von Alexander Wurzer 15.08.2025 16:59 Uhr

Der Meraner Bildungsfachmann – mit falschen Fakten gegen Willkommensklassen

Ein Meraner Gemeinderat beruft sich auf eine deutsche Studie, um Willkommensklassen zu kippen – und verdreht dabei deren Aussage ins Gegenteil. Warum seine Argumentation nicht nur wissenschaftlich wackelt, sondern auch die besondere Sprachsituation in Südtirol ignoriert. Und weshalb gut gemachte Willkommensklassen hier nicht Luxus, sondern Überlebensgarantie für Integration und Minderheitenschutz sind.

Reinhard Bauer (Foto: Facebook/Reinhard Bauer)

Reinhard Bauer, Meraner Gemeinderat der SVP, gibt auf Facebook den selbsternannten Aufdecker „schulischer Parallelwelten“. In dramatischem Tonfall warnt er vor „pädagogischen Sackgassen“ und schreibt: „Separation bremst – Integration beschleunigt“. Als Kronzeugen führt er eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle ins Feld, die angeblich beweist, dass Willkommensklassen Kindern schaden. Seine Lösung: Sofort ab damit in die Regelklasse – egal, ob die Kinder überhaupt ein Wort verstehen.

Die Likes und Zustimmungen unter seinem Post stammen auffällig oft aus genau jener Ecke, die weder Deutsch als Muttersprache noch pädagogische Erfahrung mitbringt. Doch wer sich die Mühe macht, die Halle-Studie wirklich zu lesen – und nicht nur die Überschrift auf Facebook zu teilen – merkt schnell: Sie sagt genau das Gegenteil von dem, was Bauer daraus bastelt.

  • Die Argumentation von Reinhard Bauer contra Willkommensklassen (Foto: Facebook/Reínhard Bauer)

Was die Halle-Studie wirklich zeigt

Die von Bauer zitierte Untersuchung misst gar nicht, ob Willkommensklassen „schaden“. Sie zeigt nur: Jugendliche, die bei ihrer Ankunft in eine Vorbereitungsklasse kamen, sprechen später im Regelunterricht im Schnitt schlechter Deutsch als jene, die von Anfang an in einer Regelklasse waren. Der Grund liegt auf der Hand: In die Regelklasse kommt nur, wer schon genug Deutsch kann – in die Willkommensklasse geht, wer fast bei null startet. Die Startbedingungen könnten ungleicher kaum sein. Die Autoren schreiben selbst: „Separate Klassen richten sich hauptsächlich an neu zugewanderte Schülerinnen, deren Deutschkenntnisse nicht ausreichen, um dem Regelunterricht zu folgen.“ Wenn die zweite Gruppe später noch nicht aufgeschlossen hat, beweist das nicht, dass Willkommensklassen versagen – es zeigt, dass Förderung zu kurz, zu oberflächlich und zu schlecht ausgestattet war. Ohne diese Klassen wäre der Rückstand noch größer. Wer das Gegenteil behauptet, verwechselt Ursache und Symptom.

Momentaufnahme statt Langzeitbeweis

Hinzu kommt, dass es sich um Querschnittsdaten handelt. Die Studie liefert eine Momentaufnahme, keine Langzeitmessung. Sie kann nicht beantworten, wie sich die Sprachkompetenz langfristig entwickelt oder ob gut organisierte Vorbereitungsklassen später sogar Vorteile bringen. Die Autoren geben selbst zu: „Um die tatsächliche Wirkung von Vorbereitungsklassen zu messen, sind längsschnittliche Untersuchungen nötig.“ Außerdem wurden nur vier deutsche Bundesländer erfasst – Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Genau dieser methodische Schwachpunkt macht Bauers 1:1-Übertragung auf Südtirol völlig absurd.

Südtirol: Hier sind Willkommensklassen Pflichtprogramm

Denn bei uns gibt es drei klar getrennte Schulsysteme – deutsch-, italienisch- und ladinischsprachig –, um Minderheitensprachen zu schützen. Leider ist es in vielen Orten längst Realität, dass in deutschen Schulen immer mehr italienische Kinder oder solche mit Migrationshintergrund sitzen – und in manchen Klassenzimmern Italienisch zur Hauptsprache geworden ist. Will man diese Entwicklung noch beschleunigen? Ohne intensives Sprachtraining in Willkommensklassen fallen diese Kinder zudem unweigerlich zurück – und bremsen den Unterricht für alle. Wer das ignoriert, gefährdet nicht nur Integration, sondern auch den Minderheitenschutz.

Politischer Wille statt politischer Blockade

Selbst in Deutschland ist man auf Bundesebene längst weiter. Karin Prien, Bundesministerin für Bildung, sagt klar: „Kein Kind darf ohne Deutschkenntnisse in die Schule starten.“ Ihr Modell macht Willkommensklassen zum Herzstück der Integration – mit qualifizierten Lehrkräften, kleinen Gruppen, enger Verzahnung mit Regelklassen und klaren Übergangsplänen. Das ist keine „Parallelwelt“, sondern der Startblock ins gemeinsame Lernen. Genau dieses Modell bräuchte Südtirol. Stattdessen setzt Bauer auf Sofortintegration – und damit auf Überforderung, Frust und Bildungsabstieg.

Bauers Forderung hat kein Fundament

Willkommensklassen sind kein Problem, sondern die Lösung. Sie sind das Fundament, auf dem Integration, Chancengleichheit und der Schutz der deutschen Sprache stehen. Alles andere ist politisches Abenteurertum auf dem Rücken von Kindern, die unsere Unterstützung brauchen. Wer wie Bauer diese Brücke abreißt, bevor sie gebaut ist, sorgt dafür, dass Integration scheitert – und verkauft das dann als Erfolg. „Separation bremst – Integration beschleunigt“? Nein, Herr Bauer. Ohne die nötige Sprachbasis ist das wie Gas geben mit angezogener Handbremse: Man verbraucht viel Energie, kommt aber keinen Meter voran.

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