von gk 15.07.2025 14:18 Uhr

Blut, Schande, Folter – und der Spott der Täter: „Evviva l’Italia!“

Gefesselt, geprügelt, verbrannt, gedemütigt: Der Kurtatscher Bauer Josef Orian wurde 1961 von italienischen Carabinieri grausam gefoltert – obwohl ihm nie eine Schuld nachgewiesen werden konnte. Fast eineinhalb Jahre saß er unschuldig in Haft.

Der Kurtatscher Bauer Josef Orian (Bild: Effekt Verlag).

Zum 44-jährigen Kurtatscher Bauern Josef Orian kamen die Carabinieri in der Früh des 18. Juli 1961. Er war noch im Schlafanzug. Seine Frau Ruth, gebürtig aus Naumburg an der Saale, verstand kein Italienisch, hörte aber im Hof Lärm und schaute aus dem Fenster. Sie sah unten mit Maschinenpistolen bewaffnete Carabinieri.

Astrid Kofler schildert in ihrem Buch „Zersprengtes Leben“ , wie Frau Orian reagierte: „Ich habe ihnen den Vogel gezeigt.“

Hochschwanger war sie mit dem vierten Sohn, ein Carabiniere schubste sie, sie flog gegen die Tür. Ihr Mann erzählte ihr später, er sei unten schon, im Hofeingang, mit den Ketten ins Gesicht geschlagen worden. Nach Neumarkt wurde er gebracht, nach Trient. Da sie schwanger war, riet man ihr, ihn zu besuchen. Mit Kleiderbündel hätte man ihn zugerichtet, mit Gewehrkolben. Den Riemen des Gewehres, so erzählt sie, schnürte man ihm um den Hals. Die erste Wäsche, die er man ihr drei Tage später aus dem Gefängnis brachte, warf sie, weil die Kinder dabei standen – sofort in den Brunnentrog, sie war voller Blut. Der älteste Sohn Manfred, damals elf Jahre alt, hat zu viel verstanden und sehr darunter gelitten …

Aus Mangel an Beweisen wurde ihr Gatte Josef – wie neun weitere politische Häftlinge – im Dezember 1962 aus der Haft entlassen, er saß eineinhalb Jahre. Die Hypothek, die der Staat für den an Strommasten und Bahnlinien entstandenen Schaden allen Attentätern auf Grund und Haus eintragen ließ, betrug für Josef Orian 999.999 Lire. Sie blieb noch lange bestehen, bei Eintreibung hätte eine sündteure Verzinsung gedroht. Als endlich der Bescheid kam, dass die Hypothek gelöscht sei, ist den Behörden ein Fehler unterlaufen: Statt der letzten Neun stand auf dem Dokument eine Null, also begann die Prozedur von Neuem.

(Astrid Kofler, „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 50f)

Ein Korb voller blutiger Wäsche

Hildegard Orian-Redolf, die Nichte Josef Orians, erinnert sich heute noch an den Schock, den die ganze Familie erlitt, als die blutige Wäsche des Verhafteten gebracht wurde:

„Ich war damals 11 Jahre alt und erinnere mich noch genau, wann die Carabinieri die blutige Wäsche meines Onkels nach Hause brachten. Wir waren gerade beim Mittagessen, als sie mit den blutigen Kleidern in einem Korb daher kamen. Und wie es damals üblich war, saß die ganze Großfamilie um den Tisch. Und dann fingen die Mutter und die anderen Frauen meiner Familie herzzerreißend zu weinen an, was früher, wo man seine Gefühle nicht so zeigte, ganz ungewöhnlich war.“

Folterbrief aus dem Gefängnis

Orian selbst berichtet in einem aus dem Trienter Gefängnis geschmuggelten Brief, wie er in der Carabinierikasere von Kurtatsch mißhandelt wurde:

„Pepi Orian Bauer verh. in Kurtatsch.

Ich wurde um 4 Uhr früh zu Hause verhaftet und bis zum nächsten Tag um 13 Uhr mißhandelt.

Schon gleich, als mich die car. von Kurtatsch mit Ihrem Jeep aus dem Hof brachten, schlug mir einer mit der Faust ins Gesicht, ohne etwas zu fragen oder ein Wort zu sagen. Das Blut rann mir aus Nase und Mund. Ein car. fluchte, weil jetzt das Auto beschmutzt wurde. In der Kaserne angekommen, schlug man mich windelweich; mit Fausthieben, mit dem Stiel des Teppichklopfers. Dr. Röggla (ein ebenfalls verhafteter Arzt), der mich etliche Tage nachher sah, sagte, ich habe wie ein schillernder Pavian ausgesehen: blau und rot unterlaufen, am ganzen Körper auch an den Oberschenkeln. Mir wurde immer und immer wieder ins Gesicht gespuckt und dabei mußte ich dauernd Kniebeuge machen und ausrufen: „evviva l’Italia – abasso Südtirol, evviva l’Italia, abasso Südtirol. Evviva l’Italia, abasso i Schützen!“ („Es lebe Italien, nieder mit Südtirol! Es lebe Italien, nieder mit den Schützen!“).

Ein car. ging später in den Abort und beschmutzte dort einen ca 60 cm langen, fingerdicken Eisenhaken mit Urinstein. Diese beschmutzte und gebogene Spitze mußte ich mit der Spitze nach oben in Mund halten und wieder Kniebeuge machen, und immer wieder Schläge und Tritte. Man drohte mir, den Hodensack zu zerquetschen. Mit einer Zigarette wurde ich an den Lippen, an der Nase u. an den Augendlidern verbrannt. Die carab. lösten sich dauernd ab. In der Nacht – ich lag auf dem Boden – onanierte neben mir der carab. Ich schäme es zu sagen, aber ich hörte ganz deutlich die Geräusche, umwenden konnte ich mich nicht.

Mit einem Gürtel würgte man mich und gleichzeitig schlug man mir in den Unterleib. Vier carab. waren dabei beschäftigt. Man zwickte mich am ganzen Körper es tat furchtbar weh. Ich konnte mich nur mühsam weiterschleppen. In diesem Zustand hängte man mich ca. eine Stunde, gefesselt, an das Treppengeländer. An diesem Geländer, es war auch ein Steinboden – hingen die ganze Nacht Adolf Pomella und Bruno Veronesi (Veronesi hat man während der Nacht wieder zum Verhör geholt und weggebracht).

Der Arzt von Neumarkt, Dr. Menestrina, ein Italiener, gab mir 10 Tage Heilungsdauer, der Gefängnisarzt in Trient fügte noch 10 Tage hinzu. In Neumarkt waren als Zeugen anwesend: Richter Cicciarelli, Pol. Arzt von Padova (?), V. Reg. Kom. (Anm.: Vizeregierungskommissär) Pugliesi.

Josef Orian

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)

Keine Entschuldigung - keine Entschädigung

Am 29. Dezember 1962 mußten die Gerichtsbehörden den Kurtatscher wieder in Freiheit setzen, nachdem es den Carabinieri trotz aller Anstrengungen nicht gelungen war, aus Orian Belastendes herauszuprügeln.

Weder für die erlittene Folter, noch für die nahezu eineinhalbjährige Untersuchungshaft hat Josef Orian je eine Entschädigung erhalten.

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9.

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