von Alexander Wurzer 08.08.2025 07:00 Uhr

Alarmstufe Rot im Klassenzimmer

In Südtirol spitzt sich der Lehrermangel Jahr für Jahr weiter zu. Immer mehr ausgeschriebene Stellen bleiben unbesetzt, immer weniger Menschen entscheiden sich für den pädagogischen Beruf. Eine alarmierende Entwicklung, die weder überraschend noch vom Himmel gefallen ist – sie ist eine logische Folge bildungspolitischer Fehlentscheidungen.

Bild: APA/dpa

Die politisch Verantwortlichen verweisen zwar regelmäßig auf die Zahlen der Stellenwahlen, bleiben jedoch bei der Interpretation der Entwicklungen auffällig zurückhaltend. Dabei sind die Daten eindeutig – und das Ausmaß ist besorgniserregend.

Zahl der unbesetzten Stellen steigt dramatisch

Ein Blick auf die letzten vier Jahre macht deutlich, wie tiefgreifend das Problem mittlerweile ist. 2022 blieben von 1904 angebotenen Stellen 901 unbesetzt – das entspricht einem Anteil von rund 47,3 Prozent. 2023 verschärfte sich die Lage weiter: 938 von 1927 Stellen blieben vakant, also 48,7 Prozent. Im Folgejahr 2024 stieg die Zahl der unbesetzten Stellen auf 1063 von insgesamt 2005 – mehr als jede zweite Stelle blieb somit frei. Und im laufenden Jahr 2025 wurde dieser Negativtrend nochmals übertroffen: Von 1957 ausgeschriebenen Stellen konnten lediglich 858 besetzt werden, was bedeutet, dass 1099 Stellen, also 56,1 Prozent, leer geblieben sind. Das entspricht mehr als der Hälfte aller ausgeschriebenen Positionen – ein klares Zeichen für den anhaltenden Attraktivitätsverlust des Lehrberufs in Südtirol.

Wie dramatisch die Situation ist, verdeutlicht auch Petra Nock von der Südtiroler Schulgewerkschaft (SSG) im ASGB. Sie weist darauf hin, dass „weniger als die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen direkt vergeben werden konnte“ – ein Zustand, der viele Schulen zwingt, auf Notlösungen zurückzugreifen. Man sei gezwungen, „über Direktbeauftragungen Personal zu finden“, wobei zunehmend auch „auf nur mangelnd bzw. überhaupt nicht ausgebildetes Personal zurückgegriffen werden“ müsse. Für ein Bildungssystem, das auf Qualität pocht, ist das ein gefährlicher Kurs.

  • Jahr für Jahr bleiben im Verhältnis immer mehr Stellen unbesetzt (Grafik: UT24)

Verlorenes Prestige und sinkende Motivation

Noch vor wenigen Jahrzehnten galt der Lehrberuf als stabil, angesehen und gesellschaftlich geschätzt. Heute jedoch verliert er nicht nur an Ansehen, sondern auch an Zukunftsaussichten. Immer häufiger berichten Lehrkräfte von fehlender Anerkennung, stagnierenden Gehältern und einer übermäßigen Belastung durch administrative Aufgaben. Versprechungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bleiben oft vage, konkrete Maßnahmen zur Abfederung der steigenden Anforderungen sind selten. Auch die Tatsache, dass nicht einmal die volle Inflation ausgeglichen oder bis dato gar strukturelle Gehaltserhöhungen ausbezahlt wurden, wirkt sich spürbar auf die Motivation junger Menschen aus, diesen Beruf zu ergreifen.

Petra Nock bringt es auf den Punkt: Der Lehrberuf müsse „in Südtirol wieder konkurrenzfähig werden, um qualitätsvollen Unterricht sicherstellen zu können.“ Doch statt spürbarer Investitionen und Aufwertung gebe es vor allem politischen Stillstand. „Stattdessen“, so Nock weiter, „scheinen politische Entscheidungen und mangelnde Investitionen den Beruf immer unattraktiver zu machen.“ Die Folge ist sichtbar – und messbar.

Kritik wird nicht gehört – oder unterdrückt

Hinzu kommt, dass Lehrpersonen und Schulleitungen, die offen auf strukturelle Missstände hinweisen, häufig zurückgepfiffen oder öffentlich kritisiert werden. Die Debatten über bildungspolitische Herausforderungen scheinen oft mehr von Empfindlichkeiten der Entscheidungsträger geprägt zu sein als von dem Interesse, reale Probleme zu lösen. Der Umgang mit kritischen Stimmen innerhalb des Bildungssystems lässt viele Betroffene mit dem Gefühl zurück, nicht ernst genommen zu werden – ein Umstand, der das ohnehin angeschlagene Berufsbild weiter schwächt.

Abwanderung als letzter Ausweg

Angesichts der aktuellen Entwicklung ist es kaum verwunderlich, dass zahlreiche Lehrkräfte Südtirol den Rücken kehren und in benachbarte Länder abwandern. Dort werden sie nicht nur besser entlohnt, sondern erleben häufig auch ein höheres Maß an professioneller Wertschätzung. Während andere Länder mit gezielten Maßnahmen versuchen, den Lehrermangel aktiv zu bekämpfen, fehlt in Südtirol bislang eine zielführende Strategie, denn allzu viele Sonntagsreden ohne konkrete Umsetzung haben das Vertrauen in politische Lösungen längst erschüttert. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem zwar bekannt ist, aber aus politischer Sicht nicht mit der gebotenen Dringlichkeit behandelt wird.

Diese Zurückhaltung zeigt sich auch bei alltäglichen Fragen der Organisation: „Die Diskussion um die Mensaaufsichten ist nur ein Beispiel dafür, wie absurd die Lage inzwischen ist“, meint Nock. Sie stellt die Frage, „ob eine Lehrperson – sofern man überhaupt eine findet – in der Klasse unterrichten oder in der Mensa Aufsicht führen soll. Und das alles möglichst zum Nulltarif?“

Der Lehrermangel ist ein Symptom – kein Zufall

Die derzeitige Entwicklung ist kein isoliertes Phänomen, sondern Ausdruck einer längerfristigen Schieflage in der Bildungspolitik. Der Lehrermangel ist kein unvorhersehbares Ereignis, sondern die direkte Folge eines über Jahre vernachlässigten Berufsbildes. Dass mehr als die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen im Jahr 2025 unbesetzt bleibt, ist keine bloße Statistik – es ist ein bildungspolitisches Warnsignal ersten Ranges. Südtirol kann sich ein derartiges Versäumnis auf Dauer nicht leisten, ohne das Fundament seines Bildungssystems zu gefährden. Bleibt der Kurs unverändert, droht Südtirol nicht nur ein akuter Lehrer-, sondern ein struktureller Bildungsnotstand.

Es brauche, so Nock, endlich „den Mut, das Bildungssystem zu durchleuchten und neu zu denken.“ Reden allein reiche nicht mehr. Die Zeit zum Handeln sei längst gekommen.

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