Südtirol am Limit: Der Tourismus frisst unsere Wurzeln

Der Tourismus war lange Zeit Segen und Motor für unser Land. Doch dieser Segen ist längst zur Belastung geworden. Die Lage ist nicht angespannt – sie ist eskaliert. Wir erleben einen touristischen Tsunami, der die Täler flutet, die Berge überrollt und die Lebensqualität der Einheimischen unter sich begräbt.
Profit über Lebensqualität
Die Wahrheit ist unbequem: Für viele Unternehmer zählt nur die Kasse. Sie freuen sich über volle Betten, klingelnde Registrierkassen und internationale Bekanntheit. Doch was ist der Preis dafür? Der Verkehr quält sich durch enge Dörfer, Wanderwege gleichen Autobahnen, und Ruhe ist zur Luxusware geworden. Wer hier lebt, weiß: Der eigene Alltag ist dem Touristenstrom längst untergeordnet.
In vielen Orten gibt es außerhalb der Saison keinen offenen Gasthof mehr, keinen Kaffee am Nachmittag, kein soziales Zentrum. Nur Stille. Aber nicht die gute, alpine Ruhe – sondern eine Leere, die zeigt: Dieser Ort dient nur noch dem Konsum. Nicht dem Leben. Und auch finanziell wird es für die Einheimischen in den überlaufenen Touristenhochburgen zunehmend schwieriger: Die Preise für alltägliche Güter und Dienstleistungen schnellen deutlich in die Höhe – sei es für Mieten, Lebenshaltungskosten oder Gastronomie. Wer dort wohnt, zahlt mit dem eigenen Geldbeutel für eine Attraktivität, von der er selbst kaum profitiert.
Gastfreundschaft kennt Grenzen – auch moralische
Die Einheimischen, die nicht direkt am Tourismus verdienen, zahlen den höchsten Preis: mit ihrer Geduld, ihrer Mobilität, ihrer Ruhe. Sie finanzieren mit ihren Steuern die Infrastruktur, von der andere profitieren – während sie selbst im Sommer kaum noch einen Parkplatz finden, im Winter im Stau stehen, und am Wochenende die eigenen Berge meiden müssen, weil Fototouristen aus aller Welt sie blockieren.
Diese sogenannten „Instagram-Touristen“ – sie kommen, fotografieren, posten, verschwinden. Kein Konsum, kein kultureller Austausch, keine Verantwortung. Nur ein weiterer Haken auf ihrer To-Do Liste. Südtirol wird auf Social Media zur Kulisse degradiert. Zur reinen Oberfläche ohne Tiefe.
Statt noch mehr – endlich richtig steuern
Und dabei wird eines völlig vergessen: Es gibt sie ja – die Regionen in Südtirol, die touristisch kaum entwickelt sind, wo man noch echte Ruhe findet, echte Begegnungen mit Menschen, echte Kultur. Regionen wie das Südtiroler Unterland, die nicht unter dem Ansturm zusammenbrechen – sondern um Beachtung ringen. Diese Orte brauchen endlich gezielte Förderung.
Statt immer noch mehr in bereits überlaufene Täler zu investieren, braucht es eine aktive Lenkung hin zu einem sanften, nachhaltigen Tourismus in bisher übersehene Gebiete. Einen Slow-Tourismus, der auf Qualität statt Quantität setzt, der mit den Menschen vor Ort gestaltet wird – nicht über ihre Köpfe hinweg. So kann Tourismus wieder das werden, was er einmal war: eine Chance für alle.
Genug ist genug: Südtirol muss sich selbst schützen
Was es jetzt braucht, ist kein weiteres touristisches Großprojekt, kein neues Hotel und keine Imagekampagne mehr. Südtirol braucht klare Grenzen. Und zwar sofort. Es braucht eine Kontingentierung von Besuchern an Hotspots, in überrannten Tälern und Bergen sowie an Seilbahnen. Ein Vorrangrecht für Einheimische – auf Mobilität, auf Zugang, auf Naherholung. Es braucht eine massive Begrenzung von Tagesgästen, die keinen Beitrag leisten. Und es braucht ein Umdenken in der Politik, die endlich aufhören muss, in touristischen Zahlen zu träumen und beginnen sollte, in Lebensqualität zu denken. Gleichzeitig muss Südtirol jene strukturschwachen Regionen fördern, die bisher vom Tourismus weitgehend übersehen wurden – mit dem gezielten Aufbau eines sanften, nachhaltigen Tourismus, der die Natur achtet und den Menschen dient.
Wer alles für alle sein will, verliert sich selbst
Südtirol darf nicht der Spielplatz Europas sein. Wer den Tourismus über alles stellt, verrät die Menschen, die hier leben, die ihre Kultur erhalten, die Landwirtschaft betreiben, Kinder großziehen, Traditionen pflegen. Sie sind keine Komparsen in einem touristischen Theaterstück. Sie sind das Rückgrat dieses Landes.
Und wer heute nicht den Mut hat, Nein zu sagen, wird morgen nicht mehr gefragt werden. Dann ist Südtirol nur noch ein weiteres Beispiel dafür, wie man sich selbst verkauft hat – für Likes, für Profit, für einen Platz im Reiseführer.
Es ist Zeit für einen radikalen Kurswechsel. Nicht gegen den Tourismus. Sondern für Südtirol.






