebt große Zahlen. 37,1 Millionen Übernachtungen, 8,7 Millionen Ankünfte, 18,8 Gäste pro 100 Einwohner – neue Rekorde, neue Superlative. ASTAT nennt sie „Erfolg“, das Land klopft sich auf die Schulter.

Überbordender Tourismus führt oft zu Stau (Symbolfoto: Süd-Tiroler Freiheit)

Aber während die Touristikkurve steil nach oben zeigt, kippt das System längst zur Überlastung: auf den Straßen geht nichts weiter, Wasser wird knapp, Wohnungen verschwinden, und trotzdem pumpt das Land Jahr für Jahr Millionen in neue Werbung. Es ist, als würde man Öl ins Feuer gießen – und sich dabei über die Flammen freuen.

Vollgas, obwohl die Bremslichter glühen

Die Zahlen lügen nicht: Das Gesamtbudget der IDM Südtirol für 2024 beträgt satte 60,7 Millionen Euro. Davon kommen 28,9 Millionen Euro direkt aus Landesmitteln und weitere 16,85 Millionen Euro aus der Ortstaxe – also dem Geld, das Urlauber über ihre Nächte einzahlen. Allein für Tourismuswerbung sind laut IDM-Budget 24,086 Millionen Euro vorgesehen. Das bestätigte das Land offiziell auf eine Anfrage des Team K, die den Werbeeinsatz kritisch hinterfragte.

In der Antwort auf diese Anfrage wird klar, wohin die Summen fließen: 2,92 Millionen Euro in Suchmaschinenwerbung, 1,13 Millionen Euro in Social Media, 260.000 Euro an Influencer, rund 1,5 Millionen Euro pro Saison in TV- und Onlinekampagnen. Dazu ein großer Block für „Marktbearbeitung“ – rund 11,7 Millionen Euro, verteilt auf die bekannten Zielmärkte Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien, sowie auf die Aufbaumärkte Niederlande, Belgien, Polen und Tschechien. In Long-Haul-Märkten – also Überseeländern wie China oder USA – „werbe man offiziell nicht“, heißt es in der Landtagsantwort. Offiziell.

Denn: Influencer-Kampagnen und internationale Medienberichte haben längst eine globale Reichweite. Wenn ein internationaler Creator am Pragser Wildsee oder an den Drei Zinnen postet, landet das Foto ohnehin auf Bildschirmen in Peking, Los Angeles oder Dubai. So viel zum Thema „keine Fernmärkte“.

Wachstum als Dauerauftrag

Während das Land im Zeichen von Nachhaltigkeit und Klimazielen über Steuerung spricht, passiert faktisch das Gegenteil: Die Kurven im Sustainable Tourism Observatory of South Tyrol (STOST) der Eurac zeigen seit 2004 einen Zuwachs der Ankünfte um 79 Prozent, der Nächtigungen um rund 41 Prozent. 2023 erreichte Südtirol wieder 36,1 Millionen Übernachtungen – fast auf Vorkrisenniveau – und 2024 wurde der alte Rekord mit 37,1 Millionen nochmals übertroffen.

Südtirol gehört laut Eurostat zu den drei tourismusintensivsten Regionen Europas – mit rund 70 Nächtigungen pro Einwohner jährlich.

STOST listet die Folgen nüchtern auf: Übernutzung sensibler Gebiete, wachsende Verkehrsbelastung, steigender Wasserverbrauch, Flächenkonkurrenz, steigende Lebenshaltungskosten. Schon 2007/08 waren 51,2 Prozent aller einfahrenden Leichtfahrzeuge in Südtirol tourismusbedingt. Laut Eurac verbraucht die An- und Abreise rund 90 Prozent der Energie, die im Tourismussystem anfällt. Der Verkehr ist also nicht Begleiterscheinung, sondern Kernproblem.

IDM und Landesregierung wissen das – und investieren trotzdem Millionen in „Marktbearbeitung“. Im Klartext: Südtirol zahlt dafür, dass noch mehr Menschen kommen, obwohl die Täler längst ächzen.

Wenn Werbung Realität frisst

„Steuern statt wachsen“ war die politische Parole, der sogenannte Bettenstopp das Feigenblatt. In Wahrheit wächst der Bestand weiter. Zwischen 2022 und 2024 wuchs die Kapazität laut offiziellen Zahlen von rund 229.000 auf über 253.000 Gästebetten – ermöglicht durch Altgenehmigungen, Übergangsfristen und Sonderregeln. Der Begriff „Stopp“ hat hier dieselbe Glaubwürdigkeit wie ein Tempolimit in der Formel 1.

Parallel zieht die Kurzzeitvermietung den Boden unter den Füßen weg. ASTAT zählte 5.465 Airbnb-Angebote im Jahr 2022 – mehr als doppelt so viele wie 2018. Damit verschwindet Wohnraum aus den Dörfern, während Eigentümer mit Tagesmieten Gewinne schreiben. Für Einheimische steigen die Preise, für Familien wird Wohnen zur Lotterie. Der Tourismus, der einst Arbeitsplätze brachte, vertreibt heute oft seine eigene Belegschaft, die er dann im Ausland anwerben muss.

Die Umwelt zahlt mit. Im Winter 2018/19 wurden laut Landesumweltagentur elf Millionen Kubikmeter Wasser für technische Beschneiung verwendet – das entspricht dem Jahresverbrauch einer Stadt wie Bozen mit rund 110.000 Einwohnern. STOST bezeichnet den Wintertourismus als „ressourcenintensiv“, und das ist freundlich formuliert. Schnee, der aus Trinkwasser gemacht wird, ist Symbol einer Branche, die sich selbst widerspricht.

Milliarden im Stau

Der Straßenraum ist längst der sichtbarste Schauplatz der Überlastung. 89 Prozent der Gäste reisen laut IDM mit dem Auto an, nur sieben Prozent mit der Bahn. Trotzdem wird das Geld nicht in Schienenmarketing oder Anreizsysteme gesteckt, sondern weiter in klassische Werbung. Im Winter 2024/25 bejubelte IDM die „neuen Rekordzahlen“ – und wenige Wochen später warnte die Landesumweltagentur vor Feinstaubgrenzwerten im Pustertal.

Der durch Touristen verursachte CO₂-Ausstoß (Anreise + Inlandsverkehr) beträgt laut Eurac bis zu 450.000 Tonnen jährlich – etwa ein Fünftel der gesamten Emissionen Südtirols.

Die Landtagsopposition reagiert zunehmend scharf. In ihrer Anfrage kritisierte Team K, es sei „nicht nachvollziehbar, warum IDM weiter steigende Budgets für Tourismuswerbung erhalte, obwohl bereits Rekordzahlen bei Ankünften und Nächtigungen erreicht wurden“. Auch aus anderen Fraktionen kommt Unmut: Man spreche von Nachhaltigkeit und entlaste gleichzeitig die Werbefirmen, nicht die Täler.

Die Kulisse wankt

Die Nachhaltigkeitsberichte der Eurac sind keine Schmähschrift, sondern nüchterne Analyse. Ihre Botschaft: Die touristische Erfolgskurve übersteigt die Tragfähigkeit. Akzeptanz, Umweltqualität, Wohnraum und Mobilität geraten ins Ungleichgewicht. Und trotzdem arbeitet das System weiter nach dem Prinzip „je mehr, desto besser“.

Das Ergebnis ist sichtbar. Landschaft wird zur Kulisse, Heimat zur Bühne, Bewohner zu Statisten. Man braucht kein Feindbild, um das festzustellen. Man muss nur an einem Sonntag durch das Gadertal oder das Grödner Tal fahren. Es riecht nach Diesel, nicht nach Heu.

Die Schönheit Südtirols ist kein unerschöpfliches Konto. Man kann sie nicht endlos abheben. Jeder zusätzliche Werbeeuro, jeder neue Spot, jeder neue Influencerpost beschleunigt ein Spiel, das sich längst selbst überholt hat.

Solange das Land Millionen in Tourismuswerbung pumpt, während Gemeinden Parkplätze sperren, Wasser sparen und Wohnungspreise explodieren, stimmt die Balance nicht mehr. Die IDM mag die Marke Südtirol in Hochglanz verpacken – doch hinter der Folie dröhnt die Realität.

Südtirol steht an einem Punkt, an dem nicht mehr Wachstum gefragt ist, sondern Mut zur Begrenzung. Wer weiter nur Rekorde feiert, riskiert, dass die eigene Heimat zum Museum ihrer selbst wird – schön anzusehen, aber leer von Leben.

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